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Das Jahr 1940

Die Ereignisse von 1940 machen dieses Jahr zu einem der schwärzesten der jüngsten Geschichte Frankreichs. Der „Sitzkrieg“ und ein militärischer Zusammenbruch, der zum Debakel wird, sowie die Flucht, das Scheitern der Eliten und die Entscheidung für den Waffenstillstand, die Teilung und die Besetzung des Staatsgebiets und die Gründung eines autoritären Regimes, das mit dem Sieger zusammenarbeitet. Die Niederlage, der Zusammenbruch und die Gründung des Regimes von Vichy werden im Jahr 1940 jedoch von umfangreichen Formen der Gegenwehr und des Widerstands begleitet. 1940 zu verstehen, bedeutet, die Aufmerksamkeit von Lehrern und Schülern auf drei Höhepunkte dieses Jahres zu lenken[1]:

 

  1. Frankreich und die Franzosen angesichts des Krieges: der „Sitzkrieg“ und der Frankreichfeldzug; 
  2. Frankreich und die Franzosen angesichts der Niederlage: der Aufruf, der Ausbruch und der Gruß; 
  3. Frankreich und die Franzosen angesichts Deutschlands: regieren und Widerstand leisten in stürmischen Zeiten. 

 

panzer IV
IV. Panzerkolonne bei der Durchfahrt in einem französischen Dorf im Mai 1940. © Deutsches Bundesarchiv

 

1. Frankreich und die Franzosen im Krieg: der „Sitzkrieg“ und der Frankreichfeldzug

1940 befindet sich Frankreich seit vier Monaten im Krieg. Ein Krieg im Rückwärtsgang, ein „Sitzkrieg“, ein Krieg ohne Front. Auch wenn das Jahr 1939 nach der Annexion von Prag den Eindruck einer Verhärtung der öffentlichen Meinung gegenüber Nazi-Deutschland vermittelte, gesellte sich zum sich zusammenbrauenden Bürgerkrieg unter den Franzosen, zwischen Patrioten und Pazifisten, zwischen linken Antimilitaristen und rechten Antimodernisten, ab dem deutsch-sowjetischen Pakt vom 23. August 1939, das Dissidententum der kommunistischen Partei und ihrer Anführer, wenn nicht ihrer Aktivisten. Der Eintritt in den Krieg erfolgte, ohne dass das Wort vom Präsidenten des Rates und Verteidigungs- und Kriegsminister Édouard Daladier ausgesprochen wurde; hingegen verabschiedete man Gelder, „...um der internationalen Situation zu begegnen“. Die politische Klasse selbst war tief gespalten, so wie die Gesellschaft, die in Eliten und andere, Arbeiter und Bauern, Integrierte, Ausgeschlossene und Isolierte geteilt ist: „Die Besitzenden werden von dem beherrscht, was sie besitzen.“[2] Ein gesellschaftlicher, politischer, diplomatischer Zerfall, ein literarischer, internationalistischer oder ernüchterter Pazifismus, die Haltung der Intellektuellen „...der Pazifismus eines Giono, die Verbitterung eines Paul Valéry, der Defätismus von Martin du Gard oder auch der Faschismus eines Drieu La Rochelle“ kommen hinzu und bilden „...eine Form der Resignation der Mehrheit“[3].

Der Militärapparat erlebte erst spät eine unvollendete und unvollständige Modernisierung und „...das Militärkorps, dem der Staat nur stoßweise und widersprüchliche Anstöße gab, zog sich in seinen Konformismus zurück. Die Armee erstarrte in Konzepten, die vor dem Ende des letzten Krieges in Kraft waren. Das hatte eine umso größere Tragweite, als ihre Führer auf ihren Posten alterten und an Irrtümern festhielten, auf die sie einst stolz waren.“[4] Eine Armee der Infanteristen und Reservisten mit verstreuten Panzern, unzureichender Ausbildung im Schutze der Maginot-Linie. Eine Luftwaffe, die zu spät mit modernen Jagdflugzeugen und Bombern ausgestattet wurde und ohne Einsatzdoktrin war, eine Luftfahrtindustrie, deren Produktion nicht nachzog[5]. Die Marine kam besser weg, mit einer modernen und neuen Flotte im Jahr 1939, die in der Lage war, die Seeverbindungswege und das Kolonialreich in einer Strategie des langen Krieges zu schützen. Was am schlimmsten war, ist das Fehlen eines Oberkommandos, das diesen Namen verdient, sowie einer Struktur der Alliierten mit den Briten und damit eine gemeinsame Planung; die Defensive und die durchgehende Front als Doktrin, aber auch das Abenteuer einer Offensive in Belgien; eine Form der militärischen Abrüstung während des Winters 1939 - 1940, trotz der Energie und erster Resultate eines mutigen Rüstungsministers: Raoul Dautry, der gegen die passive Sabotage, die Drosselung der Produktion und den Mangel an qualifizierten Arbeitskräften kämpfte.

