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Der deutsche Gedenktourismus in der Normandie

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Gespräch mit Hervé Morin - Präsident des Regionalrats der Normandie

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Deutscher Soldatenfriedhof in La Cambe (Calvados), 10. Juni 2013. © David Major

Die Deutschen sind die viertgrößte ausländische Besuchergruppe in der Normandie und kommen vor allem, um das Meer, die Landschaften, das Kulturerbe und die Gastronomie zu genießen. Auch wenn die Geschichte, insbesondere die des Zweiten Weltkriegs, ebenfalls einer ihrer Beweggründe ist, kommen schätzungsweise nur 300.000 Besucher dieser Nationalität an die Gedenkstätten und -orte der Region. Es ist und bleibt daher eine Herausforderung für die Region, die Menschen dorthin zu bringen.

 

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Hervé Morin

Hervé Morin, Präsident des Regionalrats der Normandie

 

Kann man in der Normandie von einem gemeinsamen deutsch-französischen Gedenken sprechen? Welche Gedenkstätten verweisen im Besonderen auf dieses gemeinsame Gedenken?

Hervé Morin (HM) :  Die Erinnerung an die Ereignisse in der Normandie während des Zweiten Weltkriegs zu teilen, ist nicht einfach, wenn man die sehr unterschiedlichen Erfahrungshintergründe in Frankreich und Deutschland bedenkt. Zu diesem Zweck führen wir seit vielen Jahren eine umfassende Auseinandersetzung mit Erinnerungsakteuren durch, um die Grundzüge dieses gemeinsamen Gedenkens zu definieren. Die deutsch-französische Aussöhnung im Gedenken an den Zweiten Weltkrieg begann symbolisch am 60. Jahrestag der Landung und der Schlacht in der Normandie am 6. Juni 2004 mit der ersten deutsch-französischen Zeremonie unter dem Vorsitz des französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac und des deutschen Bundeskanzlers Gerhard Schröder an der Gedenkstätte von Caen. Zum ersten Mal seit dem Krieg wehten an einem 6. Juni die französische und die deutsche Flagge gemeinsam. Seitdem wird Deutschland jedes Jahr zur Gedenkfeier der Landung in der Normandie eingeladen.

Ziel unserer 90 Gedenkstätten und -orte ist es, die Geschichte der Landung und der Schlacht um die Normandie in ihrer Gesamtheit zu erzählen. Der deutsche Soldatenfriedhof in La Cambe spielt dabei eine wesentliche Rolle. Er wird vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge verwaltet, wurde 1961 eingeweiht und umfasst 21.222 Gräber deutscher Soldaten. Er verzeichnet jedes Jahr rund 450.000 Besucher, darunter viele Schulgruppen. Außerhalb des Friedhofs befindet sich ein Besucherbereich, der dem deutschen Gedenken und der Versöhnung gewidmet ist. Diese Stätte wird oft als Spiegelbild des nur wenige Kilometer entfernten amerikanischen Friedhofs in Colleville-sur-Mer bezeichnet. Die Überreste des Atlantikwalls, wie die Batterien von Azeville, Crisbecq oder Longues-sur-Mer, oder die in der Seine-Maritime angesiedelten Startplätze für V1-Raketen sind ebenfalls wichtige Orte für den Aufbau dieses gemeinsamen Gedenkens. Dadurch können sie das militärische und zivile Alltagsleben rund um diese Infrastrukturen vor und während der Landung der Alliierten in Erinnerung rufen. Diese Orte sind heute neben den Stätten, die den Alliierten gewidmet sind, ein fester Bestandteil des Besuchsangebots. Gemeinsam tragen alle diese Stätten zum Aufbau eines universellen Gedenkens bei.

 

La Cambe

Deutscher Soldatenfriedhof in La Cambe (Calvados). Montag, 10. Juni 2013. © David Major

 

Haben Sie eine Zusammenarbeit mit Deutschland, die darauf abzielt, diese Orte aufzuwerten?

HM : Die Region Normandie ist Gründungsmitglied des europäischen Netzwerks Liberation Route Europe, dessen Ziel es ist, anhand einer transnationalen Route über die Befreiung Kontinentaleuropas und die langfristigen Folgen des Zweiten Weltkriegs zu berichten. Ausgehend von den individuellen Geschichten der einzelnen Länder versucht es, eine internationale Antwort zu geben, indem es das komplexe Erbe des Konflikts aus verschiedenen Perspektiven analysiert.

Stätten und Institutionen aus 10 Ländern, darunter auch Deutschland, bündeln ihr Fachwissen, um den Gedenktourismus im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg auf europäischer Ebene zu entwickeln. Diese Arbeiten fließen in unsere eigenen Überlegungen ein und haben uns insbesondere ermöglicht, die historische Kontextualisierung an den Besuchsorten zu verbessern, die bisweilen die deutsche Geschichte ausblendeten. Wir haben auch mit dem Alliierten-Museum in Berlin an einer Wanderausstellung für Jugendliche gearbeitet, die Zeitzeugenberichte von Zivilisten und Soldaten aus allen Ländern enthielt.

Welche Maßnahmen zur Förderung seines Gedenkstättenerbes ergreift das normannische Gebiet gegenüber dem deutschen Publikum?

