1940 Reaktion auf den Aufruf
Zusammenfassung
Zusammenfassung
DATUM: Dienstag, 18. Juni 1940
ORT: London
BETREFF: Aufruf von General de Gaulle
FOLGE: Gründungsakt der französischen Widerstandsbewegung (Résistance)
Auch wenn der Aufruf vom 18. Juni heute als Gründungsakt der französischen Widerstandsbewegung gilt, waren 1940 ihre zögerlich Anfänge auf Einzelinitiativen beschränkt. Dennoch bildeten sich ab 1940 die ersten Widerstandsnester und es entstand das Führungssymbol des Freien Frankreichs.
Oft hat man von den Anfängen der Résistance eine einfache Vorstellung. Demnach hätte der am 17. Juni nach London abgereiste General de Gaulle dort am darauffolgenden Tag mit einem Aufruf über den Radiosender BBC die französische Widerstandsbewegung gegründet. Daraus wäre dann eine Mobilisierungsdynamik auf dem französischen Staatsgebiet entstanden. Wenn man sich auf zuverlässige Erkenntnisse (die Abreise nach London, die Entstehung von Menschengruppen am Festland, die etwas tun wollen) stützt, ist diese Sicht der Dinge jedoch grob vereinfachend und ungenau. Zuerst deswegen, weil es am 18. Juni 1940 die Résistance - mit einem großen R - überhaupt nicht gibt, ungeachtet der Bedeutung des Aufrufs von General de Gaulle. Außerdem, weil die Initiative Charles de Gaulles ihm unmittelbar keinen echten Status und keine wirkliche Bedeutung bei der britischen Regierung oder der französischen Bevölkerung oder gegenüber den ersten Widerstandsnestern einbrachte, die unabhängig von der Aktion in London entstanden. Schließlich weil wir - 80 Jahre später - sagen, dass der französische Widerstand in seinen Anfängen nur aus vielen Einzelinitiativen und Heldentaten bestand, die man - aus der Ferne und fälschlicherweise - als lächerlich betrachten könnte. Daher muss man hier genauer hinsehen.
General de Gaulle fliegt nach London
Marschall Pétain erklärt am 17. Juni 1940 um 12:30 Uhr in einer viel beachteten Radioansprache, dass man „den Kampf einstellen“ müsse und er bat den „Gegner“, ob er bereit sei, mit ihm „Wege zu suchen, um den Kampfhandlungen ein Ende zu setzen“. Im Klartext verkündet der neue Ratspräsident, dass er um einen Waffenstillstand gebeten hat. Am selben Tag hob General de Gaulle drei Stunden vorher vom Flugplatz Mérignac nach England ab. Am Nachmittag trifft er mit Winston Churchill zusammen, dem er mitteilt, dass er schnellstmöglich einen Aufruf über die BBC starten möchte. Das geschieht nicht von selbst: das Foreign Office – das hofft, dass die Bedingungen der Deutschen inakzeptabel sein werden – bricht die Brücken zur Regierung Pétain nicht ab, die in Bordeaux gestrandet ist, nachdem sie am 10. Juni Paris verlassen hat, und der britische Botschafter intensiviert seine Gangart gegenüber Pétain.
Die Erzählung vom 18. Juni
Am Vormittag des 18. verfasst de Gaulle dennoch den Text, den er in der BBC vorlesen möchte. Churchill wiederum gibt der Rede, die er am Nachmittag vor dem Unterhaus halten muss, den letzten Schliff. Sie ist als Rede der besten Stunde im Gedächtnis geblieben: „Lasst uns darum unsere Pflicht tun, und lasst sie uns so tun, dass sogar nach tausend Jahren, wenn es dann noch ein britisches Reich und sein Commonwealth gibt, die Menschen sagen werden: „Das war ihre beste Stunde“.“ Aus diesem Grund ist der britische Premierminister nicht bei der Sitzung des Kriegskabinetts dabei, das um 12:30 Uhr beginnt. Als das Kabinett vom Text des Aufrufs erfährt, den General de Gaulle starten möchte, stellt es sich gegen dessen Ausstrahlung über die BBC, „solange Hoffnung besteht, dass die Regierung von Bordeaux gemäß den Interessen der Allianz handelt“. Churchill muss sein ganzes Gewicht in die Waagschale werfen, damit diese Entscheidung rückgängig gemacht wird. De Gaulle, der diese Bedenken ignoriert, nimmt gegen 18 Uhr den Text auf, der nach der Nachrichtensendung um 22 Uhr ausgestrahlt wird. Die BBC sollte diese Aufnahme nicht aufbewahren: die wichtige Rede des Tages war offensichtlich jene von Churchill...
