Die Erschließung von Gedenkstätten für den Tourismus
Der Besuch von Gedenkstätten in Frankreich erlebt einen beispiellosen Aufschwung, der durch zahlreiche Projekte anlässlich der jüngsten Gedenkfeiern zu den beiden Weltkriegen angetrieben wird. Eine Tourismusgestaltung, die in Deutschland, wo der Umgang mit den Spuren der jüngsten Vergangenheit zahllose Fragen aufwirft, deutlich anders aussieht.
Die Landungsstrände in der Normandie wie auch die Stätten des Ersten Weltkriegs in Nord- und Ostfrankreich sind in den letzten Jahren zum Gegenstand eines stetig wachsenden Tourismus geworden. Diese Begeisterung für zeitgenössische Konfliktorte entspricht einer neuen Form des Gedenkens und einer überarbeiteten Museumsgestaltung, die in Frankreich vom Staat und den Gebietskörperschaften gefördert wird.
Schon vor dem Ende des Großen Krieges wurde versucht, die Spuren des Konflikts in das kulturelle Erbe einzubeziehen. Eine Kommission für Kriegsrelikte und -erinnerungen unter der Leitung des Architekten André Ventre erfasst und verzeichnet die bemerkenswerten Stätten, die es zu erhalten gilt: Schützengräben, Schießplattformen, Bunker, Unterstände, Höhlen usw. Ziel ist es, eine Auswahl dieser „tragischen Erinnerungen zu bewahren und an künftige Generationen weiterzugeben". Die ersten Reiseführer wurden veröffentlicht, um „Touristen" auf die Schlachtfelder zu führen und die Überreste zu entdecken. So veröffentlichten die Brüder Michelin bereits 1917 ihren ersten blauen Schlachtfeldführer und schufen damit eine regelrechte Sammlung, die sie auf andere Fronten ausdehnten und bis Ende der 1920er Jahre mit fast 2 Millionen verkauften Exemplaren fortsetzten. So begann, wie auch schon an anderen Orten der ehemaligen Front, der Gedenktourismus.
1921 wurde den Familien der für Frankreich Gefallenen eine kostenlose Zugfahrt pro Jahr zum Beerdigungsort ihres Verstorbenen gewährt. Die Inbrunst der Kriegsveteranen, Witwen und Waisen, die auf diese Weise auf Pilgerfahrt gingen, bestand ab dem Ende des Krieges neben einem organisierten Tourismus für viele Menschen, die neugierig waren, die Stigmata aus der Nähe zu sehen. Unter ihnen befanden sich viele Ausländer, allen voran Briten und Amerikaner. Deutsche fehlten nach dem Ersten Weltkrieg nicht bei den Pilgerreisen an die Westfront, auch wenn sie erst in den frühen 1930er Jahren in Gruppen auftauchten, die von dem 1919 gegründeten Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge organisiert wurden und Veteranen und Reisende bis nach Frankreich führten, oft mit einem Abstecher nach Paris und seinen Denkmälern.
Der Zweite Weltkrieg unterbrach zwar diese Pilgerfahrten, aber der 50. Jahrestag des Großen Krieges trug zu einer Musealisierung des Krieges bei, insbesondere durch die Einweihung des Denkmals von Verdun im Jahr 1967. Zu diesem Zeitpunkt wollten die Veteranen von 14-18 ihr Zeugnis und ihre Botschaft an den Orten der Kämpfe hinterlassen. Nach einer langen Phase des Rückgangs der Erinnerung an die Kämpfe in Frankreich während der 1970er und 1980er Jahre kristallisierte sich der Begriff „Gedenktourismus" in den 1990er Jahren heraus, als sich allmählich der Übergang von einem „Pilgertourismus" zu einem „Geschichtstourismus" vor allem um die Stätten des Ersten Weltkriegs vollzog. Ein Wandel, der sich durch das allmähliche Verschwinden der Kriegsveteranen erklären lässt, was zu einer tiefgreifenden Veränderung der Art des Tourismus, der Praktiken und der Motivationen der Besucher führte. Diese Entwicklung wäre anhand des jüngsten Beispiels der Hundertjahrfeier des Ersten Weltkriegs zu überdenken.
