Die Landungsstrände, Normandie 1944
Jahr für Jahr kommen Millionen von Besuchern an die Landungsstrände und nehmen die Spuren in sich auf, welche die größte Wasser- und Luftlandeoperation aller Zeiten hinterlassen hat. Heute wirkt diese durch die Landung im Juni 1944 veränderte Küstenlandschaft friedlich. Ihre Erhaltung und Aufwertung bleiben dennoch eine wichtiges Thema.
Die normannische Küstenlandschaft, die den Angriffsort der am 6. Juni 1944 eingeleiteten Operation Neptun, der ersten Phase der Operation Overlord bildete, ist eine Abfolge von Küstenlandschaften: der Plain und die Sümpfe des Cotentin, die Klippen des Bessin und die Perlmuttküste. Sie zeichnet sich durch Wattabschnitte aus, die von mehr oder weniger deutlichen Dünenstreifen begrenzt sind, im Wechsel mit lebenden und toten Kliffen, hinter der Küste liegenden Sümpfen und Mündungen. Die überfluteten Gebiete in der Nähe dieses Ufers in der Seinebucht weisen verschiedene Morphologien und bathymetrische Profile sowie viele Brandungsplattformen auf.
DER ATLANTIKWALL
Vor dem Krieg ist diese Küste noch weitgehend ländlich geprägt, vor allem ihr westlicher Teil: im Cotentin ist das Meeresufer nur über einige „Fahrdämme“ durch den Sumpf zugänglich, der im Sommer der Rinderzucht vorbehalten und im Winter überschwemmt ist; das Bessin ist wenig bebaut und durch Aktivitäten wie die Landwirtschaft, Viehzucht und Küstenfischerei gegliedert. Ende des 19. Jahrhunderts begünstigt die Mode der Seebäder den Badetourismus und im westlichen Bereich entwickelt sich der Familientourismus. In jenem Gebiet, das zu Omaha Beach werden sollte, werden die ersten Villen und Familienpensionen errichtet, Arromanches wird zu einem geschätzten Ferienort und von Courseulles-sur-Mer bis Ouistreham (Abschnitte Juno und Sword) verzeichnet der Küstenstreifen eine Zeit der Umgestaltungen: Schaffung von Promenaden, Einrichtung von Casinos, Hotels und Strandkabinen, die heute noch typisch für diese Küste sind.
Diese Landschaft ist, wie die gesamte Küstenlinie des Ärmelkanals und das Atlantikgebiet durch die deutsche Besatzung ab 1940 und vor allem ab 1942 gekennzeichnet, als sich der Krieg auf die ganze Welt ausbreitete und Deutschland den Bau einer Verteidigungslinie namens „Atlantikwall“ begann. Dieses gigantische Projekt war 1944 nicht vollständig fertiggestellt. Im Gegensatz zu dem Schluss, den das Wort „Wall“ zulassen würde, handelt es sich nicht um ein durchgehendes Hindernis, sondern um vier Arten von Komplexen: die Festungen, die Küstenbatterien, die nahe den Stränden liegenden Verteidigungsanlagen und die Hindernisse, die auf den Stränden errichtet wurden.
Landung der Soldaten und Militärfahrzeuge am Strand Omaha Beach im Zuge der Operation Overlord, 10.© TopFoto/Roger-Viollet
Seit dem englisch-kanadischen Schlag gegen Dieppe im August 1942 sind die Deutschen überzeugt, dass die Alliierten versuchen werden, sich bei ihrem nächsten Landungsversuch am europäischen Festland von einem Hafen her zu nähern. Alle für wichtig erachteten Häfen der Westküste Europas wurden auch zu Festungen umgebaut. Die Häfen von Cherbourg und Le Havre, die auf beiden Seiten der Seinebucht liegen, werden daher stark befestigt. Zwischen den Festungen richten die Deutschen Küstenbatterien ein, die jeweils drei bis sechs Kanonen umfassen. Zwischen Cherbourg und Le Havre zählt man mehr als zwanzig. Besonders zwei davon befinden sich mitten in der späteren Angriffszone: die Batterie der Pointe du Hoc zwischen Utah und Omaha und jene von Longues-sur-Mer zwischen Omaha und Gold. Die Verteidigungsanlagen unweit der Strände sind Stützpunkte in unmittelbarer Nähe der Küste, die für die Verteidigung der Strände gegen die Angriffstruppen gedacht sind. Sie bestehen im Allgemeinen aus einer oder zwei Kasematten mit Kanonen mittleren Kalibers. Im Frühjahr 1944 wurden nicht weniger als 200 Stützpunkte entlang der Küsten der Seinebucht eingerichtet. Schließlich werden ab 1943 die Strände mit zusätzlichen Hindernissen ausgestattet, wie Verteidigungswällen zur Panzerabwehr, aber auch „Rommelspargel“ (Holzpfähle) und Minen. Die Sümpfe hinter der Küste wurden überflutet, um das Hinterland zu schützen und eventuellen Luftschlägen entgegenzuwirken.