Der Inhalt des Aufrufs
Der Inhalt des Aufrufs vom 18. Juni reifte in Charles de Gaulle lange Zeit im Laufe der Regierungssitzungen heran, an denen er als Unterstaatssekretär des Kriegsstaates bis zum 16. Juni teilnahm und in welchen die Lösungsmöglichkeiten leidenschaftlich diskutiert wurden: Waffenstillstand, Kapitulation, Fortführung des Kampfes von England aus. De Gaulle vertritt genau die gegenteilige Auffassung zu der am Vortag von Pétain dargelegten Analyse. Die Niederlage ist auf die mechanische Kraft der deutschen Armee zurückzuführen, die nur durch eine größere mechanische Kraft besiegt werden könne. Auch wenn die französischen Streitkräfte auf dem Boden Kontinentalfrankreichs kampfunfähig ist, gibt es weltweit alle Mittel, um Hitler zu schlagen (das die Meere beherrschende britische Empire, die industrielle Stärke der Vereinigten Staaten). Nach dieser geopolitischen Analyse „lädt“ de Gaulle die Spezialisten der Kriegsbemühungen (Soldaten, Offiziere, Arbeiter, Ingenieure), die sich auf britischem Territorium befinden oder dorthin kommen, ein, sich mit ihm in Verbindung zu setzen. Der Aufruf endet mit einem Vertrauensvorschuss: „Was auch immer geschehen mag, die Flamme des französischen Widerstandes darf nicht erlöschen und wird auch nicht erlöschen“ und mit einer zeitlichen Verankerung des beginnenden Handelns: „Morgen, wie heute, werde ich von Radio London aus sprechen.“
Trotz dieser Ankündigung sollte de Gaulle das Wort in der BBC erst wieder am 22. Juni ergreifen, dem Tag der Unterzeichnung des Waffenstillstandes zwischen Frankreich und Deutschland, der das Ende der britischen Hoffnungen einläutet, dass Pétain auf eine Einigung mit seinem Bezwinger verzichten würde. Auch wenn es einen Aufruf vom 19. Juni gibt, der in den Mémoires de guerre (Kriegserinnerungen von Charles de Gaulle, Anm. d. Übers.) abgedruckt ist, wurde er nicht über die BBC ausgestrahlt.
Denn die Lage General de Gaulles ist instabil und eigentlich völlig neu. Er ist ein einzelner Mann ohne irgendein Mandat und ohne wirklich bekannt zu sein, der beabsichtigt, das Ansehen Frankreichs zu heben und es wieder in einen Kampf zu führen, den seine offizielle Regierung aufgegeben hat. Seine Lage ist so prekär, dass er eine Änderung seines Textes auf Wunsch der Briten akzeptieren musste. Die ersten Sätze des belegten – und später verbreiteten – Textes von General de Gaulle sind wohlbekannt: „Jene Führer, die seit vielen Jahren unsere Streitkräfte befehligten, haben eine Regierung gebildet. Diese Regierung führt die Niederlage unserer Streitkräfte an...“ Sie weichen von jenen ab, die er tatsächlich ins Mikrofon gesprochen hat: „Die französische Regierung hat den Feind gefragt, unter welchen Bedingungen der Kampf beendet werden könne. Sie erklärte, dass der Kampf fortgeführt werden müsse, wenn diese Bedingungen gegen die Ehre verstoßen.“ In der Aufnahme bei der BBC musste er daher seine Äußerungen entschärfen.