Der „Sitzkrieg“ bedeutet Unbeweglichkeit auf militärischer Ebene, die unmögliche Mobilisierung auf industrieller Ebene und die Verantwortungslosigkeit auf politischer Ebene. Das norwegische Abenteuer von April - Juni 1940 ist schlecht vorbereitet, schlecht koordiniert und endet böse. Es wurde von Winston Churchill, der damals Marineminister der Chamberlain-Regierung war, nachdrücklich unterstützt und war gefolgt von einer zu späten Unterstützung für Finnland, das von den UdSSR angegriffen wurde und am 13. März 1940 kapitulierte[6]. Die Niederlage an der französischen Front holt einen peripheren Einsatz ein und zwingt zur Rückschiffung der Truppen, die unter unglaublichen Bedingungen mehr als ihre Pflicht taten. All dies spielte sich im Nordosten Frankreichs ab.

Vom Pazifismus zum Defätismus genügte eine deutsche Offensive. Diese erfolgt am 10. Mai 1940 um 4.45 Uhr, nachdem die Regierung Reynaud am Vortag zurückgetreten war, da es dem Regierungschef nicht gelingt, den französischen Oberbefehlshaber, General Gamelin, zu entlassen.

Der Frankreichfeldzug muss in seinen aufeinanderfolgenden Phasen untersucht werden. Vom 10. bis 18. Mai erfolgt eine doppelte Offensive der Deutschen: in Belgien, wohin das französische Oberkommando die besten alliierten Truppen entsendet, dann Richtung Maas, wo sich die offensivsten Panzerverbände des Feindes konzentrieren und schlecht ausgerüsteten, schlecht ausgebildeten und schlecht geführten französischen Streitkräften gegenüberstehen. Die gepanzerten Truppen der Deutschen machen dann einen Schwenk Richtung Ärmelkanal und Nordsee: ein „Täuschungsmanöver“, das den Gegenangriff der 4. Reservepanzerdivision von Oberset de Gaulle, dem späteren General, auf der Südflanke des Feindes in Montcornet am 12. Mai nicht verhindern kann. Zwischen 18. Mai und 4. Juni erfolgt der Rückzug, die Einkesselung der Streitkräfte im Norden, Dünkirchen und der Versuch einer Wiederaufnahme der militärischen Initiative, mit einem gegen drei. Zwischen 4. und 14. Juni zerfällt das von General Weygand eingerichtete Abwehrsystem. Am 10. Juni tritt Italien in den Krieg ein. Der allgemeine Rückzug der Streitkräfte erfolgt am 12. Juni. Paris wird am 14. Juni zur offenen Stadt. Zwischen 14. und 24. Juni enden alle von französischer Seite organisierten militärischen Manöver, die Briten führen ihren geplanten Rückzug durch und Marschall Pétain ersucht am 17. Juni um den Waffenstillstand. Was soll man aus diesen Kämpfen im Gedächtnis behalten, die in weniger als sechs Wochen fast 60.000 gefallene Franzosen und 1,8 Millionen Gefangene zur Folge hatten[7], eine besiegte Armee zurückließen, die im September 1939 als führende Armee der Welt galt, und Frankreich in die Knie zwangen sowie zur Auflösung der Republik führten?

