Die Kolonialsoldaten des französischen Imperiums
Sous-titre
19. - 20. Jahrhundert
Von den kolonialen Eroberungskriegen im 19. Jahrhundert bis zum Ende der Konflikte der Entkolonialisierung Mitte des 20. Jahrhunderts institutionalisierte die Armee schrittweise die Rekrutierung von Männern aus der Bevölkerung, über welche Frankreich seine Herrschaft aufbaute, dann festigte und schließlich aufrechtzuerhalten versuchte. Diese Männer, deren Rekrutierungsbedingungen je nach Zeitraum und betroffenen Räumen unterschiedlich waren, kämpften unter der Trikolore im Kolonialreich wie in Europa in beiden Weltkriegen. Die französische Armee kann daher zwischen der Mitte des 19. Jahrhunderts und der Mitte des 20. Jahrhunderts als Imperial- und Kolonialarmee betrachtet werden.
Von den kolonialen Eroberungskriegen im 19. Jahrhundert bis zu den Konflikten der Entkolonialisierung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts machte die französische Militärführung von der Rekrutierung der lokalen Bevölkerung Gebrauch, die später zur festen Einrichtung gemacht wurde, um die Kolonialordnung durchzusetzen, aufzubauen und schließlich aufrechtzuerhalten. Die im Kolonialreich rekrutierten Soldaten, welche im Laufe der Zeit viele verschiedene Bezeichnungen erhielten — „Indigene“, „Muslime“, „Nordafrikaner“, „muslimische Franzosen“, „Kolonialtruppen“ oder auch „senegalesische Infanteristen“, mit denen sie sich von den „Europäern“ unterschieden, genossen nicht alle mit der Staatsangehörigkeit verbundenen Rechte. Sie werden im gesamten Kolonialreich nach ganz unterschiedlichen Verfahren rekrutiert, die teilweise vom Status des Gebiets abhängen — Kolonie, Protektorat oder auch französisches Departement im Fall von Algerien. Die Rekrutierung dieser Soldaten zeigt einerseits die Armee als uneingeschränkt koloniale Institution, die zwischen Bürgern und Subjekten eine Hierarchie aufbaut, aber auch, wie sie auf einer Abweichung vom republikanischen Grundsatz beruht, indem sie die Waffendienstpflicht und die Bürgerrechte eng miteinander verknüpft, während sich der Militärdienst herausbildet. Diese Soldaten haben daher, über ihre Herkunft, ihre Kampferfahrungen und ihre teilweise sehr verschiedenen Rekrutierungsarten hinaus, den Kolonialstatus gemeinsam, weshalb der Begriff „Kolonialsoldat“ entsteht.
Von der kolonialen Eroberung auf die europäischen Schlachtfelder. Die schrittweise Institutionalisierung der Rekrutierung von Kolonialsoldaten
Seit den Kolonialkriegen im 19. Jahrhundert nahm die französische Armee Soldaten zur Verstärkung der geringen europäischen Truppenbestände auf, zuerst um die Eroberung zu vollenden und dann, um die Kolonialordnung aufrechtzuerhalten. So werden 1842 die Einheiten der algerischen Infanteristen und 1857 das Korps der senegalesischen Infanteristen geschaffen, in denen Freiwillige aus mehreren afrikanischen Regionen südlich der Sahara kämpfen. So kämpfen bei der Eroberung Madagaskars ab 1894 im Expeditionskorps zwei algerische Infanterieregimente sowie ein Kolonialregiment, das sich aus Kolonialsoldaten aus Afrika, Madagaskar und La Réunion zusammensetzt.
Bilder des französischen Vordringens im Osten Marokkos, 1906-1912. Zuaven im Lager Oujda. ECPAD/Aristide Coulombier
Natürlich werden die Kolonialsoldaten punktuell auch auf dem europäischen Kontinent eingesetzt, zuerst im Krimkrieg (1853-1856) und dann im Deutsch-Französischen Krieg (1870-1871). Aber erst im Ersten Weltkrieg werden die Rekrutierung von Kolonialsoldaten in der französischen Armee und ihr Einsatz auf den europäischen Schlachtfeldern institutionalisiert, wie es General Charles Mangin in seinem 1911 erschienen Werk La force noire (Die schwarze Kraft) heraufbeschwor. Ab 1913 erlauben Sonderdekrete eine Rekrutierung im gesamten Kolonialreich. Auch wenn die Zahlen variieren, wurden schätzungsweise 545.240 Kolonialsoldaten mobilisiert, von denen ca. 437.500 nach Europa geschickt wurden. Algerien ist zusammen mit Französisch-Westafrika (Afrique occidentale française, AOF) das imperiale Territorium, das die meisten Männer stellt.
