Der Deutsch-Französische Krieg von 1870
Im Krieg von 1870/1871 stehen sich der Deutsche Bund und Frankreich sechs Monate lang gegenüber. Die unmittelbaren Folgen daraus sind bei den kriegführenden Parteien beträchtlich: auf der einen Seite der Fall des zweiten französischen Kaiserreichs, der Bürgerkrieg der (Pariser) Kommune, die Gründung der Republik; auf der anderen Seite die Schaffung des Deutschen Kaiserreichs unter der Führung Preußens.
Die Kriegserklärung
Der Kanzler des preußischen Königs Bismarck setzte sich die Einheit Deutschlands unter Führung seines Landes zum Ziel: Der Krieg gegen Dänemark (1864) und dann gegen Österreich (1865) ermöglichten die Eingliederung neuer Staaten. Ein neuer siegreicher Krieg gegen Frankreich sollte endgültig die Einheit des Bundes zementieren, in dem er es verstand, das diplomatische Ungeschick Napoleons III. zu nutzen, um eine anti-französische Stimmung zu schaffen. Eine kriegerische Strömung in geringerem Maße existiert auch im Umfeld der französischen Kaiserin Eugénie, für die ein militärischer Sieg - noch dazu über das protestantische Preußen - die Thronfolge des kaiserlichen Prinzen festigen sollte, da Napoleon III. krank ist.
Otto von Bismarck. Quelle: Deutsches Bundesarchiv.
Das Ereignis, das direkt zum Konflikt führt, ist die Frage der Thronfolge in Spanien. Im November 1869 ist der Thron dieses Landes vakant. Die provisorische Regierung Spaniens bietet ihn einem preußischen Prinzen an, Leopold von Hohenzollern, der seinen König um die Regierungsbefugnis bittet. Wilhelm I. erteilt im Juni 1870 seine Zustimmung. In Spanien werden daher alle Vorbereitungen für die Krönung getroffen, jedoch ist Frankreich entrüstet, da es die Präsenz Preußens im Süden wie im Osten fürchten musste: Das wäre die Wiedererschaffung des Reichs von Karl V.; zumindest schien man das zu befürchten.
Der französische Botschafter trifft den preußischen König, der in Bad Ems auf Kur ist. Die Verhandlungen sind erfolgreich: Der König zieht seine Zustimmung zurück. Folglich verzichtet der Anwärter am 12. Juli und Spanien informiert Napoleon III. offiziell darüber. Es scheint daher alles zur Zufriedenheit der Franzosen zu laufen, jedoch verlangen diese auch Zusicherungen für die Zukunft, das heißt, der preußische Thronanwärter sollte endgültig ausgeschlossen werden. Tags darauf leitet Bismarck an die deutschen Journalisten ein verkürztes Kommuniqué weiter, die berühmte Emser Depesche. Es werden darin unzumutbare Vorschläge Frankreichs dargestellt, die der König brüsk zurückgewiesen habe. Dieses Dokument gießt Öl ins Feuer. Frankreich empfindet es als Beleidigung seiner nationalen Ehre in Person von Benedetti, seinem zurückgewiesenen Botschafter. Auf Schloss Saint-Cloud beschließt der Ministerrat den Krieg gegen Preußen. Sonderkredite werden von der Abgeordnetenkammer mit 425 gegen 10 Stimmen beschlossen. Die französische Kriegserklärung wird dem preußischen Außenminister am 19. Juli um 13 Uhr übergeben. Später am selben Tag richtet Wilhelm I. im Reichstag eine Rede und einen Aufruf an das gesamte deutsche Volk, das von Frankreich beleidigt wurde. Nach langem Zögern richtet Napoleon III. am 23. eine Proklamation an sein Volk, in der er die preußische Arroganz anprangert. Am 28. übernimmt er dann in Metz die Führung der Armee. Am 2. August stellt sich der preußische König in Mainz an die Spitze seiner Truppen.
Napoleon III. Quelle: George Eastman House, Rochester, New York.