Luftaufnahme der Landungsstrände und des amerikanischen Friedhofs von Colleville-sur-Mer, 31. März 2004. © D. Viola/DICOD
ZUR OPERATION NEPTUN
Durch die Entnahme des notwendigen Materials für den Bau des Walls, wie die Kieselsteine am Strand von Colleville-sur-Mer, wird das Aussehen der Küste beeinträchtigt. Außerdem wird die Landschaft durch die Zerstörung der Strandvillen verändert, die von den Deutschen mit dem Ziel angeordnet wurde, den Blick auf das Meer freizumachen. Im östlichen Teil machen sich die Deutschen die Deiche und die Gebäude am Meer zu Nutze, um Beobachtungsposten einzurichten, die sich unter die bestehenden Gebäude mischen.
Die Entscheidung der Alliierten, für die Operation Neptun diesen normannischen Küstenabschnitt zu wählen, der im Westen und Osten von ausgedehnten Feuchtgebieten begrenzt ist, die sich nicht für eine Landung am Boden eignen, wie die Sümpfe von Carentan und der Dives, erforderte eine minutiöse Vorbereitung der Operationen. Genaue Kenntnisse der Bathymetrie und der Geomorphologie der Küste (Lage der Sandgrenzen, vorhandene Felsen) leiteten die Überlegungen. Die Einteilung des ausgewählten Gebiets in fünf Sektoren - die unter den Codenamen Utah, Omaha, Gold, Juno und Sword bekannt sind - entsprach neben militärischen Aspekten den geografischen Zwängen. Die Steilküste liegt außerhalb des Landungsgebiets, mit Ausnahme der Pointe du Hoc, die auf Grund der vorhandenen großen deutschen Batterie, welche die Operationen in den Sektoren Utah und Omaha bedrohen hätte können, als Ziel beibehalten wurde. Die für diese Amphibienoperation ausgewählten Gebiete sind Küstenabschnitte mit Sandstränden, die jedoch einen großen Nachteil aufweisen: das Ausmaß der Brandungsplattformen vor den Küsten des Calvados macht die Schifffahrt gefährlich. Damit die alliierte Flotte die Frontlinie mit Soldaten und Material versorgen konnte, erwies sich die Errichtung von zwei im Süden Englands vorgefertigten künstlichen Häfen als technische Herausforderung: Mulberry A im amerikanischen Sektor und Mulberrry B im britischen Sektor, deren Einrichtung nach nächtlichen Missionen festgelegt wurden, die zeigten, dass der Meeresboden an dieser Stelle stabiler und tiefer war.
Der Beginn der Operation Neptun am 6. Juni 1944 und die folgende Schlacht, die sogenannte Schlacht der Normandie, sollten die Landschaft nachhaltig prägen und sie zu den Landungsstränden machen. Die Schlacht dauert länger als geplant. Die Normandie wird Ende August befreit, am Tag nach der Schließung des Kessels von Falaise. Die Landungsoperationen an den Stränden der Normandie gehen jedoch bis Ende November 1944 weiter und ermöglichen am Ende der Schlacht von Escaut die Öffnung des Hafens von Anvers zur Versorgung der Front.
REINIGUNG DER STRÄNDE
In der befreiten Normandie geht das Leben in einer Landschaft weiter, die stark durch die militärische Besatzung und die Kämpfe gezeichnet ist. Die Küstenorte sind besonders von den Luftangriffen der Alliierten betroffen. Brände haben auch die Pflanzendecke zerstört. Die Landungsorte und die angrenzenden Gebiete sind mit zurückgelassenem Material, Minen und nicht explodierten Granaten übersät. In der Seinebucht liegen Wracks herum, welche die Wiederaufnahme jeglicher Aktivität behindern. Maßnahmen zur Minenräumung und Reinigung werden mit einiger Dringlichkeit ergriffen. Bis 1947 werden intensive Entminungsarbeiten durchgeführt.
Noch heute verzeichnet das departementübergreifende Minenräumzentrum von Caen umfangreiche Tätigkeiten und hat jedes Jahr mehr als eintausend Einsätze im Calvados und im Ärmelkanal. Die Entminungsarbeiten im Meer und im Watt werden von den Minenräumteams der Marinetaucher vom Stützpunkt Cherbourg durchgeführt, die ca. 40 Einsätze pro Jahr in dem Gebiet haben.
