Jean-Louis Crémieux-Brilhac : Werdegang eines Engagements
In einer Reihe von Interviews mit dem historischen Dienst der Armee in den Jahren 1998 und 1999 beschrieb Jean-Louis Crémieux-Brilhac seinen Werdegang, von seiner Einberufung bis zum Eintritt in die Forces françaises libres in London und seine Aktivität im Rahmen des Commissariat national à l'Intérieur. Seine Aussage erklärt die Entstehungsgeschichte des Engagements eines jungen Mannes, Student der Geschichte, den die Kriegserklärung im September 1939 nicht überrascht hat.
Ein engagierter junger Mann
Jean-Louis Crémieux-Brilhac (siehe Tonbildschau) bezeichnete sich selbst als “sehr politisiert, Spross einer linken Familie, die selbst ziemlich politisiert war”. Er fügte noch hinzu “ich war Student beim Front populaire und ziemlich engagiert. Ab dem Alter von 14 Jahren war ich oft in Deutschland, wo ich sozialistische Freunde hatte”. Als Reserveoffiziersschüler wird Jean-Louis Crémieux-Brilhac am 16. September 1939 eingezogen. Er wird in Saint-Cyr akzeptiert, von wo er als Leutnant austritt und dem 47. Infanterieregiment in Rennes zugeteilt wird. Er erzählt: “Was mich verwundert hat, ist zugleich die komplette Bereitschaft meiner Mitschüler, als Leutnant das Kommando einer Infanterieeinheit zu übernehmen, und andererseits ihr Mangel an Kampfwillen und ihr geringes Verständnis dafür, was Krieg eigentlich bedeutet.”
Im Mai 1940 wird seine Einheit an die Maginot-Linie gesandt, aber die deutsche Offensive zwingt sie zum Rückzug an die Marne, wo er als Führer seiner Sektion am 11. Juni in Gefangenschaft gerät. In Erinnerung an diese Periode erklärt er, dass “[sein] Krieg von 1940 nichts ruhmreiches hatte, sondern deprimierend, sehr deprimierend war”.
Besiegt aber nicht unterwürfig
Jean-Louis Crémieux-Brilhac ist nun also Kriegsgefangener in Pommern im Oflag II-D, wo ihn ein Vorfall besonders beeindruckt: Am 22. oder 23. Juni werden über eine Radiostation die Nachrichten der Wehrmacht übertragen. ”Erfahren wir, dass ein Waffenstillstand mit Deutschland unterzeichnet wurde, der aber erst in Kraft tritt, wenn auch einer mit Italien unterzeichnet wird. Und ich höre von der Gruppe der Offiziere, die mich umgibt, einen Aufschrei der Bestürzung und des Entsetzens, da das ihre Befreiung verzögern würde. Diese Reaktion auf die Ankündigung eines Waffenstillstands, die für sie keinen Schmerz darstellt, ist wahrscheinlich die erste Sache, zu der andere hinzukamen, die mich dazu gebracht hat, zu fliehen.”
Später erklärt er seine Stimmung während der ersten Wochen seiner Gefangenschaft: ”Aus Mangel an Vorstellungskraft oder mentaler Vorbereitung dachten wir nicht, dass es andere Lösungen als den Waffenstillstand gäbe. Und es war der Marschall, der dies beschlossen hatte, und wir konnten uns nicht vorstellen, dass Pétain nicht der beste Verteidiger der französischen Interessen dem Besatzer gegenüber war, das war selbstverständlich. Aber wir haben schnell erfahren, dass es einen General de Gaulle gab (…). Sehr rasch gab es einige Gaullisten. Aber zu diesem Zeitpunkt war Gaullist zu sein und gleichzeitig Pétain zu unterstützen kein Widerspruch. (…) Viele dachten, dass sie zusammenarbeiten: 'Pétain der Schild und de Gaulle das Schwert. (…) Dann hat die Schlacht um England, die Tatsache, dass die Engländer durchgehalten hatte, die Stimmung verändert und uns begreiflich gemacht, dass der Krieg von den Deutschen nicht gewonnen war, wobei am Anfang die Niedergeschlagenheit und das Trauma so stark waren, dass man sich nicht vorstellen konnte, dass Deutschland den Krieg verlieren könnte. Die Mehrheit dachte, dass alles verloren war. Aber im Sommer 1940 wurde klar, dass der Krieg andauern würde. Das hat die Gefangenen nicht daran gehindert, ihre Befreiung zu erhoffen, ihre Hoffnung hat nie aufgehört. (…) Was mich betrifft, obwohl ich eher Pazifist als Militarist bin, hat mich diese Art von Unterwerfung und Akzeptanz im Sommer 1940 sehr verstört.”