Algerische Infanteristen. Oder Turkos. Uniform 1852: Infanterie, Soldat: Algerier, Gewehr, französischer Offizier: Fahne, Offizier: Algerier, Soldat: Trommel, Marketenderin.
Diese beispiellose Mobilisierung entfacht erneut die Debatte über die Wehrpflicht der Kolonialisierten, welche vor allem in Algerien von den Europäern ungern gesehen wird, die Angst vor einem Mangel an Arbeitskräften haben und befürchten, dass diesen im Gegenzug Rechte gewährt werden. Die Wehrpflicht der Kolonialbevölkerung Algeriens wird 1912 beschlossen, auch wenn sie faktisch besonderen Bestimmungen unterliegt, wie der Verlosung der Einberufenen. Mit dem Dekret vom 30. Juli 1919 wird im Afrika südlich der Sahara das Prinzip eines dreijährigen Militärdienstes eingeführt, jedoch ist diese Wehrpflicht keineswegs allgemein, sondern beruht auf der Verlosung. Französisch-Äquatorialafrika (Afrique équatoriale française, AEF) wird 1928 vom Wehrpflichtsystem ausgenommen. Der Militarisierungsprozess der afrikanischen Kolonialgesellschaften ruft Widerstand hervor, 1915 in AOF, 1916 in Aurès. Jedoch gelingt es dem Abgeordneten Blaise Diagne aus dem Senegal, der ein glühender Anhänger der Assimilation ist und zum Hochkommissar der Regierung für die Rekrutierung von Kolonialtruppen ernannt wird, im Laufe des Jahres 1918 in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara 77.000 Soldaten zu rekrutieren.
Von der Niederlage zum Sieg. Die Kolonialsoldaten als zentrale Akteure der wiedererstehenden französischen Armee im Zweiten Weltkrieg
1939 wird Afrika neuerlich als Reservoir von Kämpfern ins Auge gefasst und im März 1940 kommen etwa 340.000 Kolonialsoldaten beim Heer zum Einsatz. Auch wenn nicht alle nach Europa gelangten, als die französische Armee von der Wehrmacht besiegt wurde, kämpfen 70.000 Soldaten aus Nordafrika sowie 40.000 bis 65.000 Soldaten aus afrikanischen Ländern südlich der Sahara im Feldzug von 1940. Sie erleiden oft ein tragisches Schicksal: Jene, die nicht von der deutschen Armee niedergemetzelt werden, bleiben jahrelang auf dem nationalen Territorium gefangen und werden von den französischen Polizeikräften bewacht. Jedoch nehmen AEF sowie Kamerun, die sich dem Freien Frankreich anschließen, bald schon wieder am Krieg teil. Ab September 1940 traten 3.000 freiwillige Europäer und 4.000 Kolonialsoldaten den Forces françaises libres (FFL, Freien französischen Streitkräfte) bei. Im Dezember 1942 stellt die Französische Somaliküste 900 Europäer und 1.500 afrikanische Soldaten. Obwohl sie offiziell als Freiwillige gelten, sind das die Kolonialsoldaten der FFL nicht immer, denn das Freie Frankreich greift in den von ihr kontrollierten Gebieten auf Zwangsrekrutierungen zurück. Die alliierte Landung in Nordafrika im November 1942 führt zu einer umfangreichen Mobilisierung. 134.000 Algerier, 26.000 Tunesier und 73.000 Marokkaner sind folglich im Wehrdienst, während AOF und AEF ca. 80.000 Mann stellen. Sie kämpfen zuerst im Tunesien- (1943) und Italienfeldzug (1943-1944), anschließend landen sie ab dem 15. August 1944 in der Provence, um den Südosten Frankreichs zu befreien, bevor sie in den Vogesen und im Elsass kämpfen und sich schließlich im Frühling 1945 an der Invasion von Deutschland beteiligen. Sie spielen daher eine führende Rolle bei der Befreiung des Mutterlandes.