Die Militäroperationen
Die französische Armee zählt knapp 250.000 Männer, 43.000 Pferde, 900 Feldgeschütze. Sie leidet unter einem schlechten Rekrutierungssystem und schwachen Generalstäben, die oft die modernen Taktiken nicht kennen; sie verfügt über die ersten Mitrailleusen mit Kurbel (das sog. De Reffye Modell), ein ausgezeichnetes Gewehr (das Chassepot), jedoch eine schwache Artillerie und eine nicht funktionierende Logistik. Der Truppe fehlt es jedoch weder an Mut noch an Engagement.
Der Feind ist eine Bündnisarmee, die sich aus den königlichen Truppen Preußens und jenen von 22 Staaten des Norddeutschen Bundes zusammensetzt, die sich mit drei weiteren Armeen der südlichen Staaten zusammengeschlossen haben: jenen der Königreiche Bayern, Württemberg und des Großherzogtums Baden. Dies ergibt eine erhebliche Stärke von ca. 600.000 Mann, 70.000 Pferden, 1.500 Kanonen, der die Franzosen gegenübertreten mussten.
Der erste französische Soldat fällt am 25. Juli im Elsass: Claude Pagnier, Unteroffizier der 12. Kavallerie, wird im Kampf gegen die badischen Dragoner bei einem Gefecht von Patrouillen in Schirlenhof (Bas-Rhin) getötet.
Vernichtung eines französischen Kürassier-Regiments in der Schlacht bei Wörth, H. Merte, Alte und neue Welt. Illustrierte katholische Monatsschrift, 1871.
Am Beginn des Krieges steht eine Folge von Niederlagen: Weißenburg, Forbach, Wörth, Beaumont, Sedan, die zur Kapitulation des Kaisers führen. Trotz heroischer Schlachten in Borny, Gravelotte und Saint-Privat wird die Armee in einem tragischen Monat zerstört, Napoleon III. gefangen genommen, Marschall Bazaine in Metz eingekesselt und Straßburg belagert.
Die letzten Kartuschen, Alphonse de Neuville, 1873. Haus der letzten Kartusche, Bazeilles.
Die Republik wird am 4. September in Paris ausgerufen. Eine Regierung der nationalen Verteidigung wird gebildet, die zunächst nach Tours und dann nach Bordeaux flüchtet. Sie setzt den Krieg fort, um das weitgehend überlaufene Staatsgebiet zu schützen. Dazu zieht sie 600.000 Mann (reguläre und mobile Kräfte, Freischützen) ein, kauft Waffen im Ausland und bezieht die Marine in landgestützte Operationen wie die Verteidigung der Hauptstadt ein.
Am 18. lehnt Bismarck in Ferrières die Friedensvorschläge der Republik ab, die sich daher entschließt, bis zum Äußersten zu kämpfen. Preußen beansprucht bereits das Elsass und Lothringen.
Am 19. hat der Feind Paris vollständig eingenommen und beginnt mit der Belagerung der von General Trochu verteidigten Festungen. Dieser befehligt bunt zusammengewürfelte Truppen: die 35. und 42. Linientruppen, die Nationalgarde, Marinesoldaten, Kavalleristen, Pioniere, Artilleristen, freiwillige „Freischützen“, eine Flottille der Seine (bewaffnete Dampfschiffe), ein Bataillon Schutzmänner, Ballonpiloten... Er wird von General Chabaud-Latour und Admiral de La Roncière-Le Noury unterstützt.
Die Belagerung von Paris, Ernest Meissonier. Quelle: Histoire par l'image.
Straßburg wird bombardiert und am 25. September eingenommen. Anschließend tritt eine unglaubliche Katastrophe ein: Bazaine kapituliert am 27. Oktober in Metz und liefert 173.000 Mann, 3 Marschälle, 50 Generäle, 53 Fahnen und eine enorme Menge Waffen und Munition aus: Kanonen, 200.000 Gewehre, 23 Millionen Kartuschen... die der Feind einsetzen sollte.
Dennoch wird eine Loire-Armee gebildet. Sie schlägt glorreiche Schlachten in Artenay (10. Oktober), in Beaune-la-Rolande (28. November) und in Patay (2. Dezember), die Paris jedoch nicht befreien können, wo die Besetzten ohne Erfolg verzweifelt kämpfen: Le Bourget, Bagneux, Buzenval, Champigny. Orléans wird jedoch nach dem Sieg von Coulmiers am 9. November zurückerobert.
