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Militärisches Gedenken in der Bundesrepublik Deutschland

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Vereidigungszeremonie junger Rekruten vor dem Schloss Bellevue in Berlin, dem Sitz des Bundespräsidenten, unter Einhaltung der „Corona-Abstandsregeln". © Verteidigungsministerium der Bundesrepublik Deutschland

Das militärische Gedenken der Bundesrepublik Deutschland, das das Land manchmal an seine dunkelsten Stunden erinnert, wird heute durch zwei symbolische Daten verkörpert. Als direkte Nachfolgeinstitution dieser Geschichte hat es die Bundeswehr, die heute für die bewaffneten Streitkräfte des Landes steht, verstanden, mit den Ursprüngen dieser Erinnerungskultur umzugehen und ihre Eigenheiten zuzulassen.

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Deutschland und Frankreich, die alten europäischen Nationen, teilen aufgrund ihrer gemeinsamen Wurzeln und jahrhundertelangen Nachbarschaft bestimmte historische und kulturelle Ansätze. Im Bereich der militärischen Gedenkkultur sind die Unterschiede jedoch beträchtlich.

Während Frankreich im Ersten Weltkrieg weiterhin den „Großen Krieg" sieht, ist es für Deutschland der Zweite Weltkrieg, der die eigentliche Zäsur darstellt, die das kollektive Gedenken der Bundesrepublik weiterhin prägt.

Die Verbrechen des Dritten Reiches werfen also immer noch einen Schatten auf die Bundeswehr, obwohl sie erst nach dem Zweiten Weltkrieg entstand und am 12. November 1955 offiziell aufgestellt wurde. Die noch junge Bundesrepublik Deutschland zog damals die richtigen Lehren aus der Vergangenheit. Die Bundeswehr steht somit im Dienst der Wahrung der Freiheit der Bundesrepublik Deutschland und ihres Grundgesetzes, das die wesentlichen Elemente der historischen Erfahrungen Deutschlands verkörpert. Es ist kein Zufall, dass unsere Verfassung mit folgenden Worten beginnt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt."

Aus den Erfahrungen mit Krieg und Diktatur erklärt sich, warum unser „Nationalfeiertag", der Tag der Deutschen Einheit, regelmäßig am 3. Oktober ohne Beteiligung der Streitkräfte gefeiert wird, während dies in Frankreich mit der jährlichen Parade am 14. Juli auf den Champs-Elysées natürlich der Fall ist.

Zwei Tage sind für das militärische Gedenken der Bundesrepublik Deutschland besonders wichtig: der 20. Juli und der Volkstrauertag.

Würdigung des inneren Widerstands

Der 20. Juli ist ein nationaler Gedenktag, aber kein gesetzlicher Feiertag. Dies schmälert jedoch nicht seine symbolische Bedeutung, und dieser Tag ist Teil des historischen deutschen Erbes der geistigen Freiheit und der Rechtsstaatlichkeit. Am 20. Juli 1944 versuchte eine Gruppe von mutigen und ehrenwerten Männern und Frauen, vor allem aber deutsche Soldaten um Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg, den Diktator Adolf Hitler durch ein Attentat zu stürzen. Dieser Staatsstreich, der innerhalb der Armee unter dem Decknamen „Walküre" organisiert wurde, sollte dem verbrecherischen nationalsozialistischen Regime ein Ende setzen, die Rechtsstaatlichkeit wiederherstellen und diesen mörderischen Weltkrieg so schnell wie möglich beenden.

Die Operation Walküre scheitert und die meisten Mitglieder dieser Widerstandsbewegung bezahlen ihren Mut mit dem Leben. Doch der 20. Juli 1944 stellt einen Wendepunkt in der deutschen Geschichte dar, ein bedeutendes Ereignis, das zu jener Zeit nicht selten die deutsche Gesellschaft spaltet. General Adolf Heusinger, erster Stabschef der Bundeswehr, erklärte anlässlich des fünfzehnten Jahrestags des Putschversuchs gegen Adolf Hitler Folgendes: „Die Aktion vom 20. Juli 1944, eine Aktion gegen Rechtlosigkeit und gegen Unfreiheit, ist ein Lichtblick in der dunkelsten Zeit Deutschlands." Die Mitglieder des militärischen Widerstands bezeugten damit die Existenz des „anderen Deutschlands" jenseits der Hitler-Diktatur. Für diese Widerstandskämpfer war der Einsatz für ein besseres Deutschland und die Verteidigung der Rechtsstaatlichkeit ein stärkerer Impuls als der Eid des bedingungslosen Gehorsams gegenüber einem Diktator, der das Deutsche Reich geradewegs in den Untergang und die Aufgabe jeglicher Moral führte. In der jungen Bundesrepublik Deutschland wurde dieser „Aufstand des Gewissens" der Gruppe um Stauffenberg schnell zu einer festen Größe im kollektiven Gedenken, und der 20. Juli 1944 wurde zu einem Schlüsselereignis in der militärischen Tradition und im Selbstverständnis der Bundeswehr.