Erste Durststrecke
Zwischen 18. und 28. Juni befindet sich de Gaulle in einer schwierigen Lage. Er muss sich mit einer britischen Regierung arrangieren, die immer noch auf die Ankunft politischer Verantwortlicher eines anderen Kalibers in London hofft. In dieser unentschiedenen Phase nehmen die Briten Kontakt zu Georges Mandel – der am 21. Juni mit der Massilia nach Nordafrika aufgebrochen ist - und General Noguès auf, der Generalresident des Protektorats in Marokko war. Beide Führungspersonen wären für einen französischen Vorstoß in Frage gekommen. De Gaulle seinerseits ist präsent und spricht am 24. Juni und dann am Abend des 26. in der BBC.
Georges Mandel, Kolonialminister, 8. November 1939. © Excelsior-L'Equipe/Roger-Viollet
Die im Amt befindlichen französischen Führungspersonen im Empire schlagen sich zwischen dem 25. und 27. Juni auf die Seite der Regierung in Bordeaux, während die Politiker an Bord der Massilia bei ihrer Ankunft in Casablanca verhaftet werden. De Gaulle scheint daher die einzige Alternative zu sein. Am 28. Juni wird er in einem Kommuniqué der britischen Regierung als „Anführer der wo immer befindlichen Freien Franzosen, die sich ihm zur Verteidigung der alliierten Sache anschließen“ anerkannt. Das ist viel und wenig zugleich. Viel, weil das Symbol, das er darstellt, an Bedeutung gewinnt. Wenig, weil diese seltsame Bezeichnung die Verlegenheit ausdrückt, seine Rolle nach den üblichen diplomatischen Kriterien zu benennen. Schließlich ist er mittlerweile auf französischer Seite die Ansprechperson und der Partner der Briten. Die am 7. August zwischen dem Freien Frankreich und Letzteren getroffenen Vereinbarungen besiegeln diese Allianz in drei Punkten: 1.) Die Freien Französischen Streitkräfte sind, auch wenn sie die Weisungen des britischen Kommandos annehmen, eine eigenständige Armee; 2.) der General kann eine zivile und militärische Verwaltung aufbauen; 3.) seine Bewegung wird von den Briten finanziert, denen die Kosten nach Beendigung des Krieges erstattet werden sollen.
General Noguès in Begleitung von zwei Söhnen des Sultans, wobei der Ältere der Kronprinz und künftige König Hassan II. von Marokko ist, Fès, 1940. © Roger-Viollet
Der am 18. Juni 1940 begonnene Kreis schließt sich mit der Schaffung eines Vorläufers der Regierung am 24. Oktober, dem Verteidigungsrat des Empire. Diese Gründung wird durch den Anschluss bestimmter Kolonialgebiete an das Freie Frankreich möglich; dazu zählen der Tschad, Kamerun und vor allem der Kongo. Im September 1940 scheiterte jedoch ein mit den Engländern in Richtung Dakar gestarteter Vorstoß der Flotte auf Grund des entschlossenen Gegenschlags der Behörden von Vichy vor Ort. Ein schmähliches Scheitern, das die schwierige Aufgabe des Freien Frankreichs belegt und seiner Glaubwürdigkeit gegenüber den Briten schadet. Mit Müh und Not gewinnt das Freie Frankreich dennoch an Boden, indem es Gabun erobert und damit Äquatorialafrika kontrolliert. Ende 1940 gibt es ca. 35.000 Freie Franzosen.
In seinen Mémoires de guerre (Kriegsmemoiren) präsentierte sich General de Gaulle in der Beschreibung seiner Lage, als er mit der Überquerung des Ärmelkanals den Rubicon überschritt, als „allein und aller Mittel beraubt“. Diese Formulierung traf genau zu. Der Aufruf vom 18. Juni 1940 war ein äußerst gewagter Schachzug, der ihn in eine tragische Isolation hätte führen können. Ab August 1940 ist diese Gefahr gebannt, jedoch bleibt noch viel zu tun.