Mehrere Armeen der nationalen Verteidigung versuchen, von Léon Gambetta, der Paris mit dem Ballon verlassen hat, angefeuert, den deutschen Vormarsch aufzuhalten, während die Stellungen Belfort und Bitche noch Widerstand leisten. Der Feind nimmt Orléans wieder ein. Am 6. Dezember wird Rouen besetzt. Die Loire-Armee wird am 10. Januar 1871 in Le Mans geschlagen. In der Picardie siegt General Faidherbe in Pont-Noyelles (22. Dezember) und in Bapaume (2.-3. Januar), jedoch wird er am 19. Januar in Saint-Quentin geschlagen.
Ein schrecklicher Winter setzt den kriegführenden Parteien zu. Die Lage in Paris, das von Kälte und Hunger heimgesucht wird, ist grauenhaft. Die Bourbaki-Armee im Osten, welche die Schlacht von Villersexel (9. Januar) gewonnen, jedoch jene von Héricourt (16. Januar) verloren hat, muss in die Schweiz flüchten. Der italienische Patriot Garibaldi kämpft in Nuits-Saint-Georges und in Dijon an der Seite der Franzosen.
Der Friede, die Besatzung
Paris wird bombardiert, in Champigny-sur-Marne besiegt und gibt sich am 28. Januar 1871 geschlagen. Ein Waffenstillstand wird vereinbart. Die Stadt muss ihre Garnison sowie ihre Waffen ausliefern und wird erpresst, sofort 200 Millionen Francs als Entschädigung an den Sieger zu zahlen.
Der Kalkofen (Detail). Ausschnitt aus Die Schlacht bei Champigny, Panorama von Alphonse de Neuville und Édouard Detaille, 1882.
Quelle: Paris assiégé, Jules Claretie, 1898.
Die Wahlen vom 8. Februar ergeben eine Mehrheit für Adolphe Thiers, der in der Versammlung in Bordeaux am 12. zum Chef der exekutiven Gewalt gewählt wird. Er verhandelt in Versailles mit Bismarck, der am 18. Januar Wilhelm zum deutschen Kaiser ernennen lässt. Am 26. Februar wird eine Friedensvereinbarung unterzeichnet, die das generelle Ende der Feindseligkeiten am darauf folgenden Tag festlegt. Am 1. März marschieren die Deutschen von Westen her über die Champs-Élysées in Paris ein.
Die Überlebenden der Stellung von Bitche (Moselle) verlassen die Zitadelle unter erhobenen Fahnen mit den militärischen Ehren des Feindes: die Stellung leistete unter Führung des Kommandanten Teyssier seit dem 8. August 1870 trotz Beschuss, Hunger und Typhus Widerstand. Die Verteidiger von Belfort verließen am 16. Januar ebenfalls die Zitadelle als freie Männer. Am 18. März bricht in Paris ein Aufstand los, die „Kommune“; in blutigen Kämpfen sollten sich „Versailler“ und „Kommunarden“ bis zum 27. Mai gegenüberstehen.
Der Friede von Frankfurt beendet am 10. Mai 1871 diesen Krieg, den Frankreich wegen einer mangelhaft vorbereiteten Armee unter unklarem Kommando, grundlegender politischer Rivalitäten, die den Verlauf den Konflikts beeinflusst haben, sowie seiner diplomatischen Isolation auf internationaler Ebene verloren hat.
Frankreich muss das Elsass und einen Teil Lothringens und damit fast 1.700 Gemeinden und 1.600.000 Einwohner aufgeben. Es behält nur Nancy, Toul, Verdun, Belfort und dessen Territoire. Diese Annexion führt zu einer starken Einwanderung nach Frankreich und Algerien: Mehrere Zehntausend Elsässer und Lothringer verlassen zwischen 1872 und 1885 ihre Provinz und werden von 200.000 ersetzt. Darüber hinaus muss das Land dem Sieger die enorme Summe von 5 Milliarden Goldfranken zahlen, zu denen noch 567 Millionen Zinsen kommen (der Großteil dieser für die damalige Zeit sagenhafte Summe sollte am 27. Juni ab der ersten Staatsanleihe eingehoben werden). Zur Sicherung der Zahlung sollte die deutsche Armee die Besatzung fortsetzen und Departements nach und nach bei Fälligkeit der Raten freigeben. Im Norden der Loire durfte es keine französische Armee mehr geben, abgesehen von einer Garnison in Paris bis 1873.
