Orte zum Vermitteln und Verstehen
Vom Gefängnis Montluc in Frankreich bis zum Lager Neuengamme in Deutschland hat sich eine deutsch-französische Geschichte entwickelt, deren Erinnerung die Teams der Stätten heute dazu verpflichtet, sich gemeinsam für ein besseres Verständnis und die Weitergabe eines zutiefst europäischen Gedenkens einzusetzen.
Die Nationale Gedenkstätte des Gefängnisses in Montluc wurde 2010 auf dem Gelände der ehemaligen Strafvollzugsanstalt eröffnet, die bis 2009 als solche in Betrieb war. Das vor dem Abriss gerettete Gefängnis Montluc ist nun ein wichtiger Ort des nationalen Gedenkens des Armeeministeriums, dessen Verwaltung und Weiterentwicklung dem ONAC-VG anvertraut wurde.
Die Geschichte von Montluc ist lang und komplex und schwankt während seiner gesamten Betriebszeit von 1921 bis 2009 zwischen Militär- und Ziviljustiz und zwischen Friedenszeiten und Kriegszustand. Seine Nutzung während des Zweiten Weltkriegs macht es jedoch zu einem symbolträchtigen Ort. Als Gefängnis des Vichy-Regimes wurde es im Februar 1943 nach der Invasion der Südzone von der deutschen Armee beschlagnahmt. Von da an wurde das Gefängnis zu einem Durchgangsort für fast 10.000 Juden, Widerstandskämpfer und Geiseln, die darauf warteten, erschossen, massakriert oder deportiert zu werden. Die Mechanismen der Repression und der Deportation sind somit Themen, die in der Gedenkstätte vor allem zu pädagogischen Zwecken umfassend untersucht und erläutert werden.
Um diese Inhalte und die Arbeitspraxis weiterzuentwickeln, wurde es schnell notwendig, die Gedenkstätte auf europäische Perspektiven auszurichten. 2018 konzipierte die Nationale Gedenkstätte des Gefängnisses von Montluc eine Studienreise für Geschichtslehrkräfte der Sekundarstufe der Akademie Lyon, De la prison de Montluc à l’univers concentrationnaire - Regards croisés sur l’enseignement de l’internement et de la déportation en France et en Allemagne (Vom Gefängnis in Montluc zur Welt der Konzentrationslager - Ein wechselseitiger Blick auf den Unterricht über Internierung und Deportation in Frankreich und Deutschland). Diese Bildungsmaßnahme begann in Montluc und wurde in Deutschland bis hin zum Lager Neuengamme und seinen Kommandos mit den Standorten Bunker Valentin und Bullenhuser Damm fortgesetzt, wobei der Leidensweg von fünf Internierten aus dem Gefängnis Montluc, die nach Neuengamme deportiert wurden, verfolgt wurde.
Das Konzentrationslager Neuengamme wurde 1938 errichtet und 1940 zu einem unabhängigen Arbeitslager, dem 85 Außenkommandos angegliedert waren. Zwischen 1940 und 1945 waren dort mehr als 100.000 Menschen aus ganz Europa interniert, darunter etwa 11.500 Franzosen. Ab 1948 nutzte die Stadt Hamburg die Gebäude und das Gelände als Gefängnisstandort, indem sie auf dem Gelände zwei Gefängnisse errichtete. 1965 wurde am Rande des Geländes eine internationale Gedenkstätte errichtet, die 1981 durch ein Ausstellungsgebäude ergänzt wurde. Die beiden Strafanstalten wurden Anfang der 2000er Jahre geschlossen und die Gedenkstätte wurde 2007 auf dem Gelände des ehemaligen Lagers eingeweiht.
Archivmaterial zur Veranschaulichung der Deportation von Internierten aus Montluc nach Neuengamme.
© Mémorial National de la prison de Montluc - ONAC-VG
Über ihre unbestreitbaren historischen Gemeinsamkeiten hinaus haben zahlreiche wissenschaftliche, denkmalpflegerische und erinnerungspolitische Verbindungen zwischen Montluc und Neuengamme eine lebendige pädagogische Partnerschaft entstehen lassen.
Eine zweite von Montluc organisierte Studienreise im Jahr 2019 brachte die beiden Gedenkstätten in Lyon mit zahlreichen Partnern (Gedenkstätten, Museen, Bildungseinrichtungen, deutsche und französische Partner) zusammen. Diese Bildungsmaßnahme zur Vermittlung der Geschichte der Internierung und Deportation hat insbesondere eine der deutschen Besonderheiten bei der Erforschung des Zweiten Weltkriegs hervorgehoben, nämlich die Studie über die Folterer. Das Seminar schlug daher eine Betrachtung über deren Darstellung und Verwendung in einem pädagogischen Rahmen vor.
Der Fall Neuengamme wurde bei dieser Gelegenheit in den Vordergrund gerückt, insbesondere durch eine vierstimmige Zeugenaussage, bei der zwei französische Nachkommen von Deportierten und zwei deutsche Nachkommen von Verfolgern vor einem Publikum aus dem Gedenk- und Bildungsbereich in einen Dialog traten. Diese Begegnungen, die in der Gedenkstätte Neuengamme eingeleitet wurden, ermöglichen insbesondere die Untersuchung des generationenübergreifenden Phänomens und veranschaulichen den Beitrag zu einer versöhnlichen deutsch-französischen Geschichte.
Das Interesse an nebeneinander bestehenden und sich ergänzenden pädagogischen Ansätzen ermöglicht es, die für die Jugend unerlässliche Hinterfragung und Innovation voranzutreiben. Auf der Grundlage dieses Austauschs hat die Gedenkstätte Montluc ihre pädagogischen Inhalte aktualisiert und zwei neue Workshops für Schulklassen konzipiert: Der eine basiert auf den Studien über Folterknechte rund um die Person Klaus Barbie ; der zweite zeichnet den Leidensweg von Montluc-Internierten nach, die nach Neuengamme deportiert wurden, und vermittelt anhand von Archivdokumenten ein Verständnis für die Deportation von Widerstandskämpfern und die Aspekte der Zwangsarbeit.
Montluc und Neuengamme arbeiten zusammen, um gemeinsame Gedenkinhalte zu vermitteln, und sind heute in ein europäisches Jugendprogramm eingebunden, das vom Deutsch-Französischen Jugendwerk koordiniert wird und nach demselben Prinzip darauf abzielt, die Denkansätze auf weitere Akteure des Gedenkens auszudehnen.
Durch die Initiierung eines Austauschs, der unsere jeweiligen Erinnerungskulturen hinterfragen und bereichern soll, ebnen diese beiden Standorte somit den Weg für eine umfassendere Auseinandersetzung mit den pädagogischen Herausforderungen eines europäischen Gedenkens und einer europäischen Gesellschaft.