Die Erinnerung als diplomatisches Instrument
Sous-titre
Gespräch mit General Jean-Pierre Metz - Verteidigungsattaché in Deutschland
General Metz ist für die Wahrung und Entwicklung der französischen Verteidigungsinteressen in Deutschland zuständig. Er informiert über die Besonderheiten und die diplomatischen Auswirkungen der gemeinsamen deutsch-französischen Erinnerung. Er unterhält ständige Kontakte zu seinen deutschen Gesprächspartnern und organisiert jedes Jahr mehrere Aktionen, um dieses Bewusstsein lebendig zu halten.
General Jean-Pierre Metz, Verteidigungsattaché in Deutschland
Welchen Stellenwert hat die Erinnerung an die Kämpfer in den bilateralen deutsch-französischen Verteidigungsbeziehungen?
Die bilateralen deutsch-französischen Verteidigungsbeziehungen sind besonders facettenreich und umfassen nahezu alle Bereiche. Sie umfassen zahlreiche Zukunftsprojekte, die oft komplex und strukturbestimmend für unsere beiden Nationen sind, wie z. B. im Bereich der Rüstung, für Luft- und Raumfahrt und für gepanzerte Fahrzeuge. Sie umfassen vor allem im Bereich der Ausbildung unserer jungen Offiziere einen wesentlichen Anteil. Aber auch die Erinnerung nimmt einen wichtigen Platz ein, und aufgrund der Geschichte zwischen unseren beiden Ländern ist sie immer unterschwellig vorhanden. Sie ist natürlich ein zentrales Element der deutsch-französischen Versöhnung und inzwischen auch der deutsch-französischen Zusammenarbeit. Dennoch unterscheidet sie sich in ihrem Selbstverständnis: Eine voll akzeptierte und gewachsene Erinnerung an die Kämpfer auf französischer Seite steht im Gegensatz zum deutschen Ansatz, bei dem es aus den bekannten historischen Gründen weniger um die Ehrung des Kämpfers als vielmehr um das Gedenken an alle Opfer geht, mit ausgeprägten Anklängen von Reue und Selbstkritik.
Dennoch sind gemeinsame deutsch-französische Aktivitäten durchaus möglich, wobei diese grundlegenden Unterschiede respektiert werden müssen. Wenn man noch einen Schritt weitergehen will, sind es die gemeinsamen Ereignisse, die das französische und das deutsche Gedenken einander näher bringen. In Deutschland ist es zum Beispiel nicht üblich oder sogar heikel, dass ein bewaffnetes deutsches Militärkommando an einer Gedenkfeier vor einem Kriegerdenkmal außerhalb einer militärischen Anlage teilnimmt, während dies in Straßburg inzwischen allgemein akzeptiert und sogar gewünscht wird, wo die Soldaten des in Illkirch stationierten 291. deutschen Bataillons der deutsch-französischen Brigade - in Waffen - neben ihren französischen Kameraden an diesen Zeremonien teilnehmen.
Hat die Erinnerung an die beiden Weltkriege heute noch Auswirkungen auf die Diplomatie und insbesondere auf die Verteidigung?
Obwohl diejenigen, die den Zweiten Weltkrieg kannten und direkt miterlebt haben, immer weniger werden und obwohl die heutigen Generationen und insbesondere die Jugendlichen eher in die Zukunft blicken, ist diese Erinnerung immer noch sehr präsent. Im kollektiven Unterbewusstsein bleibt dieser Konflikt der einprägsamste, und das nicht nur, weil es der letzte ist. In dieser Hinsicht gilt der deutsch-französische Aspekt von Berlin aus gesehen eher für den Krieg von 1914-18 als für den Krieg von 1939-45. Auch wenn beide Konflikte Gegenstand starker und eher positiver symbolischer Gesten sind, sagen die Orte, an denen diese stattfinden, viel über die Art der Erinnerungsarbeit aus, die mit jedem dieser Kriege verbunden ist.
So finden die Gedenkfeiern zum Ersten Weltkrieg in Anwesenheit der Staatschefs in Verdun (F. Mitterrand und H. Kohl 1984) oder in Le Vieil-Armand (F. Hollande und J. Gauck 2014, dann E. Macron und F.-W. Steinmeier 2017) statt, die zum Zweiten Weltkrieg in der Normandie, an den Landungsorten der Alliierten, oder in Oradour-sur-Glane (F. Hollande und J. Gauck 2013). Trotz des Unterschieds in der Art der Erinnerung an diese beiden Konflikte ist die deutsch-französische Beziehung eher vorbildlich und gänzlich friedlich. Dies ist nicht immer der Fall bei Deutschlands Beziehungen zu den Ländern in Ost- und Südosteuropa, wo die Wunden, die durch die Verbrechen gegen die Menschlichkeit und die Kriegsverbrechen des Dritten Reichs verursacht wurden, manchmal noch frisch sind. Doch die Bemühungen um Normalisierung mit diesen Ländern werden fortgeführt, und sie wurden seit dem Fall der Mauer und der Wiedervereinigung beschleunigt und durch die europäische Integration und die NATO vorangetrieben. Bisweilen fühlt sich Berlin aufgrund dieser schwierigen Vergangenheit und seiner besonderen historischen Verantwortung gegenüber seinen mittel- und osteuropäischen Nachbarn zu besonderer Einsatzbereitschaft und Solidarität verpflichtet, wenn es zu internationalen Spannungen kommt.
Frankreich verfügt über ein steinernes Gedenkerbe in Deutschland. Worin besteht seine Bedeutung als Pfeiler des gemeinsamen deutsch-französischen Gedenkens?
