Anna Marly
Anna Betoulinksy wurde am 30. Oktober 1917 während der Revolution von 1917, in der ihr Vater erschossen wurde, geboren. Anfang der 20er Jahre verließ sie Russland und ging nach Frankreich. Sie flüchtete mit ihrer Mutter, ihrer älteren Schwester und dem treuen Kindermädchen in die russische Gemeinde Menton und durchlebte dort schwierige Jahre, von denen sie dennoch eine schöne Erinnerung behält. Mit dreizehn Jahren schenkte man ihr eine Gitarre. Dieses Geschenk, von dem sie sich nie trennte, veränderte ihr Leben. "In dieser Zeit entdeckte ich den Zauber der Töne unter dem Einfluß von Charles Trénet." 1934 gelangte Anna nach Paris und begann eine Künstlerlaufbahn unter dem Pseudonym Anna Marly, einen Namen, den sie aus dem Telefonbuch wählte. Sie tanzte zunächst in den russischen Balletvorführungen von Paris, die sie auf eine Reise durch Europa brachten, dann im Ballet Wronska, das sie als Startänzerin engagierte.
Dennoch vergißt Anna die Musik nicht. Nach einem Besuch der Musikhochschule von Paris, um ihre Stimme zu schulen, tritt sie ab 1935 mit ihrer Gitarre und einem kleinen Repertoire im Shéhérazade, dem Pariser Cabaret der goldenen Jugend und dann im Théâtre des Variétés und im Savoy Club von Den Haag auf. Bei ihrem Aufenthalt in Holland lernt sie den Mann kennen, der im April 1939 ihr Mann wird, der Baron van Doorn. Im gleichen Jahr hat Anna großen beruflichen Erfolg, da sie die Jüngste der SACEM wird (Gesellschaft der Komponisten und Herausgeber von Musik). Am 13. Juni 1940 wird Paris zur offenen Stadt erklärt. Anna und ihr Mann verlassen die Hauptstadt und wandern aus. Nach einer Reise durch Spanien und Portugal lassen sie sich 1941 in London nieder, wo Anna sich freiwillig in der Kantine der Forces Françaises Libres engagiert. Manchmal singt sie auch im Café. Bald danach trennt sie sich von ihrem Mann und wird Filmvorführerin, meldet sich dann im Armeetheater an und singt am Mikrofon der BBC in der Sendung "Franzosen sprechen zu Franzosen".
Aus dieser Zeit stammen die berühmtesten Lieder von Anna Marly, vor allem "Le Chant des partisans". Eines Tages, Ende 1942, nachdem sie in den britischen Tageszeitungen von der Trägodie der Schlacht von Smolenks gelesen hat, erwacht ihre russische Seele. Ein Wort kommt ihr in den Sinn, das Wort "Partisanen". "Aufgeregt nehme ich meine Gitarre und spiele eine rythmische Musik, die durch diese russischen Verse direkt aus meinem Herzen gelangt: Wir gehen dorhin, wo der Rabe nicht fliegt/und das Raubtier sich keinen Weg freimachen kann. Keine Macht und niemand/läßt uns zurückschrecken." Dieses Lied, was zunächst "La Marche des partisans" heißt, wird von seiner Autorin ins Russische übersetzt, bis dass Joseph Kessel beim ersten Zuhören ausruft "Genau das braucht Frankreich" und er die französische Übersetzung zusammen mit seinem Neffen Maurice Druon schreibt. Das Lied wird als Slogan der BBC-Sendung "Honneur et Patrie" und dann als Erkennungszeichen in der Widerstandsbewegung verwendet. "Le Chant des partisans" (englisch "Guerilla Song") setzt sich schnell als Hymne des Widerstands durch.
La Complainte du partisan wird zur gleichen Zeit geschrieben. "Als ich an das besetzte Frankreich dachte, habe ich eine stechende Melodie ohne Worte geschrieben." Es war Emmanuel d'Astier de la Vigerie, Leiter der Bewegung Libération-Sud, der den Text zu diesem Lied schrieb, was später von Joan Baez und Leonard Cohen gesungen wurde. Bei ihrer Rückkehr nach Frankreich im Jahre 1945 wird Anna Marly gefeiert. Dennoch entscheidet sie sich, nach Südamerika zu gehen, wo sie Botschafterin des französischen Gesangs wird. 1947 lernt Anna in Brasilien ihren zweiten Mann, den Russen Yuri Smiernow, kennen. Sie reist immer noch viel und durquert Afrika, immer in Begleitung ihrer Gitarre. Heute lebt sie in den Vereinigten Staaten, wo sie sich auf das Schreiben von Fabeln und von Erinnerungen durchwebten Gedichten spezialisiert hat. Genau wie ihre kürzlich veröffentlichten Memoiren (Anna Marly, Troubadour de la Résistance. Tallandier-Historia), wünscht sie, dass das vorliegende Werk der jungen Generation und all denen, die diese aufgewühlten Zeiten der Geschichte nicht miterlebt haben, als Zeugnis dient, damit sie wiederum das Licht der Erinnerung weitergeben.
Anna Marly, auch "Troubadour des Widerstands" genannt und von der General de Gaulle schrieb "sie machte aus ihrem Talent eine Waffe für Frankreich" hat mehr als dreihundert Lieder komponiert (darunter "Une chanson à trois temps" für Edith Piaf). Einige darunter sind heute nationales Kulturerbe. In den 60er Jahren gehörte "Chant des partisans" zusammen mit "la Marseillaise" und "Le Chant du départ" zum Pflichtunterricht. Die Lieder von Anna Marly handeln alle vom Krieg und stellen ein lebendiges Zeugnis der Geschichte Frankreichs dar. Dafür wurde sie 1965 mit dem Großen Staatlichen Verdienstkreuz und 1985 von der Ehrenlegion ausgezeichnet. Im Jahr 2000 nimmt sie anlässlich des 40. Geburtstags des 18. Juni an einer Ehrung von Jean Moulin teil, wo sie mit den französischen Armeechören den "Chant des partisans" singt. Anna Marly stirbt am 17. Februar 2006 im Alter von 88 Jahren in Alaska.