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Die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg in Deutschland

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Die Gedenkstätte wurde sowohl zu einem unumgänglichen Ort des Gedenkens als auch zu einem Raum, der der politischen Bewusstseinsbildung gewidmet war. © DR

In Deutschland gibt es keine Erinnerungsgeste, die speziell mit dem Gedenken an den Zweiten Weltkrieg verbunden ist. Die politischen, sozialen und historiographischen Entwicklungen der letzten 80 Jahre ermöglichen jedoch ein besseres Verständnis der mit dieser Erinnerung verbundenen Gedenkpraktiken, der Erzählungen der breiten Öffentlichkeit über den Krieg und der Mittel, die der Staat im Laufe der Zeit zur Darstellung der Vergangenheit bereitgestellt hat.

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Eine Militärparade zur Feier des Kriegsendes in Berlin? Soldaten, die im Gleichschritt marschieren, das Dröhnen von Panzern und die Demonstration neuer Waffensysteme auf dem Straßenzug Unter den Linden gehören in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) nicht zum Gedenkritual an das Ende des Zweiten Weltkriegs. Und das liegt nicht nur daran, dass dieses wiederbelebte Gedenken das der Besiegten ist. Eine solche Erinnerungsgeste ist in Deutschland undenkbar, weil die allgemeine Erinnerung des Volkes an den Krieg unbeständig ist. Der Unterschied zwischen Geschichte und Erinnerung als Interpretation der Vergangenheit zeigt sich besonders deutlich in dem Wandel, den die Bedeutung des Krieges in der Bundesrepublik durchlaufen hat. In der pluralistischen Gesellschaft, die nach 1945/49 in Westdeutschland entstand, war der Stellenwert des Zweiten Weltkriegs in der allgemeinen Vorstellungswelt ständig in Bewegung.

Zwischen Opfergedenken und Heldenerzählung

Demilitarisierung, Entnazifizierung und Umerziehung; das waren die Ziele, die die Politik der alliierten Militärregierungen in Deutschland nach der Kapitulation der Wehrmacht am 8. Mai 1945 bis zur Gründung zweier deutscher Staaten im Jahr 1949 prägten. Die „Hauptkriegsverbrecher" mussten sich 1945/46 vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Nürnberg für ihre Taten verantworten. Die Presse berichtete über die Gräueltaten, die während des größten militärischen Konflikts der Neuzeit begangen wurden. Für eine kurze Zeit warf die Nachkriegsgesellschaft, die des Konflikts müde war, einen kritischen Blick auf die Niederlage und die Verantwortung der Generäle. Einige von ihnen begannen übrigens, die Legende von den „sauberen Händen der Wehrmacht" zu spinnen: Die deutschen Soldaten hätten, so hieß es, nichts mit den Verbrechen der SS zu tun gehabt. Die deutsche Gesellschaft ihrerseits sah sich als Opfer.

Diese Rhetorik stand im Gegensatz zur offiziellen heroischen Erzählung in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), in der der Krieg als Folge des vom Monopolkapitalismus unterstützten Faschismus betrachtet wurde, von dem die Deutschen im Mai 1945 durch die Rote Armee befreit worden waren. Als hätte es einen gigantischen Bevölkerungsaustausch gegeben, lebten nun im sozialistischen Osten des Landes die antifaschistischen Deutschen, die sich auf der Seite der Sieger sehen konnten, während die Westdeutschen weiterhin unter dem Joch eines kriegshetzerischen Faschismus lebten. Der kommunistische Widerstand bildete das neuralgische Zentrum dieser Gedenkpolitik; die Rassenpolitik des Nationalsozialismus spielte keine nennenswerte Rolle.

Seit den späten 1950er Jahren haben sich die Vorstellungen und Ansichten über den Krieg verändert. Die Politisierung der öffentlichen Meinung, die Aufrüstung 1955/56 und der Generationenwechsel schufen für die Deutschen sowohl inhaltlich als auch formal einen radikal neuen Nährboden für das Kriegsgedenken.