Freie Franzosen vom Expeditionskorps mit Ziel Dakar, September 1940. © Museum des Ordre de la Libération
Erste Einzelinitiativen in Frankreich
René Cassin, der sich am 29. Juni 1940 General de Gaulle in London angeschlossen hatte, gab seinem 1974 veröffentlichten Erinnerungsbuch den Titel Les Hommes partis de rien, le réveil de la France abattue, 1940-1941 (Die Männer, die bei Null anfingen, das Wiedererwachen des am Boden liegenden Frankreichs, 1940-1941). „Die Männer, die bei Null anfingen“, diese Formulierung galt auch für jene, die am französischen Festland durch den Waffenstillstand im Wesentlichen in zwei Zonen aufgeteilt wurden und versuchten, etwas zu tun, um sich gegen die Niederlage und ihre Folgen zu wehren. Die öffentliche Meinung ist in den beiden Zonen durch die vernichtende Niederlage im Mai-Juni 1940 betäubt und niedergeschlagen. Die Schockstarre ist so groß, dass die Pioniere dessen, was zur Widerstandsbewegung werden sollte, nur eine Handvoll Frauen und Männer sind, die sich selbst überlassen wurden und durch die Weigerung aufzugeben angetrieben werden.
So ist es auch bei Jean Moulin. Dieser 41-jährige Präfekt beschließt, nachdem er vom Besatzer, der ihn zwingen will, einen Text zu unterschreiben, in dem senegalesische Truppen der französischen Streitkräfte für die von den Deutschen begangenen Tötungen verantwortlich gemacht werden, halbtot geschlagen wurde und unter Androhung neuer Schläge für den nächsten Tag in den Keller seiner Präfektur in Chartres geworfen worden war, sich in der Nacht vom 17. auf den 18. Juni 1940, d. h. vor dem Aufruf von General de Gaulle, die Kehle aufzuschneiden. Der Präfekt von Eure-et-Loir hätte den ihm vorgelegten unwürdigen Text unterzeichnen und berechtigterweise erklären sollen, dass er unter Zwang Dinge akzeptiert hätte, die gegen die Ehre verstoßen. Er widersetzte sich jedoch und hätte eher sein Leben gegeben, denn es gibt Kompromisse, die man nicht eingehen kann, ohne seine Seele zu verlieren. Das war die Heldentat eines isolierten Gewissens, das ohne Abwägung von Für und Wider fest auf Kurs bleibt, wenn es eine Entscheidung getroffen hat. In dieser Hinsicht war Moulin ein Pionier dieser Widerstandsbewegung, die zuerst eine individuelle Weigerung war, ohne die Möglichkeit eines Siegs in Erwägung zu ziehen.
Jean Moulin, Präfekt von Eure-et-Loir, und der Feldkommandant, Chartres, Juli 1940. © Museum des Ordre de la Libération
In derselben Nacht, in der Moulin versucht, seinem Leben ein Ende zu setzen, wirft Edmond Michelet, ein 41-jähriger Makler, Christdemokrat und Vater von 7 Kindern in Brive ein Flugblatt in die Briefkästen der Stadt, auf dem ein Text von Péguy abgedruckt ist: „In Kriegszeiten ist derjenige, der sich nicht ergibt, mein Mann, egal wer er ist, wo er herkommt und welcher Partei er angehört. Und derjenige, der sich ergibt, ist mein Feind, egal wer er ist, wo er herkommt und welcher Partei er angehört.“ Er appelliert damit an die Notwendigkeit, das Gewissen einzuschalten.
Der militante Sozialist Jean Texcier, Angestellter im Handelsministerium, 52 Jahre alt, schreibt seinerseits im Juli 1940 mit der Schreibmaschine seine 33 „Ratschläge an die Besetzten“, die er in Paris verbreitet, wo er lebt. Es sind Ratschläge der Würde, nicht des Kampfes, die den Besatzer mit einer eisigen Sphäre umgeben sollen. Das ist in diesem Sommer 1940 jedoch schon viel. Im Übrigen geht der letzte Rat darüber hinaus: „Du brauchst deine Freunde nicht in die Buchhandlung zu schicken, um diese Ratschläge zu kaufen. Wahrscheinlich besitzt du nur ein Exemplar. Hebe es gut auf. Fertige Kopien davon an, damit deine Freunde sie ihrerseits kopieren. Eine gute Beschäftigung für die Besetzten.“ Da gab es bereits den Gedanken, die Worte der Ablehnung zu verbreiten.