Die Berliner Verteidigungsmission hat über 200 französische Gedenkstätten in Deutschland ermittelt. Hierbei handelt es sich um Stelen, Denkmäler, Friedhöfe und Gräber, von denen einige bedeutsame Stätten sind, wie z. B. das Turenne-Denkmal in Sasbach oder das Hoche-Denkmal in Weissenturm, andere sind einfache Gräber und Stelen von französischen Kriegsgefangenen, die in den Lagern starben, in denen sie während der letzten drei Kriege inhaftiert waren. Für den Zweiten Weltkrieg kommen noch die vielen Orte hinzu, an denen die Opfer des Nationalsozialismus auf unterschiedliche Weise gelitten haben.
Man sollte erwähnen, dass auch viele andere Nationen in Deutschland ein Gedenkerbe besitzen, das hauptsächlich mit der schmerzhaften Zeit des Nationalsozialismus in Zusammenhang steht. So sind an rund 4.000 Orten mehr als 600.000 Zivilisten und Militärangehörige der ehemaligen UdSSR, Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter, Deportierte und Kämpfer, die zwischen 1941 und 1945 starben, bestattet. Auf einem Friedhof in Hamburg ruhen 6.000 Italiener, die ab September 1943 in Gefangenen-, Zwangsarbeiter- und Konzentrationslagern umkamen.
Nach den Vorgaben des Verteidigungsattachés und in Zusammenarbeit mit den französischen diplomatischen Vertretern der französischen Botschaft und der französischen Konsulate in Deutschland sowie mit dem Souvenir Français, das durch einen Generaldelegierten vertreten wird, organisieren französische Soldaten, die in zahlreichen Einrichtungen in Deutschland eingesetzt sind, so weit wie möglich Zeremonien an französischen Gedenkstätten oder nehmen daran teil. Die Deutschen, ob zivil oder militärisch, sind in der Regel daran beteiligt, sofern sie nicht selbst initiativ geworden sind. Es sind vor allem die Lager für Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter und Deportierte, die regelmäßig von Familien ehemaliger Häftlinge sowie von französischen Vereinen und interessierten Personen besucht werden. Wenn es sich um Schüler handelt, dann geschieht dies im Rahmen der Arbeit ihrer Lehrer und es werden eher Schüler von französischen Bildungseinrichtungen in Deutschland angesprochen. In diesem Fall gibt es häufig gleichermaßen französische und deutsche Schüler oder sogar Schüler aus anderen Ländern, die an diesen Schulen unterrichtet werden.
Die letzten Jahre waren von zahlreichen deutsch-französischen Gedenkzyklen geprägt. Haben die deutschen Behörden gegenüber der Verteidigungsmission in Berlin den Wunsch geäußert, sich an diesen Gedenkfeiern zu beteiligen?
Die deutschen Behörden erhielten von ihren französischen Amtskollegen die Einladung, an allen großen Gedenkfeiern zu diesen Ereignissen teilzunehmen, die in Frankreich stattfanden. In Deutschland wecken der Krieg von 1870 und der Große Krieg nicht das gleiche Interesse wie in Frankreich. Diese Konflikte werden durch die Ereignisse der Jahre 1933-45 teilweise verdrängt, auch wenn sich immer mehr Historiker in ihren Arbeiten damit befassen.
Gedenkfeier für 117 französische Soldaten, die 1871 in Gefangenschaft starben, Friedhof Kaditz, Dresden, 10. Mai 2021.
© Association Denk Mal Fort! e.V. - Die Erinnerungswerkstatt Dresden
Wenn jedoch Gedenkveranstaltungen für diese beiden Kriege auf nationaler oder regionaler Ebene organisiert werden, sind die Verteidigungsmission und das französische Militär in der überwiegenden Mehrheit der Fälle daran beteiligt. So bat uns beispielsweise ein Verein aus Dresden, am 10. Mai an einer Gedenkfeier für 117 französische Soldaten teilzunehmen, die 1871 in Gefangenschaft verstarben und in Kaditz auf dem dortigen Friedhof beerdigt wurden. Es war eine sehr bewegende Zeremonie in Anwesenheit zahlreicher ziviler und militärischer Vertreter aus Dresden, einer Stadt, die übrigens sehr von ihrer Zerstörung in den letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs gezeichnet ist, und bei der die Schüler die Namen, Vornamen und Heimatdörfer der hier ruhenden Franzosen vorlasen.
Als Verteidigungsattaché in Berlin sind Sie regelmäßig mit der Organisation von Gedenkfeiern befasst. Beziehen Sie das französische und/oder deutsche Schulpublikum in diese Gedenkveranstaltungen mit ein?
Es ist in der Tat üblich - abgesehen von der Zeit während der Gesundheitskrise -, dass Kinder der französischen Grundschule in Berlin, der École Voltaire, an den Zeremonien zum 8. Mai und 11. November teilnehmen, die die Verteidigungsmission am französischen Denkmal im ehemaligen Quartier Napoléon organisiert. Zu dieser Gedenkfeier, die von der französischen Botschafterin in Deutschland ausgerichtet wird, sind auch Vertreter der Bundeswehr sowie einige Verteidigungsattachés, ehemalige französische Soldaten und Veteranen, unter anderem auch aus der Fremdenlegion, die in Berlin leben, eingeladen. Zu diesem Anlass singen die Kinder die deutsche und die französische Nationalhymne, die sie in der Klasse im Rahmen einer Vorbereitungsarbeit mit den Lehrkräften gelernt haben. Da sie nur selten die Gelegenheit haben, mit französischen Soldaten in Kontakt zu kommen und mit ihnen zu sprechen, sind die Kinder neugierig und sehr interessiert.
Ich weiß, dass dies auch in einigen anderen deutschen Städten der Fall ist, obwohl die Einbeziehung von Schulklassen in Gedenkfeiern immer noch ausbaufähig ist.