Gedenkveranstaltungen für Schriftsteller, ein republikanischer Ritus
Nach den Pantheonisierung von Alexandre Dumas 2012 wird neuerlich ein Schriftsteller, Maurice Genevoix, in diesen republikanischen Tempel aufgenommen. Diese Entscheidung macht den zentralen Platz der Schriftsteller für die Bildung der republikanischen Kultur deutlich und könnte einen Anlass bieten, die Art und Weise in Frage zu stellen, wie die Politik ihr Gedenken einsetzt.
Lucien Descaves bedauert in einem Artikel aus dem Jahr 1909 die Vervielfachung der Denkmäler für Schriftsteller, für deren Würdigung er Straßennamen bevorzugt: „Wenn ich die Augen hebe und auf einer kleinen Hinweistafel bestimmte liebgewonnene Namen entziffere […], kann ich eine halbe Stunde lang träumen...“ (L. Descaves, in Le Figaro, 11. Mai 1909 – siehe vollständiges Verzeichnis der Fundstellen am Ende dieser Ausgabe). Die Kraft der Beeinflussung, die er diesen Schildern zuschreibt, scheint zu nichts geführt zu haben, denn gewisse Namen sind nur noch Spezialisten bekannt, wie es auch bei vielen Büsten und Statuen im öffentlichen Raum der Fall ist. Jedoch haben die Protestbewegungen gegen das nationale Gedenken, die sich seit den Ereignissen von Charlottesville gegen gewisse Statuen richten, diesen Gedenkformen wieder ihre eigentliche politische Bedeutung gegeben. So ziehen Sie die Aufmerksamkeit auf die Tatsache, dass die Würdigung einer Persönlichkeit des nationalen Gedenkens im öffentlichen Raum eine immer noch bedeutende und sehr lebendige kulturelle Praxis ist. Unter diesen Persönlichkeiten widmet die französische Republik ihren Schriftstellern einen ganz besonderen Kult (siehe Karte dieser Gedenkveranstaltungen auf monumentslitteraires.com). Unter den Straßennamen sehr präsent sind diejenigen, die einen bevorzugten Platz auf den Gedenktafeln (28 % der Pariser Tafeln: siehe A. Dautriat, Sur les murs de Paris, 1999) und in der öffentlichen Bildhauerei einnehmen (18 % der Statuen außerhalb von Paris: siehe J. Lalouette, in Centenaires, jubilés, commémorations, 2019), wobei jene am besten vertreten sind, die sowohl eine literarische als auch eine politische Karriere aufzuweisen haben. Außerdem betreffen 15 % der nationalen Gedenkfeiern im Jahre 2017 die Literatur, über 16 % im Jahre 2018. Nur im Pantheon geht dieses Verhältnis zurück (weniger als 8 % der beigesetzten Personen), aber nur, wenn man die Gedenkfeiern nicht zählt, die in Abwesenheit jener begangen werden, die woanders begraben sind, wie Aimé Césaire oder die 757 für Frankreich Gefallenen – Schriftsteller im weiteren Sinne – die durch zwei kollektive Tafeln geehrt wurden (1927, 1949). Warum gedenkt man dieser Schriftsteller – unter denen nur wenige Frauen dieses Privileg genießen? Handelt es sich um eine ästhetische Anerkennung oder eine Geste politischer Natur? Um den Sinn dieser Gedenkfeiern aufzuklären, erinnern wir daran, dass in einem solchen Prozess nichts von selbst geschieht und die Ewigkeit, nach der die steinernen Denkmäler streben, nicht über die intensiven Debatten hinwegtäuschen kann, die ihrer Errichtung vorausgingen.
Diskussion über die Gedenkfeiern
Als Zeichen der Anerkennung und Zugehörigkeit zur gemeinsamen Kultur wird eine Gedenkfeier einerseits durchgeführt, um sich einmütig um eine Figur zu versammeln, andererseits um eine Randfigur oder eine polarisierende Persönlichkeit in den Kanon aufzunehmen, indem sie als Erbe bezeichnet wird, das es weiterzugeben und zu wahren gilt. Das ist die Besonderheit aller Patrimonialisierungsriten. In dieser Hinsicht arbeitet sie ständig an der Grenze zwischen Konsens und Polemik. Weder die Zivilgesellschaft noch die mit den nationalen Gedenkfeiern beauftragten Institutionen gehen diesen Legitimierungsprozessen aus dem Weg, die solche Feierlichkeiten umgeben, wenn die Vergangenheit, derer gedacht wird, noch nicht ganz vorbei ist. In jener Zeit, in der die Gedenkkultur Form annimmt, insbesondere zwischen dem Deutsch-Französischen Krieg und dem Ersten Weltkrieg, kommt es vor, dass die Feiern zu Aufständen führen, wie die Einweihung der Statue von Renan in Tréguier 1903 (M. Gasnier, in Cahiers de l’Association internationale des études françaises, 2010), oder zu einem heftigen Schlagabtausch, wie die Pantheonisierung von Zola, die 1908 in der Nationalversammlung debattiert wurde (A. Pagès, in Zola au Panthéon 1908-2008, 2008; Zola au Panthéon. L’épilogue de l’affaire Dreyfus, Hrsg. A. Pagès, 2010). Umgekehrt stehen am Rand des nationalen Gedenkens lauter Figuren, die das Licht der Gedenkfeiern suchen. Manche sind Verfechter dieser Zurückgewiesenen, wie die Gesellschaft „Souvenir littéraire“, die Anfang des 20. Jahrhunderts besonders aktiv war und ausdrücklich das Ziel verfolgt, „das Gedächtnis der Schriftsteller zu feiern, deren Jahrestag in keiner offiziellen Feier gedacht wird“. Die Schriftsteller stellen insofern einen Sonderfall im nationalen Gedenken dar, als die Gedenkfeier manchmal vorgibt, Einstimmigkeit zu erzielen, indem sie den Menschen vom Werk trennt, um Zweiteres zu berücksichtigen. Zwei Jahrestage haben aus diesem Grund für Aufregung im Haut comité aux commémorations nationales (oberstes Gremium für nationale Gedenkfeiern und Nachfolger der 1974 gegründeten Delegation für nationale Gedenkfeiern) gesorgt: die Gedenkfeier nach dem Tod von Céline 2011, die im letzten Moment abgesagt wurde, und jene zum Geburtstag von Charles Maurras 2018, der von der Liste der „Gedenkjubiläen“ genommen wurde, was zum Rücktritt von zehn der zwölf Mitglieder des Haut comité führte. Diese beiden Ereignisse, die nach einer Zeit der Neudefinition der nationalen Gedenkfeiern stattfanden, machen das Problem deutlich, auf das jede amtliche Gedenkinstitution stoßen kann, die den Anspruch auf eine historische Aufgabe erhebt, was auf die Anforderung der Neutralität politischer Natur in einer Gedenkeinrichtung hinausläuft.