Ein Beispiel dafür sind die Kriegerdenkmäler. In den 1950er Jahren gab es in fast jeder Gemeinde ein Denkmal, vor dem die Überlebenden einmal im Jahr, am „Tag des Gedenkens", der Toten der beiden Weltkriege gedachten. Zum anderen wurden Denkmäler errichtet, die an die Folgen des Krieges - Gefangenschaft, Flucht und Vertreibung - oder an die Teilung Deutschlands sowie an den Aufstand vom 17. Juni 1953 in der DDR erinnerten. Aber seit 1967 und zum ersten Mal gibt es mit dem von Bundeskanzler Konrad Adenauer eingeweihten „Friedland-Denkmal" eine zentrale Gedenkstätte, die dem Krieg und seinen Folgen gewidmet ist.

Auf dem Weg zur Anerkennung der Verantwortung der Wehrmacht

In den 1960er Jahren wurden viele Stimmen laut, die den Zweiten Weltkrieg als einen spezifisch nationalsozialistischen Krieg darstellten und die Wehrmacht somit als militärisches Instrument des Hitlerregimes betrachteten. Die Entstehung neuer Gedenkstätten für die Opfer des Naziterrors und die Umwandlung ehemaliger Konzentrationslager in Gedenkstätten waren Mitte der 1960er Jahre Ausdruck und Folge dieser Sinneswandlungen. Anders als in vielen anderen Ländern entstand kein zentrales Gedenken an die an der Front gefallenen Soldaten. Der Bau eines Nationaldenkmals geriet in Konflikt mit der Teilung Deutschlands und scheiterte. Stattdessen musste sich die Bevölkerung mit dezentralen Feiern und Denkmälern zum Gedenken an die Toten begnügen. Die allgegenwärtige Gedenkformel „Den Opfern von Krieg und Unterdrückung" war bewusst ambivalent gehalten und bezog sich sowohl auf die Nazidiktatur als auch auf das Regime der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) in der DDR.

Neben den Opfern des Dritten Reichs hörte und las man immer mehr über Kriminelle. Ihr Auftauchen im Rampenlicht der späten 1950er und frühen 1960er Jahre wurde von Gerichtsverfahren begleitet, die viel Aufmerksamkeit erregten. Zehn Mitglieder des SD (Geheimdienst und Polizeidienst parallel zur SS), der Gestapo und der Polizei, die 1941 mehr als 5.500 Juden ermordet hatten, wurden 1958 vor Gericht gestellt. Dieser „Ulmer Einsatzgruppenprozess" machte den Massenmord des SD und der Sicherheitspolizei (Sicherheitspolizei bestehend aus Gestapo und Kripo, Kriminalpolizei) in Osteuropa zu einem Diskussionsthema, das durch den wachsenden Einfluss der Medien an Popularität gewann. Die Wiederaufnahme der juristischen Aufarbeitung der NS-Zeit wurde zudem durch zwei neue Prozesse geprägt: zum einen durch den Prozess gegen Adolf Eichmann in Jerusalem 1961/62 und zum anderen durch die Auschwitz-Prozesse in Frankfurt zwischen 1963 und 1965. Beide erinnerten daran, dass der Krieg die Vorbedingungen geschaffen hatte, die die Besetzung großer Gebiete in Europa und die dort begangenen Massenverbrechen ermöglicht hatten. Die Medien bezeichneten die Deutschen nicht mehr als Opfer, sondern als Täter.

 

Vue de la salle d’audience

Blick in den Gerichtssaal bei der Vorführung eines Dokumentarfilms über den Tod und die Misshandlung von KZ-Insassen während des Prozesses gegen Adolf Eichmann. Jerusalem, 10. Juni 1961. © Ullstein Bild/Roger-Viollet

 

Als die Westalliierten die in ihre Hände gefallenen Archive der Wehrmacht zurückgaben, begannen Historiker, das nationalsozialistische Regime und die Rolle, die die Armee während des Krieges gespielt hatte, zu untersuchen. Vor allem aber trat eine Generation jüngerer Historiker, die den Krieg als Hilfskräfte der Flak (Deutsche Flugabwehr) erlebt hatten, in den Medien auf, um die breite Öffentlichkeit zu sensibilisieren. Anstatt einen Schlussstrich unter das Kapitel 1933-1945 zu ziehen, wollten sie die Westdeutschen mit der Vergangenheit des Krieges und der Vernichtungspolitik konfrontieren.

