Léon Gambetta
Léon Gambetta wurde am 2. April 1838 in Cahors, der Wahlheimat seiner Eltern, als Sohn des Genuesers Joseph und der Marie Madeleine Orasie Massabie, Tochter eines Apothekers aus Molières, einer Stadt im Tarn-et-Garonne, geboren. Schon in sehr jungen Jahren fällt Léon durch seine Intelligenz und sein außergewöhnliches Gedächtnis auf. Er ist Schüler der kirchlichen Internatsschule von Montfaucon, bevor er das Gymnasium von Cahors besucht. Im jährlichen Leistungswettbewerb erhält er den Preis für den besten französischen Aufsatz und macht dann 1856 mit 17 Jahren das Abitur im philosophischen Zweig. Zum großen Missfallen seines Vaters, der ihn gern als Nachfolger in seinem Geschäft gesehen hätte, reist der junge begabte Redner im Januar 1857 nach Paris und schreibt sich an der Hochschule für Rechtswissenschaften ein, um die Laufbahn eines Rechtsanwalts einzuschlagen. Am 29. Oktober 1859 beantragt er die französische Staatsbürgerschaft und erhält sie. Er besteht das juristische Staatsexamen am 19. Januar des folgenden Jahres und wird am 8. Juni 1861 vereidigt. Seine ersten Plädoyers bringen ihn mit den oppositionellen parlamentarischen Gruppen der "Linken" (die Republikaner) in Verbindung. Die Subskriptionsaffäre Baudin (1851) macht ihn 1868 bekannt. Dieses Verfahren wird von der kaiserlichen Regierung gegen die Zeitungen geführt, die sich für die Subskription zur Errichtung eines Denkmals einsetzen, mit dem an den Abgeordneten erinnert werden soll, der am 3. Dezember auf den Barrikaden des Faubourg Saint-Antoine an der Seite des Volkes von Paris im Kampf getötet worden war.
Der junge Anwalt hält bei dieser Gelegenheit eine Anklagerede gegen das Regime von Louis Napoleon Bonaparte. Im Januar 1870 wendet er sich als Abgeordneter des Wahlkreises von Marseille gegen die Regierung von Emile Ollivier, dessen Annäherung an Napoleon III. von den Republikanern als Verrat empfunden wird. Gambetta ruft jedoch zur nationalen Einheit auf und stimmt am Vorabend des Krieges für die Militärkredite. In der Nacht vom 3. auf den 4. September verkündet Léon Gambetta, nachdem er vergeblich versucht hatte, den Aufstand zu beruhigen, der nach der Ankündigung der Kapitulation von Sedan ausgebrochen war, das Ende des Kaiserreichs in dem von der Volksmenge erfüllten Palais Bourbon. Im Rathaus ist er zugegen, als die Regierung der nationalen Verteidigung ausgerufen wird, der er an der Seite von Jules Simon und Ernest Picard angehört. Er erklärt sich auf eigene Faust zum Innenminister und befiehlt die Absetzung der Präfekten des Empire. Zur gleichen Zeit organisiert er die Verteidigung der Hauptstadt. Am 7. September erscheint Léon Gambetta in dem belagerten Paris als Schicksalsfigur. Angesichts einer Regierung, die in dieser Situation überfordert ist, baut er die nationale Verteidigung in der Provinz auf. Gambetta ist jetzt die Verkörperung des Widerstands gegen die preußische Besatzung. Er fliegt im Ballon zu der Delegation in Tours, über Montdidier, Amiens und Rouen, fügt seinem Portefeuille das Kriegsministerium hinzu, stellt neue Armeen auf, überwacht die Betreuung und Versorgung der Truppen, gründet Fabriken, ist immer unterwegs, gibt Anweisungen und hält Reden, in denen er dazu auffordert, "den Krieg bis zur Vernichtung fortzusetzen". Zur gleichen Zeit wird die Hauptstadt von den kaiserlichen Truppen belagert: die Stadt wird bombardiert, die Bevölkerung hungert. Adolphe Thiers schickt schließlich (am 22. Januar 1871) Außenminister Jules Favre zu Bismarck, um einen Waffenstillstand auszuhandeln. Gambetta wird von der politischen Szene und den Verhandlungen ausgeschlossen, da er in Bordeaux ein Dekret unterzeichnet hat, in dem die Mitglieder der Nationalversammlungen des Empire für unwählbar erklärt werden. Er tritt am 6. Februar zurück.