70. Jahrestag der Landung in der Normandie, 6. Juni 2014 © R. Senoussi/DICOD
Im November 1944 beginnt die Reinigung der Strände und Meeresböden. In der Seinebucht sollte diese Arbeit jahrelang fortgesetzt werden. Das zurückgebliebene Material, wie zum Beispiel aufgelaufene Wracks nahe der Küste, wird verschrottet. An der Küste werden ab 1949 riesige Baustellen, die Bergungs- und Metallrückgewinnungsunternehmen anvertraut werden, eingerichtet. In den 1970er-Jahren wird eine letzte Konzession mit dem Ziel gewährt, die letzten Wracks zu zerlegen, die für die Schifffahrt immer noch gefährlich sind. Die fünf Gooseberries, die aus Dutzenden Schiffen bestehen, die von den Alliierten absichtlich versenkt wurden, um als Molen zu dienen, erleiden dasselbe Schicksal. Die Metallelemente des künstlichen Hafens (schwimmende Dämme) werden ab 1945 ebenfalls geschliffen. Die Küstengemeinden ergriffen zusätzliche Maßnahmen zur Sicherung bestimmter Orte, indem sie bestimmte Verteidigungselemente schliffen oder die Vegetation absichtlich die Bunker überwuchern ließen. Die Kriegslandschaft der Landungsstrände hat sich daher nach und nach verändert und immer weniger mit der Gefechtslandschaft zu tun, die von den Soldaten am Ende der Schlacht zurückgelassen wurde.
DIE FRAGE DER ERHALTUNG DER ORTE
Dennoch werden bestimmte Spuren und Relikte bewusst erhalten. Gleich nach dem Krieg unterstreichen die lokalen Akteure ihren Willen, die Spuren des Ereignisses zu erhalten, das die Normandie und ihre Bevölkerung dauerhaft geprägt hat. Zu diesen Akteuren zählt Raymond Triboulet, der im Juni 1944 zum Unterpräfekten von Bayeux ernannt wird und am 22. Mai 1945 das Comité du Débarquement gründet.
Nachdem er zum Abgeordneten gewählt wurde, sorgt er am 21. Mai 1947 für den Beschluss eines Gesetzes, das dem Gedenken der Landung in der Normandie einen nationalen Charakter verleiht, indem es festlegt, dass der Staat die Erhaltung und Gestaltung der historischen Stätten und die Errichtung von Museen übernimmt. Zwei Orte sind hinsichtlich der Erhaltung besonders bedeutend: die Pointe du Hoc (das Verkehrsamt von Grandcamp-les-Bains erreicht 1945, dass die Anlage unversehrt erhalten bleibt und sie 1955 unter Schutz gestellt wird) und die Batterie von Longues-sur-Mer, die als Landschaft erhalten und mit fünf Relikten unter Denkmalschutz gestellt wurde. Die Küstendynamik – Rückgang der Klippen, Überdüngungserscheinungen oder Rückbildung der Dünen - verändert langsam überall den sichtbaren Abdruck dieser Relikte in der Landschaft. Im östlichen Teil der Landungsstrände hat die Wiederaufnahme des Badetourismus zum Verschwinden der Spuren des Ereignisses in der Landschaft beigetragen. Für manche war die Beseitigung der Narben ein erklärtes Ziel. Das baldige Auftreten einer anderen Art von Tourismus, der als „Gedenktourismus“ bezeichnet wird, hat diesen Trend jedoch ausgeglichen. Im Laufe der Jahrzehnte wurden viele Umgestaltungen vorgenommen, nachdem 1954 auf Initiative des Comité du Débarquement das erste Landungsmuseum in Arromanches-les-Bains geschaffen wurde. Die ehemals Krieg führenden Nationen hatten einen großen Anteil an der Erhaltung und Aufwertung dieses Gedenkortes.
Heute ist diese Landschaft mit den Spuren einer Auseinandersetzung zweifellos friedlich. Der Antrag auf Eintragung der Landungsstrände in die Weltkulturerbeliste, der auf partnerschaftliche Initiative im Januar 2018 mit der Einreichung des Antrags erfolgte, ist eine Konsequenz des gemeinsamen Willens, diese Stätten auf Grund der Bedeutung des Ereignisses vom 6. Juni 1944 zu erhalten: ein Kampf für die Freiheit und ein Sieg, den keine Nation alleine für sich beanspruchen konnte und der die Entstehung eines dauerhaften Friedens ermöglichte. So wurden die Landungsstrände im Laufe der Jahre ein gemeinsamer Gedenkort, ein Ort der weltweiten Zusammenkunft von Bürgern rund um die universelle Botschaft von Freiheit und Frieden. Die Landungsstrände, Normandie 1944 werden daher für die Eintragung in die Weltkulturerbeliste als Kulturlandschaft und als historische Landschaft vorgeschlagen, die sowohl die Spuren einer Auseinandersetzung als auch eine gemeinschaftliche Dimension trägt.