Senegalesische Infanteriekolonne, April 1940. © ECPAD
Im Zuge einer Überarbeitung ihrer „Theorie der kriegerischen Rassen“ bevorzugt die Armee nun die Rekrutierung von Kolonialsoldaten aus Nordafrika, die ihrem Wesen nach als bessere Kämpfer als die Soldaten aus den afrikanischen Ländern südlich der Sahara angesehen werden. Dies ist einer der Gründe für den Abzug der Soldaten aus afrikanischen Ländern südlich der Sahara von der Front im Herbst 1944, der „Bleichung“ genannt wird. Darüber hinaus kommt darin der Wunsch der politischen Stellen zum Ausdruck, die militärischen Truppen durch Integration tausender Freiwilliger der Französische Streitkräfte des Inneren zu einem „mutterländischen Heer“ zu machen. Was die militärische Hierarchie anbelangt, so müssen die Kolonialkämpfer von einem erfahrenen europäischen Offizier geführt werden, dem das Wohl seiner Männer am Herzen liegt. Sehr selten gelingt es Kolonialsoldaten einen Offiziersgrad zu erreichen. Denn die militärische Hierarchie setzt auf eine bevormundende Truppenführung, die sich auf rassistische Vorurteile stützt. Doch muss das Comité Français de Libération Nationale (CFLN, Französisches Komitee für die Nationale Befreiung) angesichts einer Schwächung der Kolonialmacht seit der Niederlage 1940 nunmehr die Mobilisierung der Kolonialbevölkerung mit den nationalistischen Führern Algeriens verhandeln. Das CFLN führt daher 1943 die Gleichstellung des Wehrsolds ein, auch wenn Familienzulagen nicht betroffen sind. Dennoch zeigen die Kolonialsoldaten während des gesamten zweiten Frankreichfeldzugs große Loyalität in der Schlacht, obwohl sie manchmal über mehrjährige Kampferfahrung ohne Erlaubnis verfügen. Die Männer möchten nach Erfüllung ihrer Pflicht vor allem wieder nach Hause. Daher sind es zweifelsohne weniger die nationalistischen Forderungen als das tiefe Gefühl der Ungerechtigkeit, die zu den Protesten und Meutereien führen, die gegen Kriegsende ausbrechen und wie in Thiaroye im Senegal im November-Dezember 1944 gewaltsam von der französischen Armee niedergeschlagen werden.
Befreiung von Marseille. Vordringen der marokkanischen Goumiers in Marseille. Quelle: SHD
Ende eines Reiches. Kolonialkämpfer in den Konflikten der Entkolonialisierung
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs werden diese Soldaten neuerlich als bewaffneter Arm zur Aufrechterhaltung einer zunehmend umstrittenen Kolonialordnung eingesetzt. So werden die senegalesischen Infanteristen 1945 nach Syrien, das unter dem Völkerbundmandat steht, geschickt, um die Unabhängigkeitsbewegung niederzuschlagen. 1947 werden sie gegen die madegassischen Aufständischen eingesetzt. Hingegen schließt die damals misstrauische militärische Hierarchie zuerst den Einsatz afrikanischer Soldaten aus Ländern südlich der Sahara bei der Rückeroberung Indochinas aus. Angesichts der geringen Anzahl europäischer Freiwilliger für einen Krieg in der Ferne greift sie jedoch auf Soldaten aus Nordafrika zurück und später, ab 1947-1948 auch auf Soldaten aus afrikanischen Ländern südlich der Sahara. Daher dienten beispielsweise 75.000 marokkanische Soldaten zwischen 1947 und 1956 in Indochina. Gleichzeitig rekrutiert die französische Armee seit Kriegsbeginn massiv Angehörige von Volksgruppen, die dem Handeln der Vietminh feindlich gegenüberstehen. 1954 befinden sich im Expeditionskorps ca. 75.000 Hilfstruppen, zu denen mehrere Zehntausend reguläre vietnamesische Soldaten kommen.