In erster Linie, dass die französische Armee gekämpft, und meistens gut gekämpft hat. Ohne die Schwächen, die Disziplinlosigkeit und die mangelnde Vorbereitung verschweigen zu wollen, sind es vor allem zwei völlig unterschiedliche Streitkräfte, und nicht nur die Kämpfer. Die Panzerdivisionen der Wehrmacht sind an einem besonderen Schwachpunkt des französischen Systems zusammengezogen, Richtung Maas, dann Richtung Meer, mit einem riesigen taktischen Handlungsspielraum angesichts der alten, schlecht geführten, schlecht bewaffneten Reservisteneinheiten, die auf die Geschwindigkeit, die mechanische Kraft und die Flugzeuge im Sturzflug schlecht vorbereitet sind. Woanders jedoch, in Belgien, an der Maginot-Linie, der Aisne, der Somme oder in den Alpen müssen Deutsche und Italiener französischen Soldaten die Stirn bieten, die gut bewaffnet, gut geführt und gut ausgebildet wahren Kampfesmut und unbestreitbares technisches Können unter Beweis stellen.

Ob dann der französische Generalstab seiner Aufgabe durch eine striktes Festhalten an Vorgehensweisen aus einer anderen Zeit nicht gerecht wurde und ob der Sitzkrieg eine demoralisierende Wirkung auf die Truppe hatte: Langeweile, Passivität, Unentschlossenheit, ohne dass eine politische Klasse am Ende ihrer Kräfte etwas anderes als Entschlusslosigkeit beweist. „Untätig zu sein, bedeutet geschlagen zu sein (...) Das unklare Gefühl der Ohnmacht, welches das aktuelle System im Innersten der Anführer entstehen lässt, beginnt sich in der Nationalarmee selbst auszubreiten.“[8]

Ob es schließlich ein neuer Krieg ist, ein neuer entscheidender Vorstoß oder ein ungeheurer Schwung auf Seiten der Deutschen und Erschöpfung, Niedergeschlagenheit oder Passivität beim französischen Kommando. Die Schockwirkung verfliegt erst am 25. Mai. als der Generalstab die Ursachen für den deutschen Erfolg versteht: die Zusammenarbeit von Flugzeugen und Panzern, taktische Verbände mehrerer Streitkräfte, Autonomie je nach gewünschtem Resultat.

Reynaud, der am 16. Juni zugunsten der Pétain-Regierung aufgegeben hatte, die um den Waffenstillstand ersucht, bleibt in Frankreich und engagiert sich schon bald für einen Kurswechsel. Alles hängt zusammen.

Die Waffenstillstände vom 22. und 25. Juni 1940 sind auf den Untergang zugeschnitten: Frankreich ist zu zwei Dritteln von den Deutschen und (in ganz geringem Ausmaß) von den Italienern besetzt, Elsass-Lothringen an das Reich angeschlossen, der Norden Frankreichs dem deutschen Kommando in Brüssel unterstellt und die Küstenregionen an der Nordsee, am Ärmelkanal sowie am Atlantik sind einer Sonderregelung unterworfen ... Es gibt keine Karte Frankreichs mehr, sondern ein in acht Zonen oder Sektoren unterteiltes Frankreich, zwischen denen oft keine Verbindungen möglich sind. Eine wirtschaftliche und finanzielle Bevormundung, eine sehr hohe Besatzungsentschädigung, eine militärische, administrative und politische Unterwerfung[9]. Zusammenbruch, Demütigung und Verzicht. Es bleiben, wenn auch unter ungewissen Bedingungen, die intakte Kriegsflotte, das Kolonialreich und der Anschein der Souveränität.

 

affiche A tous les Français

In der Stadt London angeschlagenes kleines Plakat vom 5. August 1940. Freie Dokumentationslizenz GNU

 

2.   Frankreich und die Franzosen angesichts der Niederlage: der Aufruf, der Ausbruch und der Gruß[10]

General de Gaulle startet am 18. Juni den berühmten Aufruf, als die Waffenstillstandsbedingungen unbekannt sind, die britische Regierung nicht mit der französischen Regierung gebrochen hat und die britischen Minister untereinander uneinig über die zu verfolgende Linie sind. Der absichtlich kurze Aufruf gibt sich sachlich: Frankreich mit seinem Kolonialreich bleibt eine wesentliche Kraft; England „beherrscht das Meer“; „die riesige Industrie der Vereinigten Staaten“ solle eingreifen, denn „dieser Krieg ist ein Weltkrieg“. Es ist auch ein kalkulierter Aufruf. Auch wenn man weiß, dass Pétain um den Waffenstillstand bittet, weiß niemand, welche Kraft in Frankreich Fuß fassen wird. Er wendet sich an das Kampfgebiet und an die Kämpfer. Keine gemeinsame politische oder ideologische Linie, nicht einmal eine militärische. De Gaulle bereitet sich dennoch vor, indem er die Verantwortlichen für eine Niederlage nennt: „Die Anführer, die seit vielen Jahren an der Spitze der französischen Streitkräfte stehen.“ In erster Linie der Marschall von Frankreich, der letzte Präsident des Rates der III. Republik und bald „französischer Staatschef“, Philippe Pétain.