Diese schrecklichen Friedensbedingungen wurden von der Nationalversammlung am 1. März mit 546 gegen 107 Stimmen angenommen. Thiers wird am 31. August 1871 Präsident der Republik. Mit der Durchführung der Ratenzahlungen verlässt der Feind schrittweise die Departements. Am 5. Juli 1873 verlässt er schließlich die Departements in den Ardennen, den Vogesen, an der Maas und Meurthe-et-Moselle. Nancy wird am 1. August geräumt, Belfort am 2. Verdun ist die letzte Stadt, die von Deutschen als Sicherheit behalten wird. Sie verlassen sie erst am 13. September 1873 allmählich, ziehen aber hinter der neuen Grenze bei Jarny Truppen zusammen, die bereit sind wiederzukommen.
Die Preußen auf der Place de la Concorde, Paris, 1. März 1871. Quelle: La guerre de 1870 en images.
In diesen beiden Jahren nach Unterzeichnung des Friedens kommen die Besatzungskosten zur Schuldenlast Frankreichs dazu, das zusätzlich zu seinen Schulden weitere 341 Millionen Francs für die Ernährung und Unterbringung des Besatzers ausgeben muss, der den Bewohnern ein sehr schweres Joch aufbürdet.
Napoleon III. stirbt am 9. Januar 1873 im Exil in der Nähe von London. Marschall de Mac-Mahon wird am 24. Mai 1873 an Stelle von Thiers für sieben Jahre zum Präsidenten der Republik gewählt. Am folgenden 10. Dezember verurteilt der Kriegsrat von Trianon Marschall Bazaine zum Verlust der militärischen Ehrenrechte und zur Todesstrafe, weil er „die Stellung Metz geräumt hat, ohne seine Verteidigungsmittel vollständig auszuschöpfen und alles zu tun, was ihm Pflicht und Ehre vorschrieben“. Seine Strafe wird im Wege einer Begnadigung durch den Präsidenten zu 20 Jahren Haft umgewandelt.
Der mörderische Krieg hatte außerdem verheerendere Folgen in den deutschen Rängen als auf französischer Seite. Der Tod von 138.000 Franzosen ist vom Leichentuch der Niederlage bedeckt.
Frankreich errichtet ihnen Gräber, Denkmäler, gedenkt mit Inbrunst ihrer Opfer, was von Verbänden, Politikern, Künstlern (wie Alphonse de Neuville, Édouard Detaille), Veteranen und Lehrern gefördert wird. In diesem Klima sollte bald schon ein Geist der Rachsucht entstehen und wachsen.
Nach dem Krieg werden zahlreiche Veteranenvereinigungen gegründet, die ihre eigenen Fahnen, Feierlichkeiten und Gedenkmedaillen haben: so übergibt Raymond Poincaré, Präsident der Republik, am 12. Juli 1914 bei einem Besuch in der Picardie der Veteranenvereinigung von Roye eine Fahne.
1887 gründet der elsässische Professor Xavier Niessen die Gesellschaft Souvenir Français, mit dem Ziel, sich dem Totenkult dieses Krieges sowie der Pflege von Gräbern und Denkmälern zu widmen.
Am 30. Januar 1914 stirbt der Verfechter der Rache, Paul Déroulède, der sich 1870 freiwillig im 3. Regiment der Zuaven engagiert hatte, Kriegsgefangener war und Präsident der Ligue des Patriotes (Bund der Patrioten) wurde. Als die französische Armee im August 1914 das Elsass angreift, wird ein Grenzpfosten des Deutschen Kaiserreiches von der Straße von Thann triumphal nach Paris als Trophäe mitgenommen und ihm zu Ehren auf seinem Grab am Friedhof La Celle-Saint-Cloud niedergelegt.
Viele Generäle des Ersten Weltkriegs, die ein Oberkommando führen (Joffre, Foch, Pau, Gallieni, de Castelnau, Maunoury…) sind Veteranen von 1870, die nach der erlittenen unseligen Niederlage den Sieg und Einmarsch in Metz und dann in Straßburg (19. und 22. November 1918) erleben.