Vor diesem historischen Hintergrund sind die Ehrung des Widerstands und die feierliche Vereidigung der Bundeswehr zu sehen, die an jedem 20. Juli in der Bundeshauptstadt Berlin, dem historischen Ort des Putschversuchs und heute Sitz des Bundesverteidigungsministeriums, stattfinden. Jedes Jahr an diesem Tag, wenn in allen Ländern der Bundesrepublik Deutschland Kundgebungen, Gedenkfeiern und Vereidigungen stattfinden, reisen Angehörige der Bundeswehr aus ganz Deutschland, aus allen Armeen und aus allen höheren militärischen Organisationselementen nach Berlin, um im Namen der Bundeswehr an einer Vereidigungszeremonie teilzunehmen. Die Zeremonie wird live im deutschen Fernsehen übertragen.

 

Feierliches Gelöbnis vor dem Bellevue

Vereidigungszeremonie junger Rekruten vor dem Schloss Bellevue in Berlin, dem Sitz des Bundespräsidenten, unter Einhaltung der „Corona-Abstandsregeln".

© Verteidigungsministerium
der Bundesrepublik Deutschland

 

Die Gedenkfeiern beginnen mit einer feierlichen Zeremonie der Bundesregierung, an der auch eine Abordnung des Ehrenbataillons und das Heeresmusikkorps teilnehmen, im Ehrenhof der Gedenkstätte des Deutschen Widerstands im Bendlerblock im Berliner Bezirk Mitte. Die Zeremonie findet dort jedes zweite Jahr abwechselnd mit einer Zeremonie an der Gedenkstätte Plötzensee statt, einer Strafvollzugsanstalt, in der 1944 und 1945 die meisten antinazistischen Widerstandskämpfer ermordet wurden. Auf die Gedenkfeiern folgt auch hier die feierliche Vereidigung. Diese findet entweder auf dem Exerzierplatz des Bundesverteidigungsministeriums oder auf dem Vorplatz des Reichstagsgebäudes, in dem der Bundestag tagt, im Herzen Berlins statt. Die Symbolik dieser Zeremonie vor dem Sitz des Parlaments ist insofern besonders stark, als die Bundeswehr als Organ der Exekutive eine so genannte „Parlamentsarmee" ist, da der Bundestag über Kontrollmöglichkeiten verfügt. Neben der Ehrenabteilung, die aus dem Ehrenbataillon und dem Heeresmusikkorps besteht, nehmen in der Regel bis zu 450 junge Rekruten an der Vereidigung in Anwesenheit der Bundesministerin für Verteidigung, des Generalstabschefs der Bundeswehr und rund 2.000 Gästen teil, darunter Minister, Abgeordnete des Bundestags und der Landtage sowie Mitglieder oder Familienangehörige von Widerstandskämpfern. Ein Ehrengast spricht jedes Jahr nach der Ansprache der Verteidigungsministerin den Text der Vereidigung. Dies war beispielsweise 2017 bei der französischen Verteidigungsministerin Sylvie Goulard der Fall. Die Zeremonie erreicht ihren Höhepunkt, wenn die Rekruten schwören, „der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen."

Die Vereidigung symbolisiert ihren formellen Eintritt in die militärische Gemeinschaft und ihre ehrenhafte Verpflichtung gegenüber unserer Gesellschaft.

Historisch gesehen sind diese politische Kultur und die liberale Ordnung der Bundesrepublik von großer Stärke und Stabilität. Sie dürfen jedoch nicht als selbstverständlich angesehen werden. Der 20. Juli 1944 erinnert uns daran und verpflichtet uns, mutig und unserem Gewissen folgend für Recht und Freiheit zu kämpfen.

Dieser militärische Gedenktag stärkt die Wahrnehmung der ethischen Dimension des Dienstes, zu dem sich jeder Soldat verpflichtet. In Deutschland sind die Streitkräfte kein Selbstzweck. Sie müssen sich stets in den Dienst des Schutzes der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes, seiner freiheitlich-demokratischen Verfassungsordnung und der Würde jedes einzelnen Menschen stellen. Die Bundeswehr ist damit selbstverständlich dem Grundgesetz verpflichtet und gleichzeitig ein Instrument der wertebasierten deutschen Sicherheitspolitik.