Ein Wort in diesem Aufruf erhellt das: „Widerstand“. Keine militärische oder politische Konnotation, sondern eine moralische Haltung, die De Gaulle und jene, die ihm im freien Frankreich und im Widerstand folgen, zwischen 1940 und 1944 beeinflusst und die den kommenden Jahren im Voraus Bedeutung gibt. Ein äußerst seltener Moment in der Geschichte, auf dass man darauf besteht. Denn es handelt sich um die Auflösung eines Schicksals und einen Gründungsakt, der sowohl den Kriegsverlauf als auch sein eigenes Leben völlig verändern und damit die Bestimmung zwischen Widerstandshandlung und Mensch unterstreichen sollte. Die Ablehnung des Waffenstillstands und der Kapitulation entspricht dem De Gaulle, der Widerstand leistet und sich dadurch von seiner Herkunft, seinem Status als Offizier und seiner Karriere loslöst, um in die Rebellion und die Disziplinlosigkeit einzutreten, im vollen Bewusstsein eines Menschen, der eine Entscheidung zwischen diesem Gewissen und seiner Freiheit gegenüber dem Kollektiv und den gebildeten Körperschaften getroffen hat.

Auch wenn die Rede vom 18. Juni noch keine politische Rede ist, stellt sie gleichermaßen einen Ausblick auf die Zukunft und ein Kalkül dar. Der Ausblick auf die schrecklichen und entwürdigenden Bedingungen des Waffenstillstands. Das Kalkül mit der Entscheidung, dass das Kolonialreich, vor allem Französisch-Nordafrika (AFN) den Kampf fortsetzen dürfte. Erst als am 21. Juni die Waffenstillstandsbedingungen bekannt werden, vor allem jene bezüglich der französischen Kriegsflotte, ratifiziert das britische Kriegskabinett gewissermaßen die Entscheidung des Premierministers: De Gaulle hat sich engagiert, er wird unterstützt. Dies ist bei seiner Rede am 22. Juni zu hören und zu verstehen.

In den darauf folgenden Wochen setzt er sich daher dafür ein, die verschiedenen Gebiete des Kolonialreichs und die in Großbritannien anwesenden französischen Streitkräfte miteinander zu verbinden, allerdings mit zumeist bescheidenem Erfolg. Dem General gelingt es nicht mehr, die Persönlichkeiten zu versammeln, die der britische Premierminister von ihm fordert, um ein nationales Komitee zu bilden, das die französischen Interessen vertreten soll. Am 28. Juni nimmt Churchill diesen Misserfolg zur Kenntnis und erklärt de Gaulle gegenüber: „Sie sind alleine? Nun gut, ich erkenne Sie ganz allein an!“, als „Anführer aller freien Franzosen“. Am 7. August gesteht der Accord de Chequers, der von René Cassin vorbereitet und von den beiden Männern unterzeichnet wurde, der freien französischen Bewegung den Charakter einer regulären Regierung in der Zukunft zu.

Im Kolonialreich gibt die große Mehrheit der französischen Militärchefs schließlich angesichts der Bedingungen des französisch-deutschen und des französisch-italienischen Waffenstillstands vom 22. und 24. Juni 1940 klein bei. Eine französische Regierung und eine aufrechterhaltene, unveränderte und durch den Waffenstillstand im ganzen Land vorhandene Behörde, die Kontrolle des Kolonialreichs, eine intakte Kriegsflotte, deren Anführer, Admiral Darlan, Minister des Marschalls wird, die geschützt werden: so viele Erklärungsfaktoren, zu denen die Persönlichkeit desjenigen kommt, der „...seine Person Frankreich zur Verfügung gestellt hat“[11]. In diesem Zusammenhang erfolgt am 3. Juli die Bombardierung der französischen Flotte in Mers-el-Kébir durch die Royal Navy.  Eine blutige Spur Englands und seines Premierministers mit einem unerbittlichen Willen, den Krieg fortzusetzen, die Entscheidungsunfähigkeit des früheren Alliierten und das Opfer von fast dreizehnhundert französischen Marinesoldaten, der Weitblick und die eiskalte Entschlossenheit von General de Gaulle.