HM : Deutschland gehört zu den vorrangigen Märkten der Normandie. Der Gedenktourismus wird bei Deutschen auf Messen, Treffen, Journalistenempfängen usw. beworben. Die Internetseite des Reiseziels (www.normandie-dday.com) ist ins Deutsche übersetzt. Wir haben außerdem eine Zusammenarbeit mit einer deutschen Broschüre, die dem Grünen Michelin-Führer entspricht, aufgebaut. Die Normandie soll alle ansprechen und diese gemeinsame Geschichte mit dem ständigen Bemühen erzählen, den Wert von Frieden und Versöhnung zu fördern.

Können Sie uns von wichtigen Initiativen berichten, die in den letzten Jahren durchgeführt wurden, um den Besuch deutscher Touristen an Gedenkstätten zu verbessern?

HM : Im Rahmen des 2014 unterzeichneten Zielgebietsvertrags „Tourisme de Mémoire en Normandie", bei dem die Region Normandie als federführender Partner fungiert, wurde ein Aktionsblatt speziell für die Verbesserung des Empfangs von deutschen Gästen erstellt. Tatsächlich ist der Gedenktourismus nicht der Hauptzweck des Besuchs der Deutschen in der Normandie. Sie machen z. B. nur 1 % der Besucher der Gedenkstätte in Caen aus, die jedoch jährlich über 350.000 Besucher zählt. Deutsche Kunden scheinen immer noch ein Unbehagen zu empfinden, an Gedenkstätten zu kommen, was zweifellos durch die oft karikaturistische Darstellung deutscher Soldaten in Museen noch verstärkt wird. Hinzu kommt, dass es in der überwiegenden Mehrheit der Stätten kein deutschsprachiges Besuchsangebot gibt.

Daher gilt es, unsere Kenntnisse über diese Zielgruppe zu vertiefen, damit wir sie an dieses Thema heranführen können, indem wir das Besichtigungsangebot verbessern und auf die Ausgewogenheit der historischen Ausführungen achten. Das regionale Tourismuskomitee der Normandie hat zu diesem Zweck spezifische Daten über das deutsche Publikum gesammelt, um dessen Motivationen und/oder Hemmnisse für einen Besuch der Gedenkstätten des Territoriums zu ermitteln. Die durchgeführte Studie kam zu dem Schluss, dass ein Interesse an der Thematik besteht, da die Deutschen diese Geschichte kennenlernen und weitergeben möchten, insbesondere an jüngere Menschen. Der Standortdiskurs, der sich oft auf die Befreier konzentriert, und das Fehlen einer deutschen Übersetzung sind allerdings regelrechte Hemmnisse. Es ist daher wichtig, den historischen Diskurs und die Vermittlung (Übersetzung ins Deutsche, Nutzung digitaler Medien usw.) zu verbessern.

Welche Strategie verfolgen Sie, um die junge deutsche Zielgruppe für Gedenkstätten und -orte und insbesondere das Schulpublikum zu gewinnen?

HM : Die Weitergabe der Erinnerung an die jüngeren Generationen ist eine globale Herausforderung für die gesamte Branche und wir arbeiten daran, unabhängig vom Herkunftsland der Besucher. So entwickeln wir spezielle Besuchsangebote für Jugendliche und Begegnungen zwischen Zeitzeugen und Jugendlichen. Die Region Normandie unterstützt zudem die Strategie „Normandie pour la Paix" (Normandie für den Frieden), die zahlreiche Projekte von Jugendlichen betreut, mit denen sie sich für den Frieden einsetzen.

Die Verbesserung der Angebote für Schulklassen in Museen und die Werbung für das Reiseziel bei spezialisierten Reiseveranstaltern sind von entscheidender Bedeutung. Wir nahmen auch an einem deutsch-französischen Lehrerseminar teil, das vom Office national des anciens combattants et victimes de guerre du Calvados und dem INSPÉ (ehemals ESPE) in Caen organisiert wurde und bei dem es darum ging, Unterrichtsmethoden für das Thema zu vergleichen und den Besuch einer Gedenkstätte im schulischen Rahmen besser zu gestalten.

Gibt es ein spezifisches Kulturvermittlungsangebot, das sich an das deutsche Publikum richtet?

HM : Die Geschichte der Landung und der Schlacht in der Normandie sowie unser multiperspektivischer Ansatz zum Zweiten Weltkrieg, der durch unsere Zugehörigkeit zu einem europäischen Netzwerk eingebracht wird, sind für uns Anlass, den Besuchern eine Vermittlung anzubieten, die für alle verständlich und nachvollziehbar ist. Auch wenn die Frage, wie wir deutsche Gäste willkommen heißen, für uns von zentraler Bedeutung ist, erscheint es uns dennoch nicht sinnvoll, ein spezifisches und damit von anderen Angeboten unterscheidbares Angebot zu entwickeln. Vielmehr müssen wir Lösungen finden, um das deutsche Publikum umfassender in das bestehende Angebot zu integrieren. Alle unsere Besichtigungsorte haben den Anspruch, Werkzeuge der Bildung, des Dialogs und der Weitergabe der Erinnerung rund um die Werte Frieden, Freiheit und Versöhnung zu sein, die wir für den Gedenktourismus in der Normandie vertreten.

 

Die Redaktion