Die Erinnerung an die Erschossenen von Bondues
Hélène Priego ist Direktorin des 1997 eröffneten Museums des Widerstands in Bondues. Dieser der Erinnerung an die Erschossenen von Bondues im Zweiten Weltkrieg gewidmete Ort hat das steinerne Erbe der Stadt bereichert. Da diese Geschichte die Identität des Gebietes bildet, ist sie in Bondues und Umgebung Grundlage einzigartiger Gedenkpraktiken.
Hélène Priego, Direktorin des Museums des Widerstands in Bondues.
Können Sie uns kurz die Geschichte der Erschossenen der Festung Bondues erzählen?
Die Festung Bondues, die zum Verteidigungsring gehörte, der Ende des 19. Jahrhunderts rund um Lille errichtet worden war, wird vom Besatzer mit zwei weiteren Festungen ausgewählt, um dort die zwischen Sommer 1942 und Sommer 1944 in der Region zum Tode Verurteilten hinzurichten. Insgesamt fanden dort 68 Hinrichtungen zwischen 17. März 1943 und 1. Mai 1944 statt.
Diese Erschossenen sind im Wesentlichen die Opfer von drei großen Verhaftungswellen: eine im Sommer-Herbst 1942, die auf die Aufklärungsnetzwerke und die Hilfe zur Flucht in die Küstenregion abzielte; die zweite von Juli bis Dezember 1943, die vor allem die Metropole Lille wegen der Bewegung Organisation Civile et Militaire (OCM) und des Netzwerks Alliance betraf, aber auch das Avesnois und die Küsten von Nord-Pas-de-Calais wegen der Freischützen; die letzte im März 1944, die vor allem die OCM-Gruppen traf, die den Auftrag hatten, die von den Deutschen verwendeten fliegenden Bomben, die V1, ausfindig zu machen.
Zwei Besonderheiten stechen im Profil der Erschossenen „von Bondues“ hervor: einerseits das Fehlen von Geiseln. Die Verurteilten werden hier alle nach einer Verurteilung wegen schädlicher Aktionen gegen den Besatzer erschossen. Andererseits ihre Heterogenität, die weitgehend aus dieser schrittweisen Zerschlagung resultiert. Daraus ergeben sich verschiedene Profile (soziale und berufliche Herkunft, Alter...) und politische Zugehörigkeiten.
Wie fügt sich diese Erinnerung in die lokale Landschaft ein, und gibt es einen Gedenktourismus im Zusammenhang mit der Geschichte der Erschossenen von Bondues?
Die Erschossenen der Festung Bondues prägen sich, seit der Überführung der Leichen, die oft von großen Zeremonien begleitet sind, bald schon in das kollektive Unterbewusstsein der Gemeinden ein. Das ist zum Beispiel bei den jüngsten „unserer“ Erschossenen, der Gruppe des Sektors Vieux-Condé, der Fall.
Kurz nach der Befreiung werden Plätze und Straßen zu Ehren unserer lokalen Helden umbenannt. So benennt zum Beispiel die Stadt Courrières unter Druck der Bevölkerung den Rathausplatz, dem sie zuvor den Namen von General de Gaulle geben möchte, in Place Jean Tailliez um, der eine vertrautere Figur und den örtlichen politischen Empfindungen wahrscheinlich näher war.
Abgesehen von einigen unscheinbaren Stelen oder Vermerken auf ihren Gräbern, bleibt in Bondues die Erinnerung an die Erschossenen dennoch hauptsächlich in Stein gemeißelt. Ihr Hinrichtungsort ist daher Jahrzehnte später der Hauptgedenkort außerhalb des familiären Bereichs.
Die Stätten dienten zuerst dem Gedenken, mit der Errichtung eines Denkmals im Jahre 1964, dann mit der Restaurierung und Einweihung der Hinrichtungsstätten 1986 durch zwei große Persönlichkeiten (Marie-Madeleine Fourcade und Maurice Schumann). Später wurde 1997 der Geschichte und Analyse Platz eingeräumt und ein Museum eröffnet, das nicht nur den 68 Erschossenen gewidmet ist, sondern im weiteren Sinne der Besatzung und dem Widerstand im angegliederten Gebiet. Wir können daher nicht wirklich von einem Gedenktourismus sprechen, der direkt mit der Figur der Erschossenen von Bondues in Verbindung steht, denn die Erinnerung an sie ist ein Symbol für alle in diesem Abschnitt gefallenen Widerstandskämpfer geworden. Daher vermischt die alljährliche Feier im September die innige Erinnerung der anwesenden Familien mit der allgemeinen Würdigung des Widerstands durch das Publikum.
