Vincennes, place militaire
Corps 1
Vincennes, Militärplatz
Corps 2
Die Geschichte des Schlosses von Vincennes als königliche Residenz ist wohl bekannt, die des Militärplatzes jedoch weit weniger. Und doch erklärt sich die Präsenz des Service historique de la Défense (Archiv des Verteidigungsministeriums) in diesen Mauern gerade dadurch, dass die Krone das Schloss verließ und es allmählich der Militärautorität unterstellte. Im 18. Jh. wird das Schloss zu einem Zentrum für technische Erfindungen. Ab 1740 wechseln sich mit mehr oder weniger unternehmerischem Erfolg zwei Manufakturen ab, eine Porzellanherstellung, Objekt der Industriespionage, und eine Waffenproduktion mit hohem Innovationskapital. In der Waffenmanufaktur Gribeauval (1785-1791) wird zum ersten mal eine standardisierte Produktion eingeführt. Während der frz. Revolution logieren vier- bis fünfhundert Personen im Schloss, darunter eine kleine Garnison. Die Polizei belegt den per Dekret zum Gefängnis deklarierten Donjon, der fast das gleiche Schicksal wie die Bastille erlitten hätte. Von La Fayette und seiner Garde gerettet, dient es als "Verwahrungsstätte" für die "Femmes de mauvaise vie" (Dirnen und Huren). Die militärische Nutzung des Ortes bestätigt sich mit der Gründung des Arsenals von Vincennes durch das Directoire (Direktorium) im Jahre 1796. Als Reaktion auf eine royalistische Konspiration entschließt Napoleon am 15. März 1804, ein Exempel zu statuieren. Er lässt den jenseits des Rheins geflüchteten Herzog von Enghien festnehmen und zum Schloss von Vincennes bringen. Nach kurzem, einer Parodie gleichendem Prozess im Tour du Bois, wird der Enkel des Prinzen von Condé in der Nacht vom 20. auf den 21. März 1804 erschossen. Diese Exekution bewegt in ganz Europa die Gemüter. 1817 lässt Ludwig XVIII ihm zu Ehren ein Denkmal in der Sainte-Chapelle und eine Erinnerungssäule am Exekutionsort errichten.
Nach einem Besuch des Arsenals beschließt Napoleon 1808 den Umbau des Schlosses in eine Abwehr- und Verteidigungsanlage. Die Türme werden geschleift, die gegen die Mauern gebauten Hütten abgerissen, die königlichen Pavillons zur Aufnahme von Truppen wiederhergestellt und die Kapelle Sainte-Chapelle in Waffenlager umfunktioniert. Als Lieferant der Munitionen und Artillerie, welche die Armee benötigt, beschäftigt das Arsenal überwiegend weibliche Arbeitskräfte.
General Daumesnil wird von dem, dessen Leben er in der Schlacht von Arcole rettete, 1812 zum Gouverneur ernannt und macht sich daran, aus Vincennes ein Element der Pariser Stadtbefestigung zu machen. Zweimal, 1814 und 1815, weigert er sich, den Platz dem Feind zu überlassen. In der Restaurations-Zeit gehen die baulichen Veränderungen weiter. Aus dem Arsenal von Vincennes wird ein Fort des Pariser Verteidigungsgürtels. Seine Bestimmung als Experimentierzentrum behauptet sich mit der Schaffung eines Übungsplatzes Polygone d'entraînement (1816) und der Einrichtung einer Artillerieschule (1826). Der junge Alfred de Vigny, Offizier im 5. Regiment der königlichen Garde erzählt in seinen Soldatengeschichten "Servitude et grandeur militaires, La veillée de Vincennes" vom Explosionsunfall eines Pulvermagazins am Fuße des Tour de la Reine, der sich am 17. August 1819 zutrug.
Von 1808 bis 1820 werden sieben Türme rückgebaut und mit Kanonen bestückt. Allein der Tour du Village ist bis heute in seiner ursprünglichen Höhe erhalten. Der 1832 begonnene Bau der Befestigungsmauern setzt sich bis 1843 fort. Die seit 1830 nicht mehr genutzte Sainte-Chapelle wird 1842 erneut in ein Artillerielager umgebaut und 1853 der Direktion der Beaux-Arts (Kunstakademie) überlassen. Die Debatte zwischen den Anhängern einer kontinuierlichen Befestigung und den Befürwortern getrennter Forts wird zugunsten der letzteren entschieden. Dies zieht den Bau des Fort-Neuf (neue Festung) (1841-1844) an der Ostflanke des nun "Vieux Fort" (alte Festung) genannten Schlosses nach sich. Zwei Söhne des Königs, Louis-Philippe, der Herzog von Orleans, und der Herzog von Montpensier, befehlen jeweils die Artillerieeinheiten des Fort-Neuf und die Chasseurs (Jäger) von Vincennes (siehe Artikel "Daumesnil, Repliken, die eine Legende schreiben" und "Die Chasseurs de Vincennes"...).
