Rémi Praud
Rémi Praud ist Direktor der Stiftung „Liberation Route Europe“, die eine Reiseroute quer durch Europa auf den Spuren der alliierten Soldaten vorschlägt. Im Jahr des 75. Jahrestages der Befreiung bereiten sich die europäischen Partner auf zahlreiche Besucher vor.
Wie ist die Stiftung „Liberation Route Europe“ entstanden?
In erster Linie ist die Stiftung „Liberation Route Europe“ eine niederländische Organisation. Sie wurde 2011 nach dreijährigen Gesprächen mit und Beiträgen von den Museen und lokalen Behörden des östlichen Landesteils rund um Nijmegen und Arnheim gegründet.
Die Grundidee war einerseits die Einrichtung von Audiospots (interaktiven Säulen, an denen die Besucher erfahren können, welche Ereignisse sich bei der Befreiung 1944-1945 abgespielt haben) und andererseits die Erstellung einer gemeinsamen Strategie für einen Gedenktourismus. Diese Idee trug schnell Früchte und weitere niederländische Regionen haben sich ihr angeschlossen. Heute ist die Stiftung in neun europäischen Ländern (darunter Frankreich) und auf internationaler Ebene, vor allem in Nordafrika, vertreten.
Kann man heute von einem europäischen Gedenktourismus sprechen?
Wir glauben schon. Wir haben in unserem Netzwerk ein zunehmendes Interesse für dieses Thema festgestellt, in Verbindung mit kontinuierlich steigenden Besucherzahlen an den Gedenkstätten. Dies gilt klarerweise für eine Region wie die Normandie, aber bestätigt sich auch in den Gebieten, in denen dieses Thema touristisch weniger verankert ist. Diese Regionen haben realisiert, dass das Erbe des Krieges zunächst eine moralische Verantwortung mit sich bringt, aber auch ein einzigartiger Vorteil für den Tourismus sein kann.
Heute beschränken sich viele Reiseveranstalter und Reiseleiter nicht mehr nur auf den Besuch eines einzigen Landes, sondern bieten echte länderübergreifende Erlebnisse an, bei denen sie den Spuren der westlichen Alliierten durch Europa folgen. Damit eröffnen sich den Besuchern neue Horizonte und wird ihnen ein Vergleich des unterschiedlichen Umgangs mit dem Krieg in den verschiedenen Ländern ermöglicht, deren nationale Geschichte und Erinnerungen oft wenig vergleichbar sind. Dies ist eine große Bereicherung.
Wie erfolgt die Vernetzung der so unterschiedlichen Gedächtnisstätten?
Durch einen offenen und zugleich inklusiven Ansatz. Das Netzwerk „Liberation Route Europe“ zeigt, wie der Zweite Weltkrieg in die jeweilige Geschichte eines Landes integriert ist und versucht, eine internationale Antwort zu geben, indem es dieses komplexe Erbe aus verschiedenen Blickwinkeln analysiert.
Jedes Land hat seine eigene Art und Weise, wie es mit diesem sensiblen Thema umgeht. Es geht nicht darum, sie in Konkurrenz zu setzen oder einander gegenüberzustellen, sondern vielmehr darum, sie im Verhältnis zueinander aufzuwerten.
Wir möchten auch eine Verbindung zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart herstellen, indem wir die Bedeutung der Versöhnung zwischen den Ländern, aber auch die Zerbrechlichkeit des Friedens hervorheben. Es wird einem bewusst, dass die europäischen Länder eine gemeinsame Geschichte haben. Letztendlich sind die Gedächtnisstätten in Europa nicht so verschieden. Sie alle wollen die Geschichte und die Erinnerung vermitteln, wenn auch die Formen unterschiedlich sein können.
Worin besteht die besondere Herausforderung dieses 75. Jahrestages der Landung in der Normandie?
Die Herausforderung für die Normandie besteht, so wie für andere europäische Regionen, darin, die allmählich zu Ende gehende Anwesenheit von Veteranen und unmittelbaren Zeitzeugen zu antizipieren und zu steuern. Dies ist eine wichtige Tatsache, die von allen berücksichtigt werden muss, die auf diesem Gebiet tätig sind, insbesondere bei Überlegungen zur Frage der Vermittlung, des Übergangs der lebendigen Erinnerung in die Geschichte und der starken Einbindung der Jugend.
Diesbezüglich sollte der Diskurs erneuert werden. Es geht nicht nur darum, der Ereignisse zu gedenken, sondern sie in der Gegenwart und Zukunft zu verankern. Was lernen wir in Bezug auf Frieden oder Freiheit daraus? Das Forum Normandie pour la Paix (Forum der Normandie für Frieden) ist ein sehr gutes Beispiel für diese Entwicklung.
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