Der Wendepunkt der Hundertjahrfeier
Der hundertste Jahrestag des Großen Krieges war von beispiellosen Investitionen der lokalen Gebietskörperschaften an der ehemaligen Front geprägt, um in Partnerschaft mit dem Staat das Angebot an Gedenkstätten zu erneuern. Viele Museen und Sehenswürdigkeiten wurden umgestaltet, während neue Besichtigungsorte ihren Betrieb aufnahmen. Im November 2014 wurde der Ring des Gedenkens in der Nähe der Nekropole Notre-Dame de Loretteeingeweiht, auf dem die Namen der 580.000 Soldaten aller Nationalitäten zu lesen sind, die in den Départements Nord und Pas-de-Calais gefallen sind. Heute grenzt er an das neue Interpretationszentrum Lens 14-18 , dessen Name im Sinne eines kulturellen und touristischen Reiseziels an die Präsenz des Museums Louvre-Lens in der Nähe erinnert. Das Musée-territoire 14-18 : la ligne rouge (2014) im Département Oise erschließt das Erbe des Großen Krieges in diesem Département und füllt eine Lücke zwischen den großen Stätten der Somme und der Aisne. Die Restaurierung des Denkmals von Verdun (2016), mit seiner neuen Museumslandschaft und die Gründung eines EPCC Mémorial de Verdun - Champ de bataille, soll nunmehr die gesamte Gedenkstätte im Département Meuse aufwerten, wobei auch die Forts Vaux und Douaumont in das touristische Angebot einbezogen werden. Angesichts des Besucherstroms aus Großbritannien hat das Historial de Péronne seinen Satellitenstandort Thiepval (2016) vollständig renoviert, wobei insbesondere das illustrierte Wandgemälde des Künstlers Joe Sacco installiert wurde. Auf deutsch-französischer Ebene kennzeichnet die Einweihung der deutsch-französischen Gedenkstätte Hartmannsvillerkopf (2018) die Rückkehr des Elsass in die Riege der Gedenkstätten des Ersten Weltkriegs, die im Zusammenhang mit der Erschließung der ehemaligen Frontlinie in den Vogesen für den Tourismus steht. Zu guter Letzt ist die Einrichtung eines Besucherzentrums auf dem Chemin des Dames in der Caverne du Dragon (Drachenhöhle) (2019) der Höhepunkt eines Projekts, das gezielt auf den Empfang von Touristen auf dem gesamten Schlachtfeld ausgerichtet ist.
An all diesen Orten wurde während der Hundertjahrfeier auch ein Freiluftangebot bereitgestellt, das aus Schlachtfeldrundgängen, Gedenkwegen und anderen Erinnerungspfaden bestand, die durch die Veröffentlichung zahlreicher Karten und Reiseführer angekurbelt wurden. Hervorzuheben sind die aktualisierte und kommentierte Ausgabe der Michelin-Führer der Schlachtfelder in Papierform und als E-Books, ein Guide du routard „Grande Guerre 14-18, les chemins de mémoire", IGN-Karten der wichtigsten Frontabschnitte und nicht zu vergessen Hunderte von Broschüren der verschiedenen Fremdenverkehrsämter, die zwischen 2014 und 2018 veröffentlicht wurden.
Die Hundertjahrfeier war den Bemühungen um die Entwicklung echter Reiseziele im Zusammenhang mit dem Gedenken an zeitgenössische Konflikte gewidmet, die durch die zunehmenden Angebote im Bereich des E-Tourismus vorangetrieben wurden. Ein Phänomen, das auch in der Normandie rund um die D-Day-Strände stark ausgeprägt ist. Die Förderung des Gedenkens verlief somit entsprechend einer Hybridisierung der Vorgehensweisen, die wiederum eine direkte Folge der Investition der lokalen Akteure in das Internet war. Soziale Netzwerke und sogar Youtuber werden mittlerweile häufig eingebunden, um noch mehr Besucher anzuziehen. Dies zeigt sich sowohl in der Tatsache, dass eine große Anzahl von Menschen auf der Suche nach ihrem eigenen familiären Gedenken unterwegs ist, als auch in den zahlreichen Besuchern, die sich von der Geschichte angezogen fühlen, oder auch in den Anhängern eines grünen Tourismus, der sich auf die Natur und die Landschaften oder die Wiederentdeckung eines lokalen Erbes konzentriert. Ein weiterer Trend zeigt sich in der Auflockerung der historischen Epochen wie im Museum Krieg und Frieden in den Ardennen (2018), das eine Museumslandschaft bietet, die vom Krieg von 1870 bis zum Zweiten Weltkrieg reicht. Die touristische Erschließung geht außerdem mit einer Vernetzung der Akteure des Gedenktourismus einher, beispielsweise mit dem Reisezielvertrag „Erster Weltkrieg" oder „Gedenktourismus in der Normandie" auf Initiative der Agentur Atout France oder auch mit dem Netzwerk Mém'Histo, das die Museen für zeitgenössische Geschichte und Gedenken in der Region Hauts-de-France im Sinne einer territorialen Zusammenarbeit vereint, sowie auch mit dem Netzwerk der Museen und Gedenkstätten für zeitgenössische Konflikte, das vom französischen Armeeministerium betreut wird.