Gambetta wird bei den allgemeinen Wahlen vom 8. Februar 1871 auf neun Listen gewählt: im Osten, in Paris, in Marseille, in Algerien. Er entscheidet sich für den Bezirk Bas-Rhin. Er stimmt gegen den Frieden und betont seinen Willen, die verlorenen Provinzen zurück zu gewinnen. Nachdem er seinen Abgeordnetensitz am 2. Juli verloren hat, kehrt er von seinem Ruhesitz in San Sebastian zurück und beteiligt sich am Wahlkampf in den Departements Bouches-du-Rhône und Seine. Als Abgeordneter des Departements Seine bildet Gambetta eine parlamentarische Partei der extremen Linken, die "Republikanische Union", gründet eine Zeitung, La République française, hält viele Ansprachen in der Provinz, in denen er die konservative Politik der Nationalversammlung angreift und vertritt einen militanten Antiklerikalismus. In dem Tumult der wiedererstandenen republikanischen Herrschaft nimmt er an den Debatten teil, aus denen die verfassungsmäßigen Gesetze hervorgehen und trägt dazu bei, dass für den Änderungsantrag Wallon vom 28. Januar 1875 gestimmt wird. Léon Gambetta setzt sich während des Wahlkampfs für die Wahl vom Januar und Februar 1876 für das neue Regime ein. In Bordeaux (13. Februar) formuliert er die notwendigen Reformen: Trennung von Kirche und Staat, Schaffung einer Einkommensteuer, Wiederherstellung der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, eine Maßnahme, die er allerdings auf einen "geeigneten" Moment verschiebt, da er fürchtet, die ländlichen Wähler, die demografisch größte Gruppe, vor den Kopf zu stoßen. Die Wahl vom 20. Februar bestätigt seine Arbeit. Gambetta wird in mehreren Wahlkreisen gewählt und entscheidet sich für Belleville. Marschall Mac-Mahon beruft ihn allerdings nicht in sein Ministerium. Er zieht Persönlichkeiten vor, die weiter "rechts" stehen. Gambetta nutzt die Krise, die sich aus der Bildung des Broglie - Ministeriums ergeben hat, um die republikanischen Stimmen zu vereinigen und die Auflösung der Kammer zu erreichen - dies bleibt sein einziger Sieg in seinen vergeblichen Bemühungen, die Linksparteien zu vereinigen.
Als erstklassiger Taktiker und Redner nutzt Gambetta den Wahlkampf des Sommers und geht so weit, in seiner Rede in Lille (15. August) an die Adresse des Präsidenten der Republik den Satz zu richten, "sich unterordnen oder abtreten", der ihm eine Strafe von drei Monaten Gefängnis einbringt, die er allerdings nie antritt. Er ist zum "republikanischen Heiligen" geworden, zieht es allerdings am 3. September vor, Jules Grévy als Staatschef einzusetzen und selbst in zweiter Linie zu bleiben. Eine politische Krise folgt auf die andere; Gambetta stellt sich vehement gegen Marschall Mac-Mahon. Er erreicht schließlich seine Absetzung, da er sich geweigert hat, das Dekret zur Beurlaubung der zehn Generäle des Armeekorps (20. Januar 1879) zu unterzeichnen. Gambetta weigert sich von neuem, an die Spitze der Regierung zu treten, macht Jules Grévy zum Nachfolger von Mac-Mahon und begnügt sich mit der Präsidentschaft der Kammer (am 31. Januar 1879). Gambetta, der in den Augen von Präsident Grévy kein politisches Hindernis mehr darstellt, entledigt sich elegant einer symbolischen Funktion und übernimmt am 10. November 1881 die Präsidentschaft des Rates. Er glaubt, Frankreich nun endlich zu einem stabilen und friedlichen Land machen zu können, das um die republikanische Idee vereint ist. Der neue Staatschef versucht, ein großes Ministerium zu schaffen, in dem alle großen Figuren der "Linken" vereinigt sind. Jules Ferry, Léon Say, Henri Brisson, Charles de Freycinet, die Führer von politischen Bewegungen lehnen das Angebot ab. Kaum ist seine Regierung gebildet (am14. Januar 1882), wird sie bereits nach 74 Tagen wegen eines Gesetzesvorschlags über die Form der Ernennung der Senatoren und der Wahl der Vertreter der Kammer gestürzt. Freycinet ist sein Nachfolger, umgeben von denjenigen, die ihm ihre Zustimmung verweigert hatten.
Léon Gambetta zieht sich nun aus dem politischen Leben zurück. Er zieht in die Gegend von Nizza und nimmt nicht mehr an den Debatten teil, außer am 18. Juli 1882, als er fordert, die Präsenz Frankreichs in Ägypten fortzusetzen. Während seines zurückgezogenen Lebens in Jardies (Ville-d'Avray) an der Seite von Léonie wird Léon Gambetta Opfer eines Unfalls mit einer Schusswaffe, der ihn den ganzen Monat November ans Bett fesselt. Diese Inaktivität besiegelt sein Schicksal. Er stirbt an den Folgen einer Darminfektion und einer nicht operierten Blinddarmentzündung am 31. Dezember 1882. Die Persönlichkeit Léon Gambetta, der republikanische Held und Gründungsvater der 3. Republik, ist nicht zu umgehen, wenn man "verstehen will, dass ein anfänglich modernes und volksnahes Regime, das Napoleons III., durch eine Republik ersetzt wurde, die diesen selben Verdiensten einen tiefen Liberalismus hinzufügte" (M. Aghulon). Sein Staatsbegräbnis findet am 6. Januar 1883 statt. In ganz Frankreich werden ihm Denkmäler gesetzt: in Bordeaux (am 25. April 1905), in Nizza (am 25. April 1909), usw. Das Denkmal im Garten der Tuilerien verschwindet während der deutschen Besetzung.