Der Fall des Netzwerks Alliance
Spi-Fall Dellagnolo - Matrose und Spionage Organisation Alliance: Diese Codenamen zeigen die Schritte der Untersuchung, die in Zusammenarbeit der Gestapo in Straßburg und der SIPO-SD in Paris durchgeführt wurde, um in zwei Etappen, die Mitglieder des Netzwerks Alliance, im Frühjahr 1941 von Georges Loustaunau-Lacau gegründet, zu Fall zu bringen.
Die Auflösung des ersten Netzwerks
Die Affäre nimmt am 12. November 1942 ihren Lauf, als ein gewisser Ferdinand Dellagnolo in Straßburg verhaftet wird. Bei seiner Befragung kommt heraus, dass er im Oktober in Vichy zwei Agenten eines ”wichtigen” Netzwerks getroffen hatte und sich angeboten hatte, Informationen über das annektierte Elsass zu liefern. Der in Marseille ausgebildete Mann machte die Bekanntschaft des ”angeblichen Leiters der Organisation […], der das Pseudonym 'Lion' verwendete” sowie eines Führungsmannes, bekannt ”unter dem Pseudonym 'Hérisson'”. Der Gestapo in Straßburg werden die Zusammenhänge schnell klar: es handelte sich um Léon Faye und Marie-Madeleine Bridou-Méric (auch bekannt als Fourcade-Méric), zwei Menschen, die Georges Loustaunau-Lacau sehr nahe standen. Letzterer war am 18. Juli 1941 verhaftet worden.
Sofort wird die BdS Paris über die Eröffnung der Untersuchung informiert, da die Affäre weite Züge annahm und auch diese Zone betraf. Und er handelte: nach Absprache mit der Abwehr werden die weiteren Untersuchungen an die Dienste in Vichy, Marseille, Nancy und Paris übergeben. Ein deutscher Matrose, Willy Müller, arbeitet als Agent, mit dem Ziel, das Netzwerk zu infiltrieren. Beginnend im Januar 1943 wird den Deutschen klar, dass sie es mit einer Organisation zu tun hatten, die ausschließlich England zu Nutzen kam. Hierzu zählten Sabotageakte, insbesondere in der ehemaligen ”freien” Zone, die allesamt in Verbindung zu Nordafrika standen. Es ist Alliance, die die Abreise von General Giraud organisiert. Schnell identifizierten die deutschen Polizeikräfte Maurice Grapin (”Panda”) als regionalen Verantwortlichen in Marseille, woraufhin dieser Ende Januar verhaftet wurde. Als er sein Schweigen bricht, erhalten die Deutschen mehr Klarheit. Zwischen Januar und April 1943 kommt es zur nahezu vollständigen Auflösung des ersten Netzwerks ”Alliance”.
Während sich die Polizisten der BdS Paris insbesondere um die Verhaftungen kümmerten, wird die BdS Straßburg mit der Erstellung von Akten über die Affäre ”Dellagnolo” betraut (siehe Tonbildschau), zweifelsohne erst ein Anfang, dessen Reichweite noch nicht bekannt war. Dies erklärt den Werdegang der Opfer, der häufig als sehr speziell erachtet wurde. Die meisten Mitglieder des Netzwerks, allesamt inhaftiert im Gefängnis von Fresnes, werden am 27. Mai und am 29. Juni 1943 in die Gefängnisse von Buhl, Offenburg oder Wolfach deportiert, zugehörig zum Gau Oberrhein, zu dem das annektierte Elsass gehört. In dieser Zeit erstellten die Dienste des BdS Straßburg eine Polizeiakte mit entsprechender Beurteilung. Die militärische Natur dieser von der Alliance nach England übermittelten Informationen erklärt zweifelsohne, dass es das Reichskriegsgericht (Rkg), die militärische oberste Rechtsprechung des Reichs, war, die ein Urteil über ihre Mitglieder fällen wird. Am 14. Dezember findet in Fribourgen-Brisgau ein erster Prozess statt. Vor Gericht standen Mitglieder der Sektoren Bouches-du-Rhône, Hérault und des Südwestsektors: alle Angeklagten werden zum Tode verurteilt und am 1. April 1944 in Karlsruhe hingerichtet. Ein zweiter Prozess findet im Februar 1944 statt, der zu Exekutionen am 23. Mai in der Nähe von Ludwigsburg führt.
