Gemeinsame Gedenkfeiern zum Zweiten Weltkrieg
Während der 100. Jahrestag des Ersten Weltkriegs eindeutig ein deutsch-französischer Gedenkzyklus war, waren die Dinge in Bezug auf den Zweiten Weltkrieg nicht so selbstverständlich. Nach mehreren Jahrzehnten zögerlicher Gesten haben Frankreich und Deutschland ihrer Versöhnung eine konkrete Ausdrucksform verliehen, insbesondere mit dem Gedenken an den 6. Juni.
Genau wie ihre Erinnerung sind auch die Gedenkdaten der beiden Weltkriege miteinander verwoben und überschneiden sich. Die Zeremonien ähneln sich zwar, da die des Zweiten Weltkriegs denen des Ersten Weltkriegs nachempfunden sind, aber die Erinnerungen an die beiden Konflikte sind nicht identisch. Der Unterschied ergibt sich nicht nur aus der größeren oder kleineren zeitlichen Distanz, sondern auch aus der Eigenart des zweiten Konflikts und den Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die er mit sich brachte. Während man beim Ersten Weltkrieg von Soldaten berichten kann, die unter extremen Bedingungen mutig für ihr jeweiliges Vaterland kämpften, lässt sich der Zweite Weltkrieg nicht so leicht durchleuchten. In Frankreich verschleierte die Nennung der Résistance und der gaullistischen Geste die Niederlage und lange Zeit auch die Kollaboration. In Deutschland wurde die Erinnerung daran seit den 1970er Jahren immer stärker zum Anlass genommen, die begangenen Verbrechen anzuerkennen, das Andenken an die Opfer zu ehren und die kollektive Verantwortung der Deutschen zu betonen.
Dass Deutsche und Franzosen gemeinsam dieser beiden Kriege, insbesondere des Krieges von 1939-1945, gedenken, ist jedoch keineswegs einfach. Es ist Ausdruck eines gemeinsamen politischen Willens, diese Konflikte im Namen einer gemeinsamen Zukunft zu überwinden, die sich im europäischen Aufbauwerk widerspiegelt.
Die schwierige Einführung gemeinsamer Gedenkveranstaltungen
Tatsächlich ist die Situation zwischen Frankreich und Deutschland zutiefst uneinheitlich: Weder der 11. November noch der 8. Mai haben zu einer Gedenktradition jenseits des Rheins geführt. Anfang der 1950er Jahre wurde der Volkstrauertag, der auf Wunsch der Kriegsveteranen eingeführt worden war und während der Weimarer Republik im Frühjahr und im Dritten Reich als „Heldentag" gefeiert wurde, auf einen Sonntag im November verlegt. Es gibt kein Bundesgesetz, das den Umfang genau definiert. Einige Bundesländer verweisen jedoch neben den gefallenen Soldaten explizit auf die Opfer des Nationalsozialismus, die im Laufe der Jahre immer mehr an Bedeutung gewinnen. Doch nach wie vor ist der 11. November in erster Linie der erste Tag des Karnevals im Rheinland. Der 8. Mai war in der DDR von 1950 bis 1967 ein gesetzlicher Feiertag. Im wiedervereinigten Deutschland wurde er ab 2002 im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern wieder zum Feiertag. In Berlin ist er es 2021 anlässlich seines 75. Jahrestages, und Petitionen fordern vor dem Hintergrund des Aufstiegs der extremen Rechten, dass er in den nationalen Gedenkkalender aufgenommen wird. Das Datum des 8. Mai wählte 1985 der Präsident der BRD, Richard von Weizsäcker, um vor dem Bundestag diesen Tag als Tag der „Befreiung" zu erklären. „Es ist [...] ein Tag, an dem wir über den Verlauf unserer Geschichte nachdenken. […] Dieser Tag hat uns alle vom System der nationalsozialistischen Tyrannei befreit, das auf Menschenverachtung aufgebaut ist. […] Heute erinnern wir uns an diese humanitären Leiden und gedenken ihrer in Trauer. […] Wir müssen verstehen, dass es ohne Erinnerung keine Versöhnung geben kann". Diese Position ist alles andere als unumstritten. Konrad Adenauer sagte, ohne die Geschichte zu ignorieren, dass man „die Vergangenheit der Vergangenheit überlassen" müsse. Helmut Kohl zeigte kaum mehr Engagement. Regelmäßig kommt es im Zusammenhang mit Enthüllungen über die Vergangenheit von Führungskräften oder Veröffentlichungen zu Kontroversen über „die Vergangenheit, die nicht weichen will", welche die öffentliche Meinung spalten. Wie können die Anerkennung der Nazi-Verbrechen und der Wiederaufbau des Nationalstolzes in Einklang gebracht werden? Wie kann man zwischen Soldaten, „die ihre Pflicht taten", und der SS unterscheiden? Welchen Platz sollte man denjenigen einräumen, die gegen das Regime gekämpft haben?