Als Germaine Tillion nach Beendigung einer ethnografischen Mission im Aurès-Gebirge nach Paris, das sie am 30. Mai 1940, ihrem 33. Geburtstag, verlassen hatte, zurückkehrt und vom Ersuchen um Waffenstillstand erfährt, zieht sie nicht eine Sekunde lang in Betracht, nicht das Gegenteil von dem zu tun, was Pétain empfiehlt. Auf der Suche nach Kontakten geht sie zum Sitz des Roten Kreuzes in Paris. Dort hört sie, wie über den siebzigjährigen Oberst Paul Hauet gesprochen wird, der wie sie den Waffenstillstand für inakzeptabel hält. Paul Hauet, der Ende Juni auf die Place Denys-Cochin zwischen Invalidendom und Militärschule gekommen war, um General Mangin zu würdigen, dessen Statue von den Pionieren der Wehrmacht gestürzt worden war, trifft dort zur selben Zeit Oberst Maurice Dutheil de la Rochère wieder, seinen Mitschüler im Polytechnikum, der ein glühender Nationalist ist und in dessen Augen der Waffenstillstand ein Synonym für die größte Schmach ist. So entsteht eine der ersten Linien dessen, was bald schon die Gruppe Musée de l’Homme https://www.cheminsdememoire.gouv.fr/sites/default/files/editeur/MC05.pdf werden sollte, in der sich Leute zusammentun, zwischen denen berufliche Verbindungen bestehen (der Sprachwissenschaftler Boris Vildé, der Anthropologe Anatole Lewitsky, die Bibliothekarin Yvonne Oddon), oder die militante Gesellschaftsgruppen und Freundeskreise bilden (Jean Cassou, Claude Aveline, Agnès Humbert, Marcel Abraham, Simone Martin-Chauffier). Mit Ausläufern über Paris hinaus entwickelt sich diese Gruppe schneller und effizienter als die anderen Gruppen, die aus der Verständigung von Einzelpersonen, die handeln wollten, entstanden sind. Sie zahlt den Preis dafür, indem sie eine brutale Repression erleidet, die im Februar 1941 zu ihrer Auflösung führt.
Germaine Tillion im Jahr 1935. © PVDE/Bridgeman Images
Diese einzelnen Vorstöße äußern sich auch im heimlichen Aufbruch nach England. Wie Jacques Bingen, 32 Jahre, Bergbauingenieur und Absolvent der Freien Schule für Politikwissenschaften, der nach Gibraltar gelangt, von wo aus er am 6. Juli 1940 an die britischen Behörden schreibt: „Hier bin ich, wohlbehalten dem Nazigebiet entkommen und bereit, mich dem britischen Empire anzuschließen und Hitler bis zu seinem Ende zu bekämpfen. Alles was ich hatte, habe ich verloren, mein Geld (keinen Pfennig mehr in der Tasche), meine Arbeit, meine Familie, die in Frankreich geblieben ist und die ich vielleicht nie mehr sehen werden, mein Land und mein geliebtes Paris... Ich bleibe aber ein freier Mann in einem freien Land und das zählt mehr als alles andere.“
Ein Mosaik aus Gründen
Welche Motive haben die Vorreiter dieser Widerstandsbewegung, die das gesamte Handeln neu erfinden muss? Ganz unterschiedliche, sie reichen vom militanten Antifaschismus über den Wunsch, die Republik zu schützen, damit Frankreich seinen Platz auf internationaler Ebene behält, bis zur nationalistischen germanophoben Tradition. Der kleinste gemeinsame Nenner ist sicherlich der Patriotismus, die entschlossene Ablehnung eines französischen Staates, der unter deutschem Stiefel einen Waffenstillstand mit drakonischen Bedingungen akzeptiert. Dazu mischt sich auch ein Anflug von Ethik, in dem Sinne, dass die Anerkennung der Niederlage und ihre Zurechnung zu dem, was Pétain am 20. Juni „Genusswille“ nennt, moralisch untragbar sind.