Eine zweite Welle der Niederschlagung
Vom ersten Fall waren die Leiter der Netzwerke nicht betroffen. Als Marie-Madeleine Bridou-Méric nach London flieht, übernimmt Faye die Leitung über die neue Struktur. Doch die deutschen Nachrichtendienste sind auf der Hut und vorbereitet für das was kommen sollte, die Affäre ”Alliance II”. Am 11. Juni 1943 werden der Sicherheitschef Ernest Siegrist und sein Stellvertreter Louis Payen in Lyon verhaftet. Während der folgenden Hausdurchsuchung werden zahlreiche Dokumente beschlagnahmt. Die Folgen sind schwerwiegend, denn, wie ein Bericht der SIPO-SD unterstreicht, dank dieser Dokumente erhalten die Nachrichtendienste Deutschlands ”einen Gesamtüberblick über die Organisation” sowie zahlreiche Namen und Adressen. Dies führt zum Sturz verschiedener Agenten, unter ihnen der von Faye, Pierre Dayné. Weiterhin wurden Mitglieder der Gruppe zu Verrätern, allen voran Jean-Paul Lien nach Kriegsende, was schnell dazu führte, dass Informationen über die Führung des Netzwerks ans Licht kamen. Folgende Nachricht kündigt die Rückkehr von Faye aus London an - ”Der Walfang ist ein Teufelswerk” - und die Deutschen wissen bereits Bescheid. Kurz nachdem der Leiter der Alliance das Flugzeug verlässt, wird er am 16. September 1943 bereits verhaftet. In den darauf folgenden Wochen kommt es zum Fall von mindestens 220 Agenten.
Und wieder ist es die Gestapo in Straßburg (siehe Tonbildschau), die mit der Erstellung der Akten betraut wird, um sie dann dem Rkg vorzulegen. Der erste Transport von mindestens 35 Inhaftierten verlässt am Abend des 16. Dezember 1943 Paris in Richtung Elsass. Faye ist nicht unter ihnen: er wurde bereits am 27. November deportiert, in aller Eile und in geheimer Mission, nachdem er einen Fluchtversuch gewagt hatte. Der Großteil des Generalstabs des Netzwerks, das größtenteils aufgelöst war, und die Widerstandskämpfer der Westsektoren der Alliance werden einen Monat später, Ende Januar 1944, in die Gefängnisse in Kehl und Pforzheim gebracht. Zwischen März und Juni landen Dutzende Inhaftierte aus anderen Regionen der Alliance im Lager Schirmeck, Elsass, wo ihre Akten zusammengestellt werden. Die Beurteilung nahm sehr viel Zeit in Anspruch und in nur einem Prozess wurden die Widerstandskämpfer der ”Alliance II” am 28. Juni 1944 in Freiburg verurteilt. Léon Faye wird als erster zum Tode verurteilt: er wird am 30. Januar 1945 im Gefängnis von Sonnenburg hingerichtet, während seine verurteilten Kameraden am 21. August 1944 in Heilbronn hingerichtet wurden, unter ihnen Ferdinand Dellagnolo. Die anderen Mitglieder der Gruppe wurden deportiert und bei Eintreffen der alliierten Armeen hingerichtet: 107 in der Nacht vom 1. auf den 2. September 1944 im Konzentrationslager Natzweiler-Struthof, sowie Dutzende andere in deutschen Gefängnissen.
Insgesamt werden über 400 Mitglieder der Netzwerke hingerichtet. Dies unterstreicht die Bedeutung, die die Deutschen diesen Widerstandsorganisationen beigemessen hatten, die im Dienste Girauds standen und militärische Informationen nach England lieferten.
Thomas Fontaine
Historiker, Forscher am Centre d'histoire du XXe siècle, Paris 1
& Cédric Neveu
Historiker, Experte für die Unterdrückung und die Geheimpolizei der Nazis
WEITERE INFORMATIONEN
Die vollständige deutsche Akte über die Organisation Alliance ist unter der Unterserie GR 28P 3 kategorisiert.