Auf französischer Seite ist das Gedenken an die Kriege mit den Deutschen ebenfalls nicht ohne feindselige Reaktionen geblieben. 2004 räumte die damalige Verteidigungsministerin Michèle Alliot-Marie in einem Interview mit der ARD ein, dass trotz „der geknüpften Bande [...] insbesondere im Hinblick auf Partnerschaften und Städtepartnerschaften zwischen den Protagonisten von einst [...] nichtsdestotrotz eine Schwierigkeit, eine Form des Unbehagens, zwischen den Protagonisten bestehen bleibt".
Offizieller Besuch des deutschen Bundeskanzlers Konrad Adenauer in Frankreich. Kranzniederlegung vor dem Denkmal zu Ehren
der Opfer des Zweiten Weltkriegs, Versailles, 5. Juli 1962.
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Eine der Strategien, die eingesetzt wurden, um Versöhnung möglich zu machen, bestand darin, den Zweiten Weltkrieg auf einen Konflikt zwischen Nationen zu reduzieren, in dem beide Seiten Heldentum und Mut bewiesen haben: „Von so viel Blut und Tränen darf nichts vergessen werden. Denn so ungerechtfertigt die unmittelbaren Gründe für unsere Kriege manchmal auch sein mögen, so unerfreulich ihre Verfahren, so ruinös ihre Ergebnisse, so war es doch eine große Sache, die im Grunde die Quelle unserer Streitigkeiten war", erklärte Charles de Gaulle beim Toast auf Konrad Adenauer am 3. Juli 1962. So äußerte sich auch François Mitterrand am 9. Mai 1995 vor dem Deutschen Bundestag, sehr zum Missfallen eines Teils der deutschen Öffentlichkeit: „Es interessiert mich nicht, welche Uniform sie trugen, und auch nicht, welche Gedanken in den Köpfen dieser Soldaten steckten, die in so großer Zahl sterben würden. Sie waren mutig. Sie nahmen den Verlust ihres Lebens in Kauf. Für eine unheilvolle Sache, aber ihre Taten hatten damit nichts zu tun. Sie liebten ihr Vaterland".
Während de Gaulle sich gegenüber einem deutsch-französischen Gedenken an die beiden Kriege zurückhaltend zeigte und die Versöhnung lieber zu anderen Anlässen als den nationalen Ritualen feierte, schaffte Valéry Giscard d'Estaing die Gedenkfeier für den 8. Mai ab. „Jeder von uns wird seine Erinnerungen bewahren und diejenigen ehren, denen die Ehrung gebührt. Es ist jedoch an der Zeit, den Weg in die Zukunft zu öffnen und unsere Gedanken gemeinsam auf das zu richten, was uns verbindet und was uns vereinen kann", schrieb er am 10. Mai 1975 an die europäischen Staats- und Regierungschefs. Die Geschichte war für ihn eine Last, die man abwerfen muss, um vorwärts zu kommen. Der Sturm der Kritik, den diese Entscheidung zu einer Zeit auslöste, in der die Frage der Erinnerung in den westlichen Gesellschaften einen neuen Stellenwert einnahm, ebnet den Weg für die politische Amnesie.
Der 6. Juni oder der Weg zu einem gemeinsamen Gedenken
Die Gedenkfeiern zur Landung der Alliierten in der Normandie am 6. Juni 1944 warfen die Frage auf, ob Deutschland als wichtiger Akteur im europäischen Aufbauwerk unter den Gästen sein sollte, und spielten somit eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung einer deutsch-französischen Geste des Gedenkens.