Am Institut für Zeitgeschichte in München und am Militärgeschichtlichen Forschungsamt (MGFA) in Freiburg im Breisgau erschienen in den 1960er und 1970er Jahren bahnbrechende Studien zur Besatzungspolitik, zum Vernichtungskrieg in Ost- und Südeuropa, zur Indoktrination der Wehrmacht, zu ihrer Zusammenarbeit mit der SS und zu ihrer Verantwortung für den Tod von drei Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen. Das MGFA startete 1979 eine zehnteilige Buchreihe mit dem Thema „Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg". Aus Sicht der Experten war damit der verbrecherische Charakter des von der Wehrmacht geführten Krieges erwiesen.

Der Holocaust als untrennbarer Bestandteil der Erinnerung an den Krieg

Diese wissenschaftlichen Erkenntnisse führten jedoch erst in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre zu einer vollständigen Bewusstseinsbildung in der Gesellschaft. Die Resonanz auf die amerikanische Miniserie „Holocaust", die 1979 im deutschen Fernsehen ausgestrahlt wurde, leitete jedoch einen Sinneswandel ein. Nie zuvor hatte der Massenmord an den europäischen Juden während des Krieges so viele Diskussionen in der breiten Öffentlichkeit, aber auch innerhalb der Familien ausgelöst. Diese neue Verbindung zwischen Krieg und Holocaust, die bis heute untrennbar geblieben ist, wurde in den 1980er und 1990er Jahren einerseits durch die Massenmedien und andererseits durch die staatliche Inszenierung des Gedenkens an die Opfer verstärkt.

In weiten Teilen der westdeutschen Gesellschaft, insbesondere in Militärkreisen, wurde jedoch weiterhin ein anderes, makelloses Bild der Wehrmacht propagiert. Die Vorstellung vom Krieg und der (besonderen) Rolle des Militärs in Staat und Gesellschaft hielt sich hartnäckig: Der Beruf des Soldaten wurde von vielen als ein Beruf sui generis angesehen, der mit der staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung wenig zu tun hatte. Die Benennung von Kasernen nach Generälen der Wehrmacht war eine Form der symbolischen Repräsentation, die auch der Zivilbevölkerung ein überholtes Verständnis von „Tradition" signalisierte, wonach die Bundeswehr, die deutsche Bundesarmee, in der Nachfolge der Wehrmacht stand. Die berühmten „Traditionserlasse", mit denen die Verteidigungsminister, zunächst Kai-Uwe von Hassel (CDU) 1965 und dann vor allem Hans Apel (SPD) 1982, eine Trennlinie zur Armee der NS-Zeit zu ziehen versuchten, änderten daran faktisch nur wenig.

1982 startete das MGFA die historische Wanderausstellung „Aufstand des Gewissens", die den militärischen Widerstand, insbesondere das Attentat auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944, als einzig mögliche Grundlage für die Tradition der Bundeswehr aus dieser Zeit etablieren sollte und so unweigerlich die auf dem neuesten Stand der Forschung basierenden Erkenntnisse der verbrecherischen Kriegsführung in die Kasernen und in die Öffentlichkeit brachte. Doch anstatt die Rolle der Wehrmacht kritisch zu hinterfragen, klammerten sich viele aktive und inaktive Soldaten an den Mythos der Kämpfer. Soldaten in der Täterrolle waren lange Zeit ein Teil des Geschichtsbildes der Bundeswehr. Am 40. Jahrestag des Kriegsendes interpretierte Bundespräsident Richard von Weizsäcker den 8. Mai 1945 als einen „Tag der Befreiung". Damit vertrat er die Interpretation, dass der Sieg der Alliierten rückblickend die Voraussetzung für die Überwindung des Nationalsozialismus und die Entstehung einer Demokratie war, die sich als erfolgreich erwies. Dadurch kam er einer Mehrheit von Menschen zuvor, die auch nach 1985 das Kriegsende immer noch mit einer militärischen Niederlage in Verbindung brachten und somit keinen Grund zum Feiern sahen.

Der Zweite Weltkrieg und die Wehrmacht sind jedoch zu einem brennenden Thema des gesellschaftlichen Selbstverständnisses geworden, nicht zuletzt aufgrund einer 1995 gestarteten Wanderausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung. Ihr Titel war provokativ gewählt: „Die Verbrechen der Wehrmacht zwischen 1941 und 1944", während sich die Legende von der „Wehrmacht mit der weißen Weste" noch immer hielt. Diese Feststellung war bedeutungsschwer, insbesondere weil sie die ganz persönliche Frage nach der Verantwortung der eigenen Eltern und Großeltern aufwarf.