Die touristische Erschließung dieser Gedenkstätten setzt schließlich eine Anpassung an die neuen Praktiken voraus, die mit dem digitalen Zeitalter vor Ort verknüpft sind. Das neu erwachte Interesse wurde während der Hundertjahrfeier des Großen Krieges auch durch Modernisierungsbemühungen gefördert, die von den lokalen und regionalen Gebietskörperschaften mit Unterstützung des Staates durchgeführt wurden. Dies ist der Fall für das Denkmal von Verdun mit einer immersiven Führung, Touchscreen-Terminals und jetzt auch 3D-Brillen, oder die Einführung einer vollständig immersiven Szenografie und großer interaktiver Tische im australischen John Monash Centre in Villers-Bretonneux (2018) und in der Drachenhöhle (2019), die es ermöglichen, die umliegenden Stätten besser zu erkunden. Schließlich sind die Anstrengungen zu erwähnen, die während der Hundertjahrfeier unternommen wurden, um an sehr vielen Orten eine mehrsprachige Vermittlung anzubieten (Schilder, die in mehrere Sprachen übersetzt oder zusammengefasst wurden, Audioguides oder Führungen hauptsächlich in Englisch, Deutsch und Niederländisch).
Deutschland: Bürgersinn statt Gedenktourismus
Militärfriedhöfe, Denkmäler oder Gebäude, die mit dem Ersten Weltkrieg im Zusammenhang stehen, sind zwar immer noch zahlreich, haben aber in Deutschland, wo sich das Gedenken an den Ersten Weltkrieg längst in dem des Zweiten Weltkriegs aufgelöst hat, nicht die gleiche Aufmerksamkeit erhalten. Seit 1952 wird beispielsweise mit dem nationalen Trauertag sowohl der „Opfer" des Ersten als auch des Zweiten Weltkriegs gedacht. Während der Begriff des Gedenktourismus in Frankreich mittlerweile institutionalisiert ist, ist er auf der anderen Seite des Rheins nicht selbstverständlich, wo die Vorstellung von Tourismus (verbunden mit Freizeit) und Gedenken (verbunden mit Kultur, Trauer und Pädagogik) klar voneinander getrennt sind. Ethische und moralische Fragen nehmen in der öffentlichen Debatte einen großen Raum ein, wenn es um die Bedeutung einer Gedenkstätte geht. Inzwischen gehört der Gedenktourismus aber auch zur Tourismusindustrie, die in Deutschland Fragen aufwirft. Der Begriff Dark Tourism oder dunkler Tourismus rund um Orte des Krieges, von Katastrophen oder Völkermord wird dort oft in den Vordergrund gerückt, um die kommerzielle Nutzung des Gedenkens zu kritisieren.
