Die institutionellen Herausforderungen des Freien Frankreichs
Am 10. Juli 1940 löst sich das Parlament auf und stimmt mit überwältigender Mehrheit für die Übertragung der verfassunggebenden Gewalt an Marschall Pétain. Von Vichy aus führt der Marschall ein durch und durch autoritäres, antidemokratisches und antirepublikanisches Regime ein, das “französischer Staat” genannt wird und eine “nationale Revolution” herbeiführen soll, sein ideologisches Projekt. Jedoch hat die Republik formell nicht zu existieren aufgehört. Die Mehrdeutigkeit wird von Pétain raffiniert gepflegt, indem er zwar die Devise der Republik durch die drei Vichy-Begriffe “Arbeit, Familie, Heimat” ersetzt, aber die Marseillaise und die Trikolore beibehält. So hat der Marschall auch nie, obwohl er dazu das Mandat erhielt, eine neue Verfassung für Frankreich vorgelegt, sondern gab sich mit der Macht zufrieden, die er sich durch seine konstitutionellen Akte gegeben hatte: die ersten vier, die am 11. und 12. Juli 1940 verkündet wurden, gaben ihm die exekutive, legislative und sogar die richterliche Gewalt.
Aufseiten der Widerstandsbewegungen hatte die Dritte Republik zweifellos durch die Abstimmung vom 10. Juli 1940 verspielt und viele machten sie für das noch nie dagewesene nationale Desaster verantwortlich. Die Widerstandskämpfer warfen ihr darüber hinaus das Versagen ihrer Eliten, ihre chronische Instabilität auf ministerieller Ebene sowie ihre Behinderung des staatlichen Handelns vor. Mehr als die Art ihres Regimes - die Republik - wurde jene ihrer Institutionen in Frage gestellt. Nach der Analyse der Ursachen der Niederlage war es Zeit, an die Zukunft zu denken. Die Republik blieb der notwendige Rahmen für die Ausübung des demokratischen Lebens.
Die Republik schon, aber welche Republik?
Wir müssen bis August 1941 warten, bis wir erkennen, dass sich die Reden und die Regierungsweise von General de Gaulle deutlich in die republikanische Tradition einreihen. Seine “Déclaration organique” vom 16. November 1940 lehnte die Rechtmäßigkeit der Vichy-Regierung ab und bekräftigte die Legitimität des Freien Frankreichs als Nation im Krieg. Am 27. Mai 1942 präsentiert sich der General bei einer Pressekonferenz in London fortan als “absolut entschlossen, die nationale Souveränität und die republikanische Regierungsform wiederzugewinnen”. Im Dezember 1941 sollte er die “Kommissionen zur Untersuchung der Probleme der Nachkriegszeit” gründen. Jene für die rechtlichen Probleme, deren Vorsitz zuerst René Cassin dann Félix Gouin führte, schlägt er eine Verfassungsänderung und die Bildung einer provisorischen Versammlung vor. De Gaulle hält am Prinzip fest, das “er der künftigen Nationalversammlung angehören werde, welche über die französische Verfassung entscheiden wird”. Im besetzten Frankreich wie in London und dann in Algier werden zahlreiche Verfassungsentwürfe vorgeschlagen. Auch wenn alle die Instabilität auf ministerieller Ebene beheben wollen, ist die Organisation der Behörden Gegenstand von manchmal widersprüchlichen Vorschlägen. Die Niederlage im Juni 1940 hat den Parlamentarismus französischer Prägung in Frage gestellt und viele stimmten der Notwendigkeit zu, die Exekutive verstärken zu müssen. Aber die Idee einer starken Exekutive verletzte die französische republikanische Tradition. Insgesamt tauchten drei Kategorien von Verfassungsentwürfen auf, welche die neue Lage des politischen Lebens in Frankreich illustrierten. Alle - oder fast alle - wollten reformieren. Einige begnügten sich mit ein paar Änderungen der Praktiken der Dritten Republik. Andere unterstrichen, dass die Nationalversammlung die einzige Quelle jeder Macht sein solle. Die meisten rühmten schließlich ein politisch und sozialdemokratisches Regime. Bei der Befreiung gab es immer noch keinen Konsens über die institutionelle Frage.