Während des Second Empire wird Vincennes zwischen dem Fort-Neuf und der Marne ein Manöver- und Schießgelände und erhält dadurch im Volksmund den Spitznamen "Canonville", Kanonenstadt. Mehrere Militäreinrichtungen entstehen um das Schloss: Die militärische Sportschule Ecole militaire de gymnastique von Joinville (1852), das Militärkrankenhaus Hôpital militaire Bégin (1858), das kaiserliche Erholungsasyl Asile impérial des convalescents in Saint-Maurice (1857) und das Militärlager von Saint-Maur (1859). Der Wald Bois de Vincennes wird 1860 an die Stadt Paris abgetreten und, mit Ausnahme der Militäranlagen, mit öffentlichen Spazierwegen versehen. Der Polygone-Übungsplatz dient für Schießversuche mit dem sogenannten Vincennes-Karabiner und dem Chassepot-Gewehr, das im Krieg von 1870 eingesetzt wird. Während des Aufstandes vom 18. März 1871 verbündet sich die Garnison mit den Fédérés (der Nationalgarde). Die letzte rote Fahne der Commune wird am Donjon gehisst. Am 29. Mai nehmen die Versaillais (Soldaten aus Versailles) das Schloss ein und erschießen neun Gefangene.
Die Ecole militaire d'administration (militärische Verwaltungsschule) bezieht 1875 den Pavillon du Roi (Pavillon des Königs). Die Militäranlagen vermehren sich im Wald, vor allem im Reiterviertel Carnot, wo 1892 eine Dragonerbrigade einkaserniert wird. Der Schwadronsführer Alfred Dreyfus wird am 13. Juli 1906, einen Tag nach seiner Rehabilitierung, der Artillerie-Direktion von Vincennes zugewiesen. Um die Jahrhundertwende ist der Polygone-Übungsplatz Austragungsstätte für Militärparaden im Beisein ausländischer Staatsoberhäupter und dient ebenfalls der Luftwaffe, die sich ab 1910 im Zentrum der Artillerie von Vincennes entwickelt. Rekorde, Flugschauen und Flugtage wechseln sich bis 1937 hinein ab und schmieden das Ansehen von Vincennes als Zentrum der Luftfahrt.
Ab September 1939 nimmt das Schloss in einer unterirdischen Befehlsstelle den Sitz des Armeestabs auf. In der Zeit der deutschen Besatzung, seit dem 14. Juni 1940, dient es gleichzeitig als Kaserne, Munitionslager und Gefängnis. Im Fort-Neuf wird am 23. Dezember 1940 Jacques Bonsergent erschossen, der erste Exekutierte von Paris. Mit der Ankunft der Waffen-SS, die sich auf dem Rückzug von der Normandiefront und Oradour-sur-Glane befinden, verhärtet sich die deutsche Okkupation. Am 20. August 1944 werden 26 Gefangene getötet. Vier Tage später legt die Besatzungsmacht an vier verschiedenen Stellen des Schlosses Feuer und verlässt den Ort. Der Pavillon du Roi brennt bis auf die Mauern aus und der Pavillon de la Reine wird vollständig zerstört.
Nach der Zerstörung der Bibliothek für internationale zeitgenössische Dokumentation durch den Brand von 1944, richtet sich im Jahr 1948 der Service historique de l'armée de Terre (historische Dienststelle des Heeres) ein. Es folgen die historischen Dienststellen der Luftwaffe (1968) und der Marine (1974). Der Service historique de la Défense (SHD), das Archiv des Verteidigungsministeriums, wird 2005 geschaffen. Im Rahmen der interministeriellen Kommission des Schlosses von Vincennes beteiligen sich das Centre des monuments nationaux (Zentrum nationale Monumente) und das SHD als Partner für die bevorstehende Wiedereröffnung des Donjons an einem Programm zur Valorisierung des Standortes, u.a. mit der geplanten Eröffnung eines eigenen Museums.
Dem Kultur- und Verteidigungsministerium zugewiesen, hat das Schloss eine doppelte Ausrichtung: Historisches Momument und Militärarchiv und Zentrum der Militärgeschichte