Die Wahl des Freien Frankreichs
Die Folge ist besser bekannt und wurde von Jean-Louis Crémieux-Brilhac zweimal wiedergegeben: Ein erstes Mal, direkt, zu Propagandazwecken in Retour par l'URSS, Erzählungen von der Flucht, in einem Feuilleton in La Marseillaise von London 1942-1943 (später in Buchform erschienen); ein zweites Mal in Prisonniers de la liberté. L'odyssée des 218 évadés par l'URSS, 1940-1941, wo der Zeuge zum Historiker wird. Dieser 2004 erschienene Titel beruht, unter anderem, auf den sowjetischen Archiven. Es ist die Reise dieser Entflohenen aus den deutschen Kriegsgefangenenlagern, die glaubten, die Freiheit wiedergefunden zu haben, nachdem sie die litauische Grenze überquert hatten, und die sich in den russischen Lagern wieder finden, bis der Beginn der Operation Barbarossa die Lage verändert: Stalin beschließt, die französischen Gefangenen zu entfernen, wovon 186 der 218 die Ränge des Freien Frankreichs verstärken (siehe Tonbildschau). Die Ankunft von Jean-Louis Crémieux-Brilhac und seinen Kameraden in England sorgt für Aufsehen: ”Wir kommen ungefähr am 12. September 1941 in London an. Wir werden mit Pomp und Mitgefühl empfangen. Es war ein kleiner Anlass, denn de Gaulle befand sich in einer Krise (…) mit Churchill, aus der er letztendlich triumphierend herauskam. Erst am 24. September stand sein Sieg fest, als er, nach seinem Willen und in seiner Form das Comité national français gründete. Unsere Ankunft in London mit 14 Offizieren oder Anwärtern und Billotte, die'Pour combattre avec de Gaulle, souviens-toi, souviens-toi, qu'il faut s'taper pas mal de tôles' (Anm. d. Red. Marschgesang der ”Russes de la France libre” (Russen des Freien Frankreichs, komponiert von René Millet im Juni/Juli 1941) sangen, hatte schon ein gewisses Etwas. Es war die erste bedeutende Gruppe entflohener Häftlinge, abgesehen von den kolonialen Beiträgen, die bedeutendste gemeinschaftliche Unterstützung von de Gaulle seit 1940. Es war also ein kleines Ereignis, was er auch immer so angesehen hat.”
Baptiste Léon
Professor für Geschichte und Geografie, Chefredakteur der Webseite Chemins de mémoire
WEITERE INFORMATIONEN
Die mündliche Erzählung von Jean-Louis Crémieux-Brilhac (SHD GR 3 K 42) kann frei konsultiert werden. Die Aufzeichnung seiner Aussage ist so wahrheitsgetreu wie möglich. Jedoch waren einige Anpassungen des Gesprochenen ans Schriftliche nötig, ohne jedoch den Sinn seiner Worte zu verändern. Seine Akte als Widerstandskämpfer, die unter dem Aktenzeichen GR 16 P 150076 abgelegt ist, ist im Lesesaal einsehbar.