„Gedenken an den Tod von Millionen unschuldiger Menschen"

Am zweiten Sonntag vor dem ersten Adventssonntag begeht die Bundesrepublik Deutschland jedes Jahr den Volkstrauertag zum Gedenken an die Opfer von Krieg und Tyrannei. Bürgerinnen und Bürger und/oder ihre gewählten Vertreter organisieren in allen Gemeinden Gedenkfeiern, Gottesdienste und Kranzniederlegungen, an denen die Bundeswehr teilnimmt.

In Berlin ist die Neue Wache an der Allee Unter den Linden, seit 1993 das zentrale Mahnmal der Bundesrepublik Deutschland mit dem Ziel, die Opfer von Krieg und Tyrannei in das allgemeine Bewusstsein zu rufen. Der Bundespräsident und die Vertreter der föderalen Verfassungsorgane legen dort in einer sehr zurückhaltenden Zeremonie Kränze nieder. Die Bundeswehr ist daran beteiligt, indem sie die militärischen Ehren erweist.

Der Volkstrauertag erinnert uns daran, dass Millionen unschuldiger Menschen ihr Leben verloren haben, und dient als Mahnung, uns aktiv für die liberale Demokratie und den Frieden in Europa einzusetzen.

An diesem Tag gedenkt die Bundeswehr auch am Ehrenmal der Bundeswehr in der Nähe des Bundesministeriums der Verteidigung in Berlin den Angehörigen der Bundeswehr, die in Erfüllung ihrer Pflicht im Namen von Frieden, Recht und Freiheit in Deutschland ihr Leben verloren haben.

Die Bundesverteidigungsministerin lädt zu diesem Anlass Angehörige der Soldaten ein, um den Soldaten zu gedenken und sie zu ehren. Die Anwesenheit weiterer hochrangiger Vertreter aus Politik und Gesellschaft sowie von Militärattachés unterstreicht die ganz besondere Bedeutung dieses Anlasses.

Es handelt sich um eine schlichte Zeremonie, die von großer Würde und Emotionalität geprägt ist. Die Ministerin nimmt die Kranzniederlegung nach militärischem Zeremoniell mit einem Angehörigen eines verstorbenen Soldaten vor, begleitet vom Chef des Generalstabs der Bundeswehr. Nach der Kranzniederlegung erhält jeder Angehörige und jeder Gast eine Rose, die er oder sie vor dem Kranz als Symbol des individuellen und kollektiven Gedenkens niederlegt. Anschließend sind die Teilnehmer eingeladen, an der vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge organisierten Gedenkfeier für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft im Plenarsaal des Deutschen Bundestages teilzunehmen.

Dieser Überblick über die nationalen Gedenktage, an denen die Bundeswehr teilnimmt, hat uns gezeigt, dass unser militärisches Gedenken im Vergleich zu dem anderer Länder stark mit unseren Werten verbunden ist und einen großen Teil der Selbstreflexion beinhaltet. Die Einbindung in einen Wertekatalog ist über den rein militärischen Beruf hinaus grundlegend für das Selbstverständnis der Bundeswehr und die Tradition, in die sie eingebettet ist. Dieses Prinzip des gewissensgesteuerten Gehorsams unserer mündigen Bürgerinnen und Bürger in Uniform wird unter dem Begriff der „inneren Führung", der moralischen und staatsbürgerlichen Bildung des Soldaten, zusammengefasst. Dieser Grundsatz sendet ein klares Signal: Wir haben aus der Geschichte und insbesondere aus dem Schatten des Dritten Reichs gelernt.

Stolz auf ihr Selbstverständnis, ihre Professionalität und den Sinn für das Erreichte feierte die Bundeswehr daher am 12. November 2020 im Schloss Bellevue in Berlin, dem Sitz des Bundespräsidialamtes, ihr 65-jähriges Bestehen. Dieses Datum war bereits im Jahr zuvor Gegenstand einer Zeremonie in Form einer Vereidigung in Berlin vor dem Bundestag sowie von Vereidigungen und anderen Feierlichkeiten in allen Bundesländern gewesen. Dies scheint die Geburtsstunde eines neuen offiziellen militärischen Gedenktags anzudeuten.

 

Oberstleutnant Ralf Kimmerle und Oberstleutnant Florian Reichenberger - Bundesverteidigungsministerium der Bundesrepublik Deutschland
Aus dem Deutschen übersetzter Text.