Eine thailändische Einheit bezieht Stellung. Quelle: ECPAD Frankreich
Im algerischen Unabhängigkeitskrieg (1954-1962) leisten 100.000 „Franzosen, die in Nordafrika geboren sind“, wie man sie damals nennt, ihren Militärdienst in der französischen Armee, denn die Verabschiedung des Lamine-Gueye-Gesetzes, das allen Angehörigen des Kolonialreichs Zugang zu den französischen Bürgerrechten gibt, und die Annahme des Algerien-Statuts 1947 führten dazu, dass alle Algerier denselben militärischen Pflichten wie die Franzosen des Mutterlandes unterliegen. Einige dienen in der regulären Armee, andere jedoch kommen zu Hilfseinheiten, darunter den Harkas. Da sie lokal rekrutiert werden, sind sie für die französische Armee in diesem als „konterrevolutionär“ angesehenen Krieg ein Vorteil, denn es geht ebenso darum, die Bevölkerung zu gewinnen wie die Gebiete zu halten. Ein solches Engagement bringt diesen Männern, die nun Harkis genannt werden, in den Augen ihrer Landsleute den Status von Verrätern ein und zwingt sie nach den Verträgen von Evian im März 1962 ins Exil nach Frankreich und zu einem prekären Leben in den Transit- und Wiedereingliederungslagern wie jenem von Rivesaltes im Departement Hérault.
Harkis-Bewerber, die im Büro von Palestro (heute Lakhdaria) in der Kabylei vorstellig werden, um eine Verpflichtung bei der französischen Armee zu unterschreiben. © ECPAD
Zum Aufbau eines gemeinsamen Gedenkens?
Der Einsatz dieser Kolonialsoldaten in der französischen Armee in den Unabhängigkeitskonflikten wirft einen dunklen Schatten auf die gemeinsame militärische Vergangenheit Frankreichs und seiner ehemaligen Kolonien in den beiden Weltkriegen, betont die Historikerin Julie Le Gac. Die Teilnahme der Soldaten an den Befreiungskämpfen in Marokko wird als Antwort auf den Aufruf von Sultan Mohammed V. dargestellt und daher als Form des Patriotismus, wodurch jedem Streit um das Gedenken mit Frankreich aus dem Weg gegangen wird. In Algerien wird die Anwerbung in der französischen Armee während der beiden Weltkriege dagegen als Ausdruck der kolonialen Unterdrückung dargestellt. Das Gedenken an diese Männer dreht sich seit dem Jahr 2000 um die Frage der Pensionen für die Veteranen. Da diese ursprünglich zum Zeitpunkt der Verhandlungen über die Unabhängigkeit mit einem bestimmten Wert festgelegt wurden, führen sie de facto zu Ungleichheiten zwischen den französischen und den ehemaligen kolonialisierten Veteranen. Ab Ende der 1970er-Jahre machen die Veteranen ihre Rechte geltend und erreichten 2002 eine Aufwertung ihrer Pensionen. Als der Film Tage des Ruhms von Rachid Bouchareb 2006 in die Kinos kam, kündigt Präsident Chirac die vollständige Angleichung der Pensionen an, die 2010 endgültig vollzogen wird. Es geht nunmehr darum, die Rolle der Kolonialsoldaten bei der Befreiung Europas anzuerkennen, ebenso wie die von der ehemaligen Kolonialmacht begangenen Fehler: Der Prozess des Aufbaus eines gemeinsamen Gedenkens auf beiden Seiten des Mittelmeers ist scheinbar ins Rollen gekommen, wenngleich nicht ganz reibungslos. Präsident Hollande prangert bei einem Besuch im Senegal im November 2012 die ungerechtfertigte Niederschlagung des Aufstands von Thiaroye an, unter dem Aspekt des Einsatzes der Soldaten aus afrikanischen Ländern südlich der Sahara, die nach seinen Worten, „diese Blutschuld tragen, die Frankreich mit mehreren afrikanischen Ländern verbindet“. Zweifelsohne als Zeichen, dass das Schicksal der ehemaligen Kolonialsoldaten großen Widerhall in der öffentlichen Meinung findet, erhalten 28 ehemalige Infanteristen aus afrikanischen Ländern südlich der Sahara, die in Indochina und Algerien gedient haben, infolge einer von 60.000 Menschen unterzeichneten Petition, bei einer Feier im Elysee-Palast 2017 die französische Staatsbürgerschaft.