Die Front im Orient : 1915 - 1919
Die Front im Orient: 1915 - 1919 Neben der zum Stellungskrieg erstarrten Westfront, der Hauptfront des Ersten Weltkriegs, an der Soldaten beider Seiten sich im Schlamm der Schützengräben vier lange Kriegsjahre gegenüberstanden, existierten andere harte Fronten. Die Kämpfe auf dem Balkan (Jugoslawien - Albanien - Bulgarien - das ottomanische Reich) zählten zu diesen Nebenkriegsschauplätzen. Obwohl ihre Bedeutung oft heruntergespielt wurde, waren sie nichtsdestotrotz eine Realität..
Ende 1914 ist die Lage an der Front im Westen wie im Osten erstarrt. Die Entente sucht ein Ablenkmanöver, um den Konflikt strategisch wieder in Bewegung zu setzen. Der britische Erste Lordadmiral Winston Churchill schlägt eine Offensive gegen Konstantinopel (Istanbul, die Hauptstadt des ottomanischen Reiches und Verbündeter von Deutschland) über die Meerenge der Dardanellen vor, um die Seeverbindung für die Versorgung Russlands wieder herzustellen und die Mittelmächte einzukreisen (1). Nach einer Seeoperation im Februar-März 1915 wird im April eine Landung auf der Halbinsel Gallipoli beschlossen. Doch die Einheiten der Verbündeten scheitern am Widerstand der ottomanischen Truppen unter der Befehlshabe des Generals Liman von Sanders und müssen im Oktober wieder umkehren.
Ein Truppenteil, der zur serbischen Armee stoßen soll, wird in Saloniki eilig an Land abgesetzt. Die serbische Armee verzeichnet zu Beginn des Feldzugs gegen Österreich-Ungarn zwar relative Erfolge und kann das im Dezember 1914 an Österreich gefallene Belgrad zurückerobern, doch die Lage verschlechtert sich nach Kriegseintritt Bulgariens an der Seite der Mittelmächte. Am 6. Oktober 1915 wird die österreichisch-deutsch-bulgarische Generaloffensive ausgelöst. Die französischen Einheiten unter General Sarrail versuchen zwar, Serbien Beistand zu leisten, doch werden sie zum Rückzug um Saloniki gezwungen. Die Serben beginnen mitten im Winter einen mühsamen Rückmarsch durch das Gebirge von Montenegro und Albanien bis an die Küste. Die in Korfu zusammengeführten und von französischen Offizieren neu organisierten Verbände werden nach Saloniki verbracht. Die Alliierten äußern scharfe Kritik an der Präsenz eines Expeditionskorps in Saloniki. Die Briten machen die meisten Vorbehalte, den sie möchten ihre Truppen schnell wieder nach Ägypten abziehen, wo eine Bedrohung durch deutsch-türkische Expansionsabsichten besteht, und nach Mesopotamien, um dort die persischen Ölfelder zu schützen. Aber in Frankreich erheben sich Stimmen, die sich für den Beibehalt der Truppen in dieser Region aussprechen. Der Ministerpräsident Aristide Briand gehört zu den glühenden Befürwortern dieser Nebenfront, wohingegen Joseph Joffre, der Chef des Generalstabs, einer gegensätzlichen Ansicht ist.
In einem Abkommen wird die Aufrechthaltung einer befestigten Stellung in Saloniki beschlossen, und die Reste der serbischen Armee aus Korfu und auch italienische und russische Truppen werden zur Verstärkung der britischen und französischen Verbände herangeholt. Mit diesem Manöver soll der deutsche Einfluss in Griechenland geschwächt und Rumänen, dessen baldiger Kriegseintritt erwartet wird, unterstützt werden.
Die Haltung Griechenlands bereitet den Alliierten in ihrem Aktivismus im Orient zahlreiche Probleme. Die Konfrontation zwischen einem deutschfreundlichen König, der seine offizielle Neutralität nur schwer vertreten kann (Konstantin I ist der Schwager von Wilhelm II), und dem Premierminister Venizelos, der für ein Bündnis mit den Ententemächten plädiert (2) und sich damit Gebietsgewinne zu Kosten Bulgariens und des ottomanischen Reiches erhofft, spaltet Griechenland. Nach zwei Jahren der Unschlüssigkeit, bedingt durch die Angst vor politischen und diplomatischen Spannungen, die sich aus dieser Situation ergeben könnten, fordern die Alliierten die Abdankung des Königs Konstantin zugunsten seines Sohnes Alexander. Venizelos wird in die Regierung gerufen, verbündet sich mit den Alliierten und erklärt den Mittelmächten am 3. Juli 1917 den Krieg. Im Jahr darauf stellt er etwa zehn Infanteriedivisionen auf.
Auch Rumänien wird von beiden Lagern umworben. Das Land zögert noch und wartet die Entwicklung der Kriegskarte ab, um auf einen Sieger zu setzen. Nach den ersten Erfolgen des russischen Generals Broussilov im Juni 1916 und der