Vom „kommunikativen Gedenken" zum „kulturellen Gedenken"

Indessen rückte die Stellung der Deutschen als „Opfer" nach der Jahrtausendwende wieder in den Vordergrund. In seinem 2002 erschienenen Bestseller „Der Brand" beschrieb der Journalist Jörg Friedrich minutiös die Zerstörung deutscher Städte durch die Alliierten, verzichtete aber dennoch auf die notwendige Kontextualisierung. Die Medien griffen das Thema umgehend auf. Miniserien wie Dresden (2006) und Winter 1945 (2007) zeigten die Luftangriffe auf Dresden im Februar 1945. Eine der teuersten Produktionen war der im Ausland erfolgreiche Dreiteiler Generation War, der 2013 veröffentlicht wurde. Diese Filme über das Schicksal von fünf Freunden, die sich 1941 in Berlin treffen, wurden anlässlich des 70. Jahrestags des Kriegsendes im Jahr 2015 vorgeführt. Die melodramatische Mischung aus historischer Authentizität und emotionaler Banalisierung berührte das Publikum. Das hatte den Vorteil, dass ein historisches Interesse geweckt wurde und sich jeder fragen musste: Welches Verhalten hätte ich an den Tag gelegt?

 

Affiche du film Generation war

Plakat zum Film Generation War. © 2013 TEAMWORX/ZDF

 

Heute hat die junge Generation praktisch keine familiären Bindungen mehr an die Zeit vor 1945. Das Ergebnis einer Umfrage des Magazins Stern anlässlich des 65. Jahrestags des Kriegsendes wirkte wie eine kalte Dusche: Fast die Hälfte der deutschen Bürger (45 %) konnte nicht sagen, was am 8. Mai 1945 in Deutschland passiert war. Besonders groß war die Unsicherheit unter den Jüngeren: Mehr als zwei Drittel (68 %) der 18- bis 29-Jährigen hatten keine Ahnung, dass die Wehrmacht im Mai bedingungslos kapituliert hatte. Der Krieg ist in weiten Teilen der Bevölkerung kein Thema mehr. Er ging vom kommunikativen Gedenken der Zeitgenossen zu jener normativen Form des Gedenkens über, die Aleida und Jan Assmann mit dem Begriff „kulturelles Gedenken" umschrieben haben.

Dieser Zeitenwandel setzt voraus, dass der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg neue Formen und Inhalte zugewiesen werden, nachdem der 100. Jahrestag des Ersten Weltkriegs und 2019/2020 der 30. Jahrestag des Mauerfalls und der Wiedervereinigung die Erinnerungslandschaft dominiert haben. Hier bieten sich drei Möglichkeiten an. Ein multiperspektivischer Ansatz zum Zweiten Weltkrieg kann zunächst unsere „eigenen" Opfer - anders als in den 1950er Jahren - in eine komplexere Sicht des Krieges einordnen, die vor allem seinen kriminellen Charakter widerspiegelt. In einem zweiten Schritt werden die Erinnerungen der Opfer und der Täter der NS-Verbrechen miteinander verknüpft; ein Phänomen, das insofern problematisch sein kann, als dass sich die Deutschen eher mit den Opfern identifizieren und nur die Erinnerung an diese bewahren wollen. Drittens wäre es sinnvoll, die Erinnerung an die Jahre 1939 bis 1945 zu internationalisieren und zu europäisieren. Dreißig Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges sollten die Nationen nicht mehr damit weitermachen, die Vergangenheit so zu behandeln, als wäre sie ihnen „eigen", als würde der Horizont des kollektiven Gedenkens an den Grenzen der Staaten enden. Sicher ist, dass der Stellenwert des Zweiten Weltkriegs in der deutschen Erinnerungskultur auch weiterhin unklar bleiben wird.

 

Aus dem Deutschen übersetzter Text

Jörg Echternkamp - Professor für Neuere Geschichte,
Zentrum für Geschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, Potsdam/Martin-Luther-Universität, Halle-Wittenberg