Am 15. August 1940 haben sich nur 2.721 Freiwillige in der „Légion De Gaulle“ verpflichtet, von etwa vierzigtausend ausgewanderten oder geflüchteten Franzosen in Großbritannien. Zum Großteil halten sie strikte Gesetzestreue, Disziplin, auch die Erleichterung über das Ende der Kampfhandlungen sowie die Hoffnung, ihre Familie bald wieder sehen zu können, davon ab. Unter jenen, die sich für das „Dissidententum“ entscheiden, zählt man nur 900 Mann der 13. Halbbrigade der Fremdenlegion, einige Gebirgsjäger des französischen Expeditionskorps in Norwegen, Infanteristen, Marinesoldaten und Flieger. In Wahrheit ziemlich wenige. Allen gemeinsam ist eine Form der individuellen Herausnahme aus dem Kollektiv, eine Form der Disziplinlosigkeit gegenüber der Amtsgewalt, ein Bruch mit ihrem Milieu, ihrer Erziehung oder ihrer Karriere.

Diese historische Anfangszeit kann daher auch Anlass für eine Fragestellung des Pädagogen sein. Was bedeutet „Widerstand leisten“? Auch wenn die Analyse von Historikern zumeist die Handlungsweisen als Antwort auf die Frage bevorzugt, ist der Zusammenhang zwischen Handlung und dem Sinn das Wesentliche. Widerstand leisten bedeutet daher zu handeln und seinem Handeln einen Sinn zu geben. So ist es 1940 bei Hauptmann Philippe de Hauteclocque, der nach einem brillanten Frankreichfeldzug die Niederlage ablehnt, die Bande zur Armee, zu seinen Traditionen und seinen Zwängen zerreißt und als freier Mann die Entscheidung trifft, sich General de Gaulle anzuschließen. Hauteclocque wird Leclerc[12]. So ist es auch beim Präfekten Jean Moulin, der ab Juni 1940 begreift und verweigert, bevor er sich engagiert und Widerstand leistet[13].

 

de Gaulle Muselier

General de Gaulle und Admiral Muselier auf der Brücke der Président Théodore Tissier. Quelle: ECPAD

 

3.  Frankreich und die Franzosen angesichts Deutschlands: regieren und Widerstand leisten in stürmischen Zeiten

Das Frankreich vom Sommer 1940 wird mit voller Wucht vom Schock des Krieges und seinen Zerstörungen, der Flucht und 10 Millionen Franzosen auf den Straßen, dem militärischen Zusammenbruch und seinen gefangenen Soldaten getroffen. Keine Rückkehr zur Normalität vor dem Herbst, und das nicht überall. Keine schriftlichen oder telefonischen Nachrichten, und auch nicht so bald durch die Zeitungen. Die Transporte sind gestört, eine Demarkationslinie zwischen Nord- und Südzone verbietet deren Übertretung ohne Genehmigung, die Großstädte stehen vor einem Versorgungs- und Dienstleistungsmangel. Der Alltag wird kräftezehrend und unmöglich.

Die dem „französischen Staatschef“ gewährten umfassenden Vollmachten werden vom Senat und der Abgeordnetenkammer, die am 10. Juli 1940 in Vichy zusammengetreten sind, verabschiedet. Der französische Staat und seine Devise „Arbeit, Familie, Heimat“ ersetzen die Republik und deren Devise „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“. Unter dem Deckmantel der „nationalen Revolution“ entsteht ein autoritäres Regime mit einer Polizei, einer Justiz und einer Verwaltung unter dem Befehl einer antidemokratischen, antirepublikanischen und antiliberalen Macht. Das Regime trifft sofort ausländerfeindliche und antisemitische Entscheidungen, vom Ausbürgerungstext im Juli 1940 bis zum Gesetz vom 3. Oktober 1940 „über die Rechtsstellung der Juden“ und deren Ausschluss von den mit dem Staat verbundenen Berufen. Selbst vor dem Treffen von Montoire am 24. Oktober 1940 ist die Kollaboration mit dem Besatzer eine politische Linie, die sich nur noch verstärkt. Um eine Form der Souveränität gegenüber dem Dritten Reich zu bekräftigen, kommt Vichy den Befehlen der Deutschen entgegen. In Montoire geht Marschall Pétain von der impliziten Annahme zur expliziten Forderung über, indem er „...nach eigenem Ermessen den Weg der Kollaboration“ beschreitet[14].