Im Jahr 1984 fand die erste große Gedenkfeier zum D-Day statt. Im Jahr 1964 hatte sich de Gaulle für die Landung in der Provence als vorrangige Veranstaltung entschieden. 1974 hatte Giscard keine besonderen Vorbereitungen getroffen. François Mitterrand hingegen beschloss, dies zu einem Höhepunkt seiner diplomatischen Bemühungen zu machen. Die wichtigsten Staats- und Regierungschefs der 1944 verbündeten westlichen Länder nahmen daran teil. Die Deutschen waren nicht eingeladen. Dies sollte auch 1994 so sein. Diese Abwesenheit wurde von einem Teil der Presse François Mitterrand angelastet, doch es war Helmut Kohl, der aus politischen Gründen - Angst vor dem Unverständnis seiner Wählerschaft - und aus persönlichen Gründen - sein Bruder war in der Normandie gestorben - nicht daran teilnehmen wollte: „Es ist nicht der richtige Anlass für einen deutschen Kanzler zu feiern, wenn andere ihrem Sieg in einer Schlacht gedenken, in der Zehntausende Deutsche den Tod gefunden haben", vertraute er 1984 der Wochenzeitschrift Der Spiegel an. Die Abwesenheit Deutschlands und die damit verbundenen Fragen und Kritiken führten dazu, dass François Mitterrand Helmut Kohl am 22. September 1984 nach Verdun einlud, womit die erste große deutsch-französische Gedenkfeier eines Krieges eingeläutet wurde. Was für den Zweiten Weltkrieg noch nicht möglich war, war es für den Ersten Weltkrieg.
Der französische Präsident Jacques Chirac und der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder gedenken gemeinsam der Landung in der Normandie anlässlich des 60. Jahrestages am 6. Juni 2004. © Abaca Press/Alamy Stock Photo
Erst 2004 reiste mit Gerhard Schröder ein deutscher Bundeskanzler in die Normandie, um der Landung der Alliierten in der Normandie zu gedenken und gemeinsam mit Jacques Chirac vor dem Friedensdenkmal in Caen der alliierten Kämpfer zu gedenken, die während der Kämpfe getötet wurden und denen, so Schröder, die Deutschen „dankbar sein [müssen], dass sie heute in Freiheit und Frieden leben". „Ein deutscher Bundeskanzler, Hand in Hand mit den Siegern des Zweiten Weltkriegs, anlässlich dieses blutigen Jahrestags. Vor zehn Jahren wäre es heikel gewesen; vor zwanzig Jahren wäre es eine Provokation gewesen; und vor dreißig Jahren undenkbar. Heute ist es möglich", kommentiert Der Spiegel. Auch wenn Deutschland nicht bei allen Zeremonien anwesend ist, wird seinen Soldaten in der Gedenkrede viel Platz eingeräumt. So vergleicht Nicolas Sarkozy am 6. Juni 2009 zweimal die traumatischen Erinnerungen eines amerikanischen und eines deutschen Kämpfers an die Landung der Alliierten.
Die wiedergefundene Brüderlichkeit zwischen den beiden Ländern steht im Mittelpunkt des Geschehens bei der Zeremonie am 6. Juni 2014, deren Höhepunkt darin besteht, dass zwei Veteranen der Kämpfe in der Normandie unter dem Applaus des Publikums und der Staats- und Regierungschefs in die Mitte des Schauplatzes kommen, während die Hymne an die Freude erklingt: der eine Franzose, Léon Gautier, Mitglied der Kieffer-Kommandos, der andere Deutsche, Johannes Börner, Fallschirmjäger des 2. Korps der Luftwaffe, die sich umarmen. Zum ersten Mal wird ein deutscher Veteran im Namen des Versprechens einer gemeinsamen Zukunft, das Europa verkörpert, geehrt. Ohne vergessen zu werden, gilt die Vergangenheit als überholt: Wie andere Europäer werden auch Deutsche tendenziell zu Opfern des Nationalsozialismus - „All diese jungen Europäer [die auf den Friedhöfen der Normandie liegen] waren Opfer einer Barbarei, der Barbarei des Nationalsozialismus", erklärte François Hollande in seiner Rede - und bezeichnenderweise erinnern die während der Zeremonie gezeigten Bilder auch an die zivilen Opfer der alliierten Bombenangriffe, sowohl französische als auch deutsche.