Besucher erkunden das Museum des Widerstands in Bondues. © Tanguy Prouvost/Museum des Widerstands in Bondues
Welche Beziehung haben die Bewohner der Region zu diesem Gedenken?
Das Gedenken an den Widerstand ist heute ein weitgehend konsensträchtiges und feierlich begangenes Thema, das Jahr für Jahr in generationenübergreifendem Interesse Bestätigung findet. Mit dem Verschwinden der Zeitzeugen sind es also die jungen Erwachsenen, die sich den Orten des Gedenkens und der Geschichte zuwenden, um Dingen auf den Grund zu gehen, die mit der Familientradition weitergegeben wurden.
Der Gedenkbegriff des „Widerstands“ wird jedoch selten verkörpert, wenn nicht manchmal in Person eines Vorfahren. In der Region und darüber hinaus sind es heute die Familien, die vor allem ein inniges Verhältnis zur Erinnerung an „ihren“ Erschossenen pflegen. So wurden Generationen hindurch Dokumente liebevoll aufbewahrt oder dem Museum in Bondues übergeben, das der Bewahrer dieser Erinnerungen ist.
Die Ausnahme von der Regel ist vielleicht die Person des Abt Bonpain, der einer der ersten Erschossenen der Festung war. Da seine Person bereits vor der Besatzung des Gebiets von Dünkirchen bekannt war, ruft seine Hinrichtung sofort Empörung hervor. Diese führt dazu, dass die Bevölkerung nach der Bekanntgabe auf BBC 15 Tage später einen Trauergottesdienst organisiert und dabei das deutsche Verbot umgeht. Nach dem Krieg fanden zahlreiche Gedenkfeiern für ihn statt: eine Statue in seiner Pfarre in Rosendaël, nach ihm benannte Straßen und Plätze, nicht nur an der Küste, sondern auch in der Metropole Lille, eine Briefmarke der Serie „Helden des Widerstands“ und sogar eine Dahlie, die ihm zu Ehren gezüchtet wurde... Heute noch ruft sein Name bei den Museumsbesuchern das meiste Echo hervor.
Warum ist es wichtig, lokale Gedenkpraktiken bezüglich dieser Erinnerungen zu bewahren, und wie sind sie mit den nationalen Gedenkfeiern verknüpft?
Die lokalen Gedenkpraktiken müssen gerade deshalb beibehalten werden, weil das Museum der Bewahrer der Erinnerungen der Familien der Erschossenen ist und diese entsprechend dokumentieren muss. Besucher finden auf den Ehrentafeln der Erschossenen oft Namen, die Teil ihres Alltags sind, die sie auf einem Straßenschild oder einem Kriegsdenkmal lesen. Und plötzlich wird dieser Name durch ein Gesicht und einen Lebenslauf verkörpert und bekommt einen Sinn. In dieser Hinsicht gehören die Gedenkpraktiken zur lokalen Identität. Umso mehr, als die Interpretationsraster der Geschichte des Widerstands und der Repression in Dünkirchen oder in Lyon nicht unbedingt dieselben sind.
Sogar die Grundlage der Pädagogik beruht auf dem induktiven Ansatz der Auseinandersetzung mit lokalen Fällen. Genau das ermöglicht die Eingliederung des Lebenslaufs der Erschossenen und der lokalen Geschichte in die „große“ Geschichte, indem der Besucher angesprochen wird.
Welche Projekte/Baustellen finden derzeit oder in Zukunft statt, um das Gedenken an die Erschossenen von Bondues aufrechtzuerhalten und zu stärken?
Das Gedenken an die Erschossenen war der Ausgangspunkt für das gesamte Gedenkprojekt und spätere Museum in Bondues. Dennoch haben wir im Laufe der Zeit festgestellt, dass der Platz der Erschossenen in der Museumsgestaltung immer mehr verschwand. Die Gesichter und Namen der Erschossenen standen am Anfang und Ende des Rundgangs, traten aber während der Besichtigung kaum in Erscheinung.
Im Zuge des Nachdenkprozesses über eine Vergrößerung/Erneuerung des Museums haben wir uns auf die Idee des induktiven Ansatzes gestützt, um die Profile der Erschossenen an verschiedenen Stellen der Besichtigung wie einen roten Faden oder lauter unsichtbare Führer wieder einzuführen.
Die Vergrößerungs- und Erneuerungsarbeiten der Museumsgestaltung werden mit Unterstützung des Verteidigungsministeriums Ende des Jahres 2020 beginnen.