Die öffentliche Meinung ist unter Druck. Parteien, Gewerkschaften und die Meinungspresse verschwinden. Eine Distanz gegenüber einem republikanischen System, das im Gegensatz zum Ersten Weltkrieg, nicht widerstanden hat, die Ausrichtung der Kommunisten auf Moskau infolge des deutsch-sowjetischen Pakts, ein Kult um den Marschall und eine mehr oder minder erzwungene Zustimmung zur „nationale Revolution“.

Die Arbeiten von Pierre Laborie unterstreichen die „grauen Zonen“, die „Ambivalenzen“, das „Doppeldenken“, die seit 1940 in Frankreich am Werk sind: Marschall Pétain zu unterstützen und gleichzeitig der Besatzung sowie Kollaboration entgegenzutreten und zu wünschen, die „Revanche“ vorzubereiten. Jene von Julian Jackson haben den Widerstand und die Ablehnung hervorgehoben, die im Augenblick der Niederlage zutage treten, während jene von Julien Blanc zeigen, dass der französische Widerstand in seiner organisierten Form ab dem Sommer und Herbst 1940 in der Besatzungszone entstanden ist und nicht völlig von der französischen Gesellschaft abgetrennt zu sein scheint. Gleichwohl können vom Standpunkt der Geschichte aus innerhalb des politischen Personals, der Abgeordneten und der Parteien Linien gezogen werden. So zum Beispiel von der kommunistischen Partei, die durch den deutsch-sowjetischen Pakt vom 23. August 1939 mit der UdSSR und mit Deutschland verbunden ist. So zum Beispiel vom Waffenstillstand, der nicht neutral ist, von Vichy, das nicht souverän ist und von der Kollaboration, die zu einer militärischen wird[15].

Dieser Widerstand hat in jenen Anfängen nur wenig Verbindung mit dem eines kämpfenden Frankreich, das von De Gaulle in London verkörpert wird. Seine Verschiedenheit und die manchmal abweichenden Positionen zur Haltung gegenüber Pétain und Vichy führen auch dazu, dass man eher von „Widerständen“ im Plural sprechen müsste, als vom „Widerstand“ im Singular. Die ersten Widerstandskämpfer formieren sich zu kleinen Einheiten, in engen Kreisen, aus persönlichen, beruflichen oder politischen, oder auch religiösen Bekannten. Artikel werden verfasst, Flugblätter verteilt und Wege geschaffen, um wegzugehen oder sich zu retten. Im Norden ist die Lage kritisch, im Süden sind die ersten Widerstandskämpfer alleine. Die ersten Operationen in der besetzten Zone haben das Ziel, Informationen zu sammeln. Auch wenn die Widerstandshandlungen einzeln und isoliert durchgeführt werden, entstehen Demonstrationen größerer Gruppen ebenfalls ab dem Herbst 1940 und zeigen, dass die französische Gesellschaft dem Besatzer gegenüber nicht völlig passiv bleibt, auch wenn die Teilnahme an diesen Protesten von kurzer Dauer sein kann, nicht zwangsläufig von einem Engagement für den Widerstand begleitet ist und auch dieser „Nicht-Zustimmung“ gleichkommt, wie es Pierre Laborie ausdrückt. Sie zeigen dennoch, dass sich viele Franzosen 1940 der Lage bewusst sind, eine patriotische und anti-deutsche Einstellung haben und nicht zögern, diese mitzuteilen[16]. Der wichtigste kollektive Protest ist jener der Pariser Jugend, die ohne wirklich auf die Parole aus London zu reagieren, nicht zögert, dem Demonstrationsverbot des Besatzers anlässlich des Gedenktages zum Waffenstillstand von 1918 zu trotzen.