Der französische Präsident François Hollande und der deutsche Präsident Joachim Gauck besuchen gemeinsam Oradour-sur-Glane, 4. September 2013. © AFP
Das Leitbild des deutsch-französischen Gedenkens
Von Douaumont bis zur Gedenkstätte in Caen, ob Staats- und Regierungschefs oder Veteranen, der Körperkontakt und das Teilen von Emotionen nehmen einen zentralen Platz in der Szenerie der Versöhnung ein, die bei jeder Zeremonie immer wieder wiederholt wird. Die Gefahr besteht jedoch in der Routine, der Banalisierung - was paradoxerweise das Merkmal eines jeden Rituals ist. Es geht dann darum, ein „erstes Mal" zu finden, um die Neuheit der Geste zu unterstreichen. So legten Angela Merkel und Jacques Chirac am 25. August 2006, dem Jahrestag der Befreiung von Paris, einen Kranz am Fuße der Statue von General de Gaulle nieder. 2009 lud Nicolas Sarkozy, nachdem er selbst am 9. November nach Berlin gereist war, um den zwanzigsten Jahrestag des Mauerfalls zu feiern, Angela Merkel zur Zeremonie am 11. November am Arc de Triomphe ein. Zum ersten Mal entzündete ein deutscher Regierungschef die ewige Gedenkflamme des unbekannten Soldaten. „Wir sind hier", verkündete sie, „versammelt im Bewusstsein der Geschichte, die uns, Franzosen und Deutsche, seit Jahrhunderten verbindet, in glücklichen und in dunklen Zeiten." Am 4. September 2013 reiste François Hollande in Begleitung des deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck nach Oradour-sur-Glane, um den Opfern des Massakers zu gedenken, das von der SS verübt wurde, „Soldaten, die deutschen Befehlen gehorchten", präzisierte Gauck, bevor er erklärte, dass „an diesen Ort zu kommen für jeden Deutschen ein schwerer Schritt ist, egal wie viel Zeit seitdem vergangen ist" und er in dieser Einladung „eine Geste der Versöhnung sieht, eine Geste, die man nicht einfordern, sondern nur als Geschenk entgegennehmen kann". Um nur einige Gesten aus einem ständig wachsenden Repertoire zu nennen: Am 10. November 2018 trafen sich Emmanuel Macron und Angela Merkel in Rethondes in dem nachgebauten Waggon, in welchem 1918 und dann 1940 der Waffenstillstand unterzeichnet worden war.
Emmanuel Macron und Angela Merkel gedenken des Waffenstillstands vom 11. November in Compiègne in dem Waggon, in dem er unterzeichnet wurde. Samstag, 10. November 2018.
© Soazig de la Moissonniere/Présidence de la République
Die Alchemie des Gedenkens ist komplex. Es geht zwar darum, an die Vergangenheit zu erinnern, aber dies geschieht immer im Hinblick auf eine erhoffte Zukunft: Gedenken ist nicht Teil der Geschichte, sondern der Politik. In diesem Fall geht es für Frankreich und Deutschland darum, die Zukunft nicht von der Vergangenheit beeinträchtigen zu lassen und ihre Versöhnung zu einem Teil der Geschichte der europäischen Dynamik zu machen. Das ist natürlich viel schwieriger, sobald es um den Zweiten Weltkrieg geht. Daher bemühen sich die Worte und Gesten des Gedenkens zunächst, den Zweiten Weltkrieg auf den Ersten oder gar auf eine althergebrachte Konfrontation zwischen Germanen und Galliern zu reduzieren. Auf der Grundlage dieses Unausgesprochenen werden die ersten Gesten der Versöhnung vollzogen. Mit der Forderung nach Anerkennung war dieses „Mittelding" nicht mehr haltbar. Auch wenn das heutige Deutschland zu Recht stolz auf seine Werte ist, muss man akzeptieren, dass die Landung im Juni 1944 keine „Invasion" war, wie manche jenseits des Rheins sie bezeichneten, sondern eine Befreiung, von der die heutigen Deutschen profitieren. Mehr noch: Das Gedenken an Kriege ist zu einem Mittel geworden, um die Geburt Europas, den Frieden und den Wohlstand zu feiern. Die erklärte Vorbildlichkeit dieser Versöhnung wurde zu einem Oberbegriff der deutschen und französischen Diplomatie, einem nachahmenswerten Modell zur Überwindung der Risse in der Geschichte - wodurch die Bedeutung des deutsch-französischen Gedenkens universell wird.