Begräbnisfeierlichkeiten für Victor Hugo, Menge in der Rue Soufflot, 1. Juni 1885. © Louis Antonin Neurdein/Maisons de Victor Hugo/Roger-Viollet
Veränderungen am Image der Macht und am Image des Schriftstellers
Die Gedenkfeier ist nicht so sehr ein Legitimitätsnachweis als ein Mittel zur (erneuten) Legitimation für ihren Gegenstand, aber auch – als Wechselwirkung der Aneignung – für ihren Zelebranten. Der Spielraum, den die Feier der Figur des Gefeierten lässt, verhält sich umgekehrt proportional zum Bedürfnis der Legitimation des Gedenkenden. Im Falle der Schriftsteller ist der Zusammenhang aufgrund der Geschichte der Nähe und Konflikte der Bereiche Literatur und Politik zutiefst bestimmend. Wenn die Schriftsteller von ihresgleichen gefeiert werden, belässt die Würdigung sie häufig im ästhetischen Bereich, ohne die Literaturgeschichte neu zu schreiben. Werden die Schriftsteller und Künstler jedoch im politischen Bereich gefeiert, ermöglichen sie eine Veränderung am Image der Macht und der Nation. Daher gibt es viele, die in den 1910er-Jahren gegen ihren Willen in den Dienst einer Kriegsrhetorik gestellt wurden. Chateaubriand und Lamartine werden als Helden gewürdigt, die sich vermeintlich angesichts der deutschen Bedrohung zusammenfinden, während La Fontaine und die Klassiker der Forderung nach einem französischen Geist der Raffinesse dienen, welcher der Brutalität des Feindes entgegengesetzt wird (Mathilde Labbé, in Narrations auctoriales dans l’espace public, Hrsg. C. Bisenius-Penin et J. Glesener, Questions de communication, 2020). Im Falle der eingesetzten Schriftsteller schlägt diese Aneignung manchmal durch eine Entpolitisierung des Werks oder eine Aufweichung der politischen Grenzen ins Gegenteil um. Die Pantheonisierung von Malraux durch Jacques Chirac 1995 gehört daher zum Versuch einer „Überwindung […] des Grabens zwischen Links und Rechts“ (Patrick Garcia, in Sociétés & Représentations, 2001). Die Gedenkfeier für Aimé Césaire im Pantheon 2011 scheint ebenfalls dazu bestimmt, das Bild des Präsidenten nach Artikel 2 des Gesetzes vom 23. Februar 2005 über die „positive Rolle der französischen Überseepräsenz“ zu verändern, deren Abschaffung von Césaire befürwortet wurde, und nach der Rede von Dakar 2007 – wobei die Reichweite des politischen Werks zugunsten der Poesie absichtlich abgeschwächt wurde. Das Image der Schriftsteller geht aus dieser national beispielhaften Wahl verändert hervor, die zweckmäßigerweise durch ihre Beteiligung geschieht und deren Zielgruppe weniger der Leser als der Wähler ist.
Pantheonisierung von Maurice Genevoix
Die untrennbar mit dem Aufbau der republikanischen Kultur verbundene Gedenkfeier für Schriftsteller ist ein Ritual, das zur Definition dessen beiträgt, was die Nation von ihren „großen Männern“ erwartet. Die angekündigte Pantheonisierung von Maurice Genevoix knüpft daher an eine Gründungstradition an. Ohne den künftigen Feiern vorgreifen zu wollen, kommt die Idee, gleichzeitig dem „Die von 14“ und diesem wichtigen Zeugen zu gedenken, nahezu dem Unterfangen gleich, die Toten der beiden Weltkriege gemeinsam zu ehren und die Literatur für patriotische Zwecke zu nutzen. Dieses ursprünglich als Abschluss der Gedenkfeier für den Ersten Weltkrieg konzipierte Projekt unterstreicht die Rolle der Literatur für die Bildung eines kollektiven Bewusstseins. Es bleibt abzuwarten, ob eine Weiterentwicklung der Gedenkfeier für Schriftsteller im aktuellen Kontext möglich ist: Dazu wäre ein Nachdenkprozess über die Art und Weise notwendig, wie sich die Beziehungen der Literatur zur Politik in den Werken formalisieren, sowie über die Tatsache, dass die Gedenkfeier durch eine politische Aneignung des Werks und der Figur des Schriftstellers Gefahr läuft, das zu zerstören, was sie daraus geschöpft hat: die Fähigkeit der Literatur, sich von den Konflikten des Jahrhunderts zu lösen und das Universelle zu erreichen.