Ein Kind besucht das DDR Museum, Berlin. © Franck Viltart
Der Gedenktourismus als Mittel zur Steigerung der Attraktivität scheint in der deutschen Auffassung des Gedenkens, bei der die staatsbürgerliche und pädagogische Dimension nach wie vor im Vordergrund steht, kaum lösbar zu sein. Dies erklärt, warum das erklärte Ziel der meisten Gedenkstätten darin besteht, der Öffentlichkeit ein möglichst objektives Verständnis der Geschichte zu ermöglichen und ihr pädagogische Hilfsmittel an die Hand zu geben. Der Schwerpunkt liegt daher auf der Qualität des historischen und pädagogischen Vortrags und der Umsetzung von Vermittlungsinstrumenten (Ausstellungen, Workshops, Besucherhefte, Multimedia-Anwendungen usw.). Es geht hier nicht darum, mit Emotionen zu spielen oder die Vergangenheit neu zu erfinden. Diese Abkehr vom eigentlichen Begriff des Gedenktourismus lässt sich vor allem durch den Geschichtsunterricht in der Schule erklären, der in Deutschland den Wissenserwerb durch Recherchen an Gedenkstätten, in Museen, Bibliotheken oder auch Archiven in den Vordergrund stellt. Der Erwerb von Kenntnissen über Gedenkstätten in einem pädagogischen Rahmen soll Empathie für die Opfer, die in der Vergangenheit gelitten haben, und eine Form von Respekt ihnen gegenüber wecken. Des Weiteren wird in Deutschland immer wieder die Frage gestellt, wie man jegliche Form der Verherrlichung von Taten, die im Namen des Nationalismus begangen wurden, oder von Ideen, die eine Faszination auslösen könnten, verhindern kann, selbst wenn dies unbeabsichtigt geschieht. Der Besuch einer Gedenkstätte entspricht eher einer staatsbürgerlichen Pflicht als einem Freizeitvergnügen und ist Teil eines gemeinsamen Weges, der jedem deutschen Bürger offensteht, um ihn an die Grundlagen der Demokratie zu erinnern. Seit 2005 dürfen Gedenkstätten zum Beispiel nur dann öffentliche Zuschüsse erhalten, wenn sie den Besuchern in Ausstellungen oder auf Rundgängen einen pädagogischen Teil anbieten. Es handelt sich um eine pädagogische Dimension, die ein besseres Verständnis dafür vermittelt, wie Gedenkstätten in Deutschland gestaltet werden.
Berlin die „Stadt der Erinnerung"
Berlin ist das beste Beispiel für diesen deutschen Ansatz der Aufwertung von Gedenkstätten und hat sich in den letzten Jahren als europäische Hauptstadt der Erinnerungskultur etabliert. Als Zeitzeuge der Verbrechen des Nationalsozialismus und der Spannungen des Kalten Krieges war die Hauptstadt des wiedervereinigten Deutschlands lange Zeit zwischen der Pflicht des Gedenkens und dem Wunsch, einige der Spuren ihrer jüngsten Vergangenheit zu verwischen, hin- und hergerissen. Angesichts der Herausforderungen einer großen europäischen Metropole und des globalisierten Tourismus hat sie es verstanden, ihre zahlreichen Gedenkstätten so weit aufzuwerten, dass sie einen wichtigen Teil ihrer Identität ausmachen.
Diese Metamorphose der Stadt drückt sich vor allem in der Zunahme von Gedenkstätten aus, die mit dem Holocaust in Verbindung stehen. Die Dauerausstellung Topographie des Terrors, die seit 1987 in den Ruinen des Gestapo-Hauptquartiers untergebracht ist, war früher das Ziel zahlreicher Besuche von Touristen. Nach einer öffentlichen Debatte wurde beschlossen, dort ein Dokumentations- und Interpretationszentrum einzurichten. Das beeindruckende Denkmal für die ermordeten Juden Europas direkt neben dem Brandenburger Tor ist ein riesiges Feld aus Betonstelen, das der Architekt Peter Eisenmann in den Jahren 2003-2005 geschaffen hat. In Zusammenhang mit diesen Stätten steht die KZ-Gedenkstätte Oranienburg-Sachsenhausen, die mit der S-Bahn nur 45 Minuten vom Stadtzentrum entfernt ist. Sie bietet zahlreiche Führungen an und unterstützt wichtige Bildungs- und Forschungsprojekte rund um die KZ-Außenlager, die in Berlin oder im Bundesland Brandenburg zu finden sind. So auch das Lager Schöneweide in Berlin, das heute das Dokumentationszentrum für NS-Zwangsarbeit mit einer Dauerausstellung über die Ausbeutung europäischer Arbeitskräfte durch die Nazis beherbergt.