In dieser Anfangsphase sind es Einzelpersonen, die sich gegen eine Situation sträuben, die sie als inakzeptabel beurteilen. Einzeln beschließen sie zu kämpfen. Nur wie? Im Sommer 1940 weiß das wahrhaftig niemand. Von da an schließen sich in der Nordzone und im Winter 1940-1941 in der Südzone die Einzelpersonen zu Gruppen zusammen, je nach zufälligen Treffen und unter vorsichtiger Inanspruchnahme ihrer Kenntnisse. Diese allerhöchstens aus einigen Dutzend Personen bestehenden Gruppen schaffen Fluchtwege für geflohene Kriegsgefangene und in feindlichem Gebiet abgestürzte Flieger, hinterlassen handschriftliche Inschriften auf den Mauern, kleben Handzettel auf und erstellen schließlich Flugblätter, die sie dann verteilen. In der nicht besetzten Zone stellt das Ansehen Marschall Pétains das schwierigste Hindernis für die Rekrutierung guter Freiwilliger dar. In der besetzten Zone dagegen wirken die überall sichtbare deutsche Anwesenheit und die Härte der Unterdrückung wie Zement. Germaine Tillion konnte daher schreiben, dass sich die ersten Gruppen „mit einer Geschwindigkeit vermehrten, wie Aufgusstierchen im tropischen Wasser.“ Trotz alledem waren die Anfänge mühsam.
Das Gewicht eines Symbols und die Macht des Legendären
In einem so schwierigen und feindlichen Kontext zählen Symbole. Daher dient der Aufruf vom 18. Juni bald als Verankerung. Er wird zum Symbol der Ablehnung und eines Kampfes, der fortgesetzt werden muss. Selbst wenn das Freie Frankreich und die Widerstandsgruppen im Inneren vor dem Herbst 1941, als der erste politische Gesandte des Freien Frankreichs Yvon Morandat aus London kommt, keinen regelmäßigen Kontakt pflegen, sind die 350 Wörter vom 18. Juni 1940 wichtige Faktoren in der laufenden Schlacht. Die große Stärke von General de Gaulle bis Mitte des Jahres 1943 sollte genau darin liegen, dass er ein Symbol ist, auch wenn es seine größte Schwäche war, nur ein Symbol zu sein.
Feier vom 18. Juni 1960, Einweihung des Mémorial de la France combattante, Mont-Valérien. © Museum des Ordre de la Libération
Ende Juli-Anfang August wird an die Mauern Londons und anderer englischer Städte das Plakat „An alle Franzosen“ geklebt, das angeblich den Aufruf vom 18. Juni abbildet, den wenige Leute in Frankreich gehört haben und dessen Wortlaut auch wenige Freiwillige in England kennen. Es fasst den Inhalt des Aufrufs mit einem Satz zusammen, den de Gaulle am 18. Juni nicht gesagt hat: „Frankreich hat eine Schlacht verloren, aber Frankreich hat nicht den Krieg verloren.“ Formal gesehen sind der Aufruf und das Plakat zwei verschiedene Texte. In den Darstellungen verschmelzen beide zu einem einzigen Credo und die Legende des Anführers des Freien Frankreich nimmt damit ihren Lauf. Gewiss hat er 1940 die Widerstandsbewegung im besetzten Frankreich nicht eingeleitet, sondern durch seine kühne Rede vom 18. Juni das Privileg des zeitlichen Vorrangs erworben, das ihm nichts und niemand absprechen kann. Es beginnt sich daher ein „Ort der Erinnerung“ zu bilden, der die Darstellungen bis heute durchdringt. „Der Lauf der Zeit, das Ansehen aus seiner zehnjährigen Präsidentschaft, der Niedergang Frankreichs in den 2000er-Jahren, aber auch der Einfluss der Mémoires de guerre haben, wie de Gaulle es wollte, dazu beigetragen, dass der 18. Juni gemeinsam mit den aus der Französischen Revolution geerbten Mythen zum Gründungsakt unserer heutigen Republik wurde.“ (Jean-Louis Crémieux-Brilhac).
Autor
Laurent Douzou - Professor für zeitgenössische Geschichte der Sciences Po Lyon
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La lutte clandestine en France. Une histoire de la Résistance, 1940-1944, Sébastien Albertelli, Julien Blanc, Laurent Douzou, Seuil, Sammlung La Librairie du XXIe siècle, 2019.
De Gaulle, la République et la France Libre, 1940-1945, Jean-Louis Crémieux-Brilhac, Perrin, Sammlung Tempus, 2014.
Warum de Gaulle lehren?, Tristan Lecoq, Generalinspektor für nationale Bildung
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