Das Gedenken an die französischen Frontsoldaten: der Bajonettgraben
Gleich nach dem Ersten Weltkrieg wurden die Narben der Kämpfe auf dem Lorettohügel von der umliegenden Landschaft verwischt. Ein Jahrhundert später jedoch drängen sich der größte französische Soldatenfriedhof, das Denkmal und die internationale Gedenkstätte dem Passanten als Ort der Erinnerung, der Ehre und des Gedenkens auf.
Die im Bau befindliche Basilika und der Laternenturm inmitten des Friedhofs von Notre-Dame-de-Lorette, 1928. © Roger-Viollet
Der Lorettohügel, der in der Gemeinde Ablain-Saint-Nazaire im Pas-de-Calais liegt, erhebt sich auf 168 Meter Höhe. Er kennzeichnet die nördliche Grenze des Artois-Plateau und beherrscht die Ebene von Gohelle, wo 1914 das wichtigste französische Bergbaurevier errichtet wurde. Dieser strategische Ort wird am 5. Oktober 1914 von der deutschen Armee bei den Kämpfen im Rahmen des „Wettlaufs zum Meer“ besetzt. Die Krieg führenden Parteien graben bald schon ein Netz von Gräben in die Oberfläche des Hügels, die von Artilleriebeschuss verwüstet wird. Die Kämpfe finden sechs Monate hindurch punktuell statt, bis zur großen französischen Offensive der Lorettoschlacht, die am 9. Mai 1915 eingeleitet wurde. Nach schrecklichen Kämpfen kommt die Front am Fuße des Hügels im Osten im Dorf Souchez bei der Herbstschlacht bei La Bassée und Arras Ende September zum Stillstand. Im März 1916 ersetzen die Briten die Franzosen, die zur Schlacht von Verdun abgezogen sind, und übernehmen die Kontrolle der Front, die bis 1917 stabil bleibt.
Seit 1915 wurden mehrere provisorische Friedhöfe auf dem Hügel angelegt, und auf den Ruinen der Lorettokapelle wurde 1916 eine kleine Kapelle errichtet. Das am 25. November 1918 gegründete Office des sépultures militaires (Amt für Kriegsgräber) plant unmittelbar nach dem Konflikt riesige, standardisierte und strenge Sammelfriedhöfe; das Lorettogelände wird für die Frontabschnitte in Flandern und im Artois gewählt und per Präsidialdekret vom 16. Januar 1924 offiziell zum Nationalfriedhof.
Der Nationalfriedhof besteht aus der Sammlung von bestatteten Körpern, die von fast 150 provisorischen Friedhöfen im belgischen Flandern und im Artois stammen. Er nimmt eine Fläche von 13 Hektar ein und bildet ein von zwei breiten Alleen senkrecht durchzogenes Rechteck. Er zählt fast 43.000 bestattete Körper, darunter 22.970 unbekannte Soldaten, die in acht Beinhäuser gelegt wurden. In der Mitte des Friedhofs finden auf einem großen Platz die offiziellen Feiern rund um eine Flamme der Erinnerung statt. Im Westen des Friedhofs wurden in den 1930er-Jahren ein jüdischer Bereich (48 Stelen) und ein muslimischer Bereich (555 Grabstätten) angelegt, der zwischen 2000 und 2010 mehrmals geschändet wurde.
1919 bildete sich auf Initiative mehrerer großer Würdenträger - darunter der Bischof von Arras Monseigneur Julien, Charles Jonnart, Präsident des Generalrats des Pas-de-Calais und mehrere Leiter von Bergbauunternehmen - eine Vereinigung, um den Lorettohügel zu einer großen Gedenkstätte des Ersten Weltkriegs zu machen und dort ein „Denkmal“ zur Erinnerung an die im Artois und in Flandern gefallenen Soldaten zu errichten. Dessen Planung wird dem Architekten Louis-Marie Cordonnier aus Lille anvertraut, der sich nach mehreren Plänen für die Errichtung einer Basilika und eines Laternenturms in der Mitte des Nationalfriedhofs entscheidet. Der 52 Meter hohe Turm wurde auf einem der Beinhäuser errichtet; in der Krypta im Sockel des Turms ruhen die Körper von unbekannten Soldaten, die in den Kriegen gefallen sind, an denen sich Frankreich im 20. Jahrhundert beteiligt hat, sowie eine Urne mit der Asche von Deportierten, die in den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten den Tod fanden. Die Basilika im neobyzantinischen Stil verfügt über eine untypischerweise nach Westen ausgerichtete Apsis. Die meisten ihrer Glasfenster zeigen Szenen der religiösen und patriotischen Geschichte Frankreichs, aber sechs würdigen die Kämpfer des britischen Reichs. An allen Wänden des Kirchenschiffs wurden mehrere Hundert Schilder befestigt, Votivtafeln zur Erinnerung an die im Ersten Weltkrieg getöteten französischen Soldaten. Diese beiden Denkmäler begründen eine doppelte Wallfahrt, die gleichzeitig patriotisch und katholisch ist, was eine Folge der Verbindung der französischen Kirche mit der Republik zu Beginn des Ersten Weltkriegs ist. Die Narben der Kämpfe wurden im Wesentlichen unmittelbar nach dem Konflikt verwischt, sodass Landwirtschaft und Bewaldung die Landschaft zurückerobert haben.
Der Ring der Erinnerung der Gedenkstätte von Notre-Dame-de-Lorette. © E. Rabot/SGA/COM
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Notre-Dame de Lorette abrupt aus dem nationalen Gedächtnis des Ersten Weltkriegs gelöscht, da sich dieses auf Verdun konzentrierte. 2014 wird der Nationalfriedhof in die Liste der neun „hohen nationalen Erinnerungsorte“ des Verteidigungsministeriums aufgenommen. Im selben Jahr konnte der Ort auf Initiative der Region Nord-Pas-de-Calais durch Schaffung einer internationalen Gedenkstätte aus der Vergessenheit geholt werden. Dieses Gebäude bildete einen der Bestandteile des 2011 zwischen dem Verteidigungsministerium und der Gebietskörperschaft unterzeichneten Abkommens zur Neuordnung und Aufwertung des Lorettogeländes im Zusammenhang mit der Hundertjahrfeier des Ersten Weltkriegs. Dieses vom Architekten Philippe Prost entworfene prächtige Denkmal, das am 11. November 2014 vom Staatspräsidenten eingeweiht wurde, erhielt seither zahlreiche Architekturpreise in Frankreich und im Ausland. Diese Ellipse mit einem Umfang von 345 Metern, die am Rand des Hügels ruht, beherbergt in ihrer Mitte 500 Stahlplatten mit den Namen von 580.000 Soldaten, die zwischen 1914 und 1918 im französischen Flandern und im Artois getötet wurden. Sie sind in alphabetischer Reihenfolge angeordnet, ohne Unterscheidung nach Dienstgrad, Nationalität oder Religion, Freunde und Feinde von gestern, die in einer Art posthumer Brüderlichkeit vermischt sind. Das Denkmal wurde vom zahlreichen Publikum, das es seither besucht hat, spontan als„Ring der Erinnerung“ bezeichnet und markiert eine deutliche Veränderung des Gedenkvorganges, denn es überschreitet zum ersten Mal den nationalen Rahmen und trägt zu einer befriedeten Geschichtsschreibung des Ersten Weltkriegs bei. Es macht auf einen Blick den Massenmord bewusst, der den Ersten Weltkrieg kennzeichnete, und lässt dennoch jedem einzelnen Schicksal seinen Platz.