Passanten und Künstler begegnen sich anlässlich des 20. Jahrestags des Falls der Berliner Mauer vor der East Side Gallery, dem ehemaligen Standort der Berliner Mauer. © Franck Viltart
All diese Orte sind mittlerweile Etappenziele für ausländische Touristen, die in Berlin, der drittbeliebtesten Metropole Europas, immer häufiger anzutreffen sind. Ein wahres Paradoxon für diese Stadt der Erinnerung, in der die meisten Spuren der Vergangenheit durch Bomben zerstört oder von Bulldozern überrollt wurden. Gedenkstätten und Erklärungstafeln sind mittlerweile in jedem Stadtteil zu finden, obwohl diese verwaltungstechnisch unabhängig sind. Die divergierenden Ansichten und unterschiedlichen Kompetenzen der lokalen Akteure führten im Übrigen zu zahlreichen Schwierigkeiten bei der Einigung über die touristische Erschließung der verschiedenen Gedenkstätten in der Stadt. Das markanteste Beispiel ist nach wie vor die offensichtliche Verwischung der Spuren der Teilung der Stadt und des Erbes der DDR. Nach der Wiedervereinigung 1990 wurde versucht, die Mauer, die die Stadt seit 1961 in zwei Hälften teilte, zu entfernen, so dass es Anfang der 2000er Jahre sehr schwierig war, ihren Verlauf zu erkennen. Von den 155 Kilometern blieben nur die 1200 Meter der East Side Gallery, die den Künstlern gewidmet war, in ihrem ursprünglichen Zustand erhalten. Man beschloss daher, einen Fußgänger- und Fahrradweg entlang des Mauerwegs anzulegen. Der Großteil ihrer touristischen Erschließung fiel jedoch privaten Unternehmen zu, wie dem berühmten Checkpoint Charlie, dem Grenzübergang zwischen dem amerikanischen und dem sowjetischen Sektor, oder dem DDR Museum (2006) das sich mit der Ostalgie und dem Alltagsleben in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik auseinandersetzt. Es dauerte fast zwanzig Jahre, bis sich die Stadt des mit den Spuren der Mauer verbundenen Gedenktourismus annahm, insbesondere durch die Modernisierung der 1998 eröffneten Mauergedenkstätte an der Bernauerstrasse und die Einrichtung einer Freiluftausstellung mit einer Ansicht des Niemandslandes rund um einen erhaltenen Teil der Mauer, eines Besucherzentrums und eines Dokumentationszentrums. Auch heute noch teilen sich private und öffentliche Akteure die touristische Erschließung rund um die Überreste der Berliner Mauer. Im Jahr 2019 hat das Unternehmen Time Ride Bustouren eingeführt, bei denen man die Berliner Mauer mithilfe einer 3D-Brille in virtueller Realität erleben kann. Die Stadt hat sich nach und nach eine Identität als Stadt der Erinnerung aufgebaut, mit ihren Höhen und Tiefen, mit ihren Erinnerungsschichten, wobei es dem internationalen Touristen jedoch gelingt, seine eigene historische Vorstellungswelt des Zweiten Weltkriegs und des Kalten Krieges zu projizieren. Eine Identität, die die Stadt und das Land Berlin angesichts der vielfachen Kritik an der Darstellung einer konfliktreichen und für die Deutschen schmerzhaften Form der Vergangenheit zu steuern versuchen. Davon zeugt die Wiedererrichtung des Hohenzollernschlosses an der Stelle des ehemaligen Palastes der Republik der DDR im Herzen der Stadt, das an die preußische Vergangenheit der Stadt erinnern soll.
In Frankreich entstand der Gedenktourismus während des Ersten Weltkriegs. Seitdem wird durch die Schaffung oder Einrichtung von Gedenkstätten die Aufmerksamkeit für bedeutende Jubiläen und deren Gedenkfeiern fortgeführt, wie seit dem Ende der Hundertjahrfeier des Großen Krieges zu beobachten ist. Die touristische Erschließung zeichnet sich durch Raumplanungs- und Reisezielprojekte lokaler Akteure aus und ist Ausdruck einer Nachfrage der Gesellschaft und ihres sensiblen Verhältnisses zur Geschichte, das einem ein Gefühl der Sicherheit vermitteln kann. Ein Phänomen, das es auch ermöglicht, ein umfassendes Erbe zu bewahren und wertzuschätzen, indem es die Weitergabe der Erinnerung an eine möglichst große Zahl von Menschen sicherstellt. Im Vergleich hierzu wird in Deutschland der Zusammenhang zwischen Gedenken und Tourismus nur sehr schwer begriffen. Die Präsenz und der Umgang mit Erinnerung und Geschichte im öffentlichen Raum muss vor allem den in der Gesellschaft sehr präsenten staatsbürgerlichen und pädagogischen Herausforderungen entsprechen, wobei darauf zu achten ist, nicht in die Falle von Emotionen, Sensationen oder jeglicher Form von „Positivierung" der Vergangenheit zu tappen. Ansätze, die sich im Hinblick auf die europäische und demokratische Dimension des Besuchs dieser Orte weiterhin gegenseitig inspirieren müssen. Ein Blick über den Tellerrand, der schließlich die ganze Problematik offenbart, von einer gemeinsamen Erinnerung an diesen Orten zu sprechen, die ganz offensichtlich den Blick des anderen berücksichtigen müssen.
Franck Viltart - Leiter der Abteilung für den Chemin des Dames und das Gedenken, Rat des Departements Aisne
Orte der Pädagogik
Führung durch das Museum der Schlacht von Fromelles: Sekundarschüler lernen die Besonderheiten der deutschen Uniformen kennen. Museum der Schlacht von Fromelles/MEL©Alexandre Traisnel
Die Attraktivität von Gedenkstätten hängt auch von ihrer Fähigkeit ab, ein innovatives pädagogisches Angebot bereitzustellen. Um Familien und jüngere Kinder anzusprechen, bieten viele Einrichtungen in Frankreich Führungen für junges Publikum und sogar eigene Bereiche für Familien mit Kindern an. Lehrern und Schülern wird eine ganze Reihe von Besichtigungen angeboten, die je nach Stufe differenziert sind: Grundschule, Realschule, Oberschule und pädagogische Projekte. In vielen Museen können Schulführungen inzwischen mithilfe von digitalen Medien, Tablets oder Audiophonen durchgeführt werden. Die Gedenkstätte in Caen bietet außerdem Web-Dokumentationen oder Multimedia-Alben in Form von Online-Comics (das Album von Rachel und Hannah) für die Arbeit im Unterricht oder zur Vorbereitung des Besuchs an.
Hervorzuheben ist auch die Vielfalt der Themen, die in pädagogischen Workshops angeboten werden. Das Museum de la Grande Guerre du Pays de Meaux bietet nicht weniger als 21 verschiedene Workshops für Schulklassen an, um den Ersten Weltkrieg mithilfe von Comics, Fotografien oder auch Filmen zu thematisieren. Das Museum der Schlacht von Fromelles, bietet über den Einsatz Australiens im Ersten Weltkrieg den Workshop „Wissenschaft und Geschichte" an. Nicht weit davon entfernt hat das Museum La Coupole, in der Nähe von Saint-Omer ein ganzes Jugendprogramm entwickelt, das der Wissenschaft und der Eroberung des Weltraums gewidmet ist. Dieser ehemalige Lager- und Startplatz der deutschen V2-Raketen wurde in ein Geschichtszentrum und ein Planetarium umgewandelt.
BerlinHistory: Eine App, um das historische Berlin zu erkunden
Die von einem gemeinnützigen Berliner Verein in Zusammenarbeit mit den Museen und Archiven der Stadt entwickelte App
bietet tausende georeferenzierte Fotografien Berlins von 1933 bis 1990. Mithilfe einer Karte können Sie sich durch die Stadt bewegen
und die Orte entdecken, an denen die Schlacht um Berlin 1945 oder der Fall der Mauer 1989 stattfanden.
Die App wurde 2020 und 2021 mit zahlreichen Preisen für digitale Innovation ausgezeichnet. Die App ist auf Deutsch und Englisch verfügbar.
Stolpersteine: Steine der Erinnerung
Stolpersteine: Steine der Erinnerung. © Franck Viltart
In Berlin ist es nicht ungewöhnlich, auf kleine kupferfarbene Pflastersteine zu stoßen, die überall auf den Gehwegen der Stadt zu finden sind und Stolpersteine genannt werden. Seit 1993 hat der Künstler Gunter Demnig Hunderte von Metallpflastersteinen verlegt, die in die Gehwegplatten eingelassen sind und auf denen die Namen von Opfern des Naziregimes graviert sind, die zwischen 1933 und 1945 verfolgt, deportiert oder ermordet wurden. Sie befinden sich vor den Eingangstüren der Gebäude, in denen die Opfer wohnten. Eine Möglichkeit, die Opfer zu ehren, derer vor ihrem letzten bekannten Lebensort gedacht wird. Beim Anblick dieser Pflastersteine bekommt eine Wohnung, ein Gebäude oder eine ganze Straße für den Durchreisenden eine völlig neue Dimension. Anfangs illegal verlegt, sind die Stolpersteine heute in fast ganz Deutschland und in vielen europäischen Städten sowie in Argentinien zu finden. In Berlin gibt es knapp 7.000 und in Europa über 70.000. Übrigens: Die Bitte um einen Pflasterstein kommt meist von Nachkommen oder von Bürgern, die sich in der Erinnerungsarbeit engagieren. Heute bieten diese Pflastersteine eine neue Form des Gedenkens im öffentlichen Raum.
Weitere Informationen unter www.stlopersteine.eu