Nichtsdestoweniger beginnt sich in Frankreich ab den letzten Monaten von 1940 und Anfang 1941 ein Widerstand in seinen anfänglichen Formen zu entwickeln und zutage zu treten, indem die ersten Netzwerke und ersten Bewegungen auftauchen: „Musée de l’Homme“ von Boris Vildé, „Défense de la France“ von Philippe Viannay in der besetzten Zone sowie „Liberté“ von François de Menthon, „Mouvement de libération nationale“ von Frenay, „Franc-Tireur“ von Jean-Pierre Lévy und „Libération“ von d’Astier de la Vigerie in der Südzone. Die Veröffentlichung der ersten Untergrundzeitungen im Laufe dieser Zeit stellt einen wichtigen Schritt für das Heranreifen des Widerstands dar. Denn dadurch wird es möglich, ihm eine konkrete Dimension zu geben, seine Strukturierung zu unterstützen und durch ihre Verbreitung Verbindungen zur gesamten Gesellschaft herzustellen.

Auch wenn es unbestreitbar ist, dass „das freie Frankreich afrikanisch war“[17], bleibt Französisch-Nordafrika (AFN) Vichy treu und nur einige kleine, wenig besiedelte Randgebiete bekunden ihren Willen, im Sommer und Herbst 1940 an der Seite der britischen Alliierten im Krieg zu bleiben: die Neuen Hebriden am 20. Juli, die französischen Einrichtungen in Ozeanien am 2. September, die französischen Niederlassungen in Indien am 9. und Neukaledonien am 19. Der Hauptbeitrag kommt von Französisch-Äquatorialafrika (AEF) und Kamerun, die so wie der Tschad von Gouverneur Félix Éboué ihren Anschluss an das freie Frankreich anlässlich der Glorreichen Drei Tage vom 26. - 28. August 1940 verkünden; nur Gabun bleibt damals noch unter der Autorität von Vichy. Churchill und De Gaulle versuchen dann, Dakar anzubinden und damit ganz Französisch-Westafrika (AOF), jedoch ist die Operation am 24. und 25. September 1940 ein Misserfolg. Vichy lässt auf die Franzosen schießen. Im Gegenzug nehmen die freien französischen Streitkräfte (FFL) im November nach einem kurzen Feldzug Gabun ein. Diese Anschlüsse sichern dem freien Frankreich Gebiete, wo es seine Autorität ausüben kann, Ressourcen für die alliierten Kriegsanstrengungen und personelle Mittel vorfindet, um die Ränge der FFL zu erweitern. Es ist auch die Gelegenheit, den Fortbestand und die Souveränität Frankreichs im Krieg am 27. Oktober 1940 durch Gründung eines „Conseil de défense de l’Empire“ (Rat zur Verteidigung des Kolonialreichs) in Brazzaville zu bekräftigen. Dieser ist ein Beratungsorgan, das sich aus den Gouverneuren dieser Gebiete, militärischen Anführen und Persönlichkeiten des freien Frankreichs zusammensetzt.

Ab September 1940 werden die Piloten der freien französischen Luftstreitkräfte (FAFL) gegen die deutschen Jäger und Bomber im Luftraum über England eingesetzt. Die Marinesoldaten der freien französischen Seestreitkräfte übernehmen auf allen Meeren Schutzaufgaben für die Konvois ihrer Brüder der Handelsmarine, sowie Überwachungs- und Angriffsmissionen, bei denen sie feindlichen U-Booten, Schiffen und Flugzeugen unter der Nationalflagge und dem Lothringer Kreuz gegenüberstehen. Schließlich bekämpfen die Landstreitkräfte in Afrika die italienischen Truppen, die von ihren kolonialen Besitzungen aus die Briten bedrohen. Es ist die Zeit von Leclerc, der die freien Franzosen von Koufra nach SQ3VzYourg führen sollte.

 

 

 

 

 

Tristan Lecoq - Generalinspektor für nationale Bildung

Beigeordneter Universitätsprofessor (Zeitgeschichte) an der Universität Paris Sorbonne


[1] Programmes d’histoire de terminale des séries générale et technologique Außerordentliches offizielles Mitteilungsblatt Nr. 8 vom 25. Juli 2019 
[2] Alain Peyrefitte C’était de Gaulle, Band 1: „La France redevient la France“ Paris, Fayard 1994 S. 148 
[3] Julien Winock Jean-Louis Crémieux-Brilhac Servir la France, servir l’État Paris, la Documentation française 2019 S. 189. Dem Werk gelingt darüber hinaus eine ausgezeichnete Zusammenfassung des großen Werks von Jean-Louis Crémieux-Brilhac Les Français de l’an 40, zwei Bände Paris, Gallimard 1990. Von Vorteil ist auch die Lektüre von Jean-Baptiste Duroselle L’abîme 1939 - 1945 Paris, Imprimerie nationale 1982
[4] Charles de Gaulle Mémoires de guerre Paris, Plon 1954 Bt. 1 „L’appel (1940 – 1942)“ S. 4 
[5] 1939 entspricht der Index der industriellen Produktion jenem von 1929. 
[6] John Kiszely Anatomy of a Campaign. The British Fiasco in Norway, 1940 Cambridge, Cambridge University Press 2017 
[7] 1,1 Millionen Soldaten davon wurden zwischen dem Aufruf von Pétain zur Einstellung der Kämpfe am 17. Juni und dem Waffenstillstand mit Italien am 25. Juni gefangen genommen.
[8] Colonel de Gaulle „Note officieuse de janvier 1940“ in Lettres, notes et carnets B. 13, Paris, Plon 1997
[9] Zwei Waffenstillstandskommissionen werden eingerichtet, eine französisch-deutsche in Wiesbaden und eine französisch-italienische in Turin. 
10] Tristan Lecoq (dir.) Enseigner De Gaulle Paris, Canopé 2018 und Laurent Douzou und Tristan Lecoq (dir.) Enseigner la Résistance Paris, Canopé 2016 
[11] Ein Beispiel der Haltung eines kaiserlichen Prokonsuls, der von der III. Republik ernannt wurde und in den Wochen von Juni-Juli 1940 nach Vichy zurückkehrte, Admiral Georges Robert: Jean-Baptiste Bruneau La marine de Vichy aux Antilles, Juin 1940-juillet 1943 Paris, Les Indes savantes 2014 und Odile Girardin-Thibeaud Les amiraux de Vichy Paris, Nouveau Monde éditions und Verteidigungsministerium 2016. 
[12] Le général Leclerc vu par ses compagnons de combat Paris, Alsatia 1948, André Martel Leclerc. Le soldat et le politique Paris, Albin Michel 1998, Christine Levisse-Touzé Du capitaine de Hauteclocque au général Leclerc Tagungsberichte vom 19.-21. November 1997 Paris, éditions Complexe 2000 und Olivier Forcade „Du capitaine de Hauteclocque au général Leclerc“ in Vingtième siècle Revue d’histoire numéro 58 Paris, 1998 S. 144-146 
[13] Daniel Cordier Jean Moulin l'inconnu du Panthéon, B. 2 „Le Choix d'un destin (juin 1936-novembre 1940)“ Paris, J.C. Lattès, 1989 
[14] Von einer umfassenden historischen Literatur zu diesem Thema sind zu nennen: Robert Paxton La France de Vichy 1940-1944 Paris, Seuil 1974; Marc-Olivier Baruch Servir l’État français. L’administration en France de 1940 à 1944, Paris, Fayard, 1997; Marc-Olivier Baruch  Le Régime de Vichy, Paris, La Découverte, 1996; Henry Rousso Le régime de Vichy Paris, PUF collection „Que sais-je?“ 2007. 
[15] Julien Blanc und Cécile Vast Chercheurs en Résistance. Pistes et outils à l’usage des historiens Rennes, Presses universitaires de Rennes, 2014; Pierre Laborie Le chagrin et le venin Paris, Bayard 2011;  Julian Jackson La France sous l’occupation 1940-1944 Paris, Flammarion 2004;  Julien Blanc Au commencement de la Résistance. Du côté du Musée de l’Homme 1940-1941 Paris, Seuil 2010 
[16]Tristan Lecoq Gustave Monod Une certaine idée de l’École Sèvres, Centre international d’études pédagogiques, 2009 und „L’Inspecteur général qui a dit non“ in L’Histoire, Nummer 357, Oktober 2010 S. 36-37 
[17] Eric Jennings La France libre fut africaine Paris, Perrin 2014 
[18] Diane Grillère und Tristan Lecoq „Enseigner 1940“ wie im 40. Ausstellungskatalog des Armeemuseums Gallimard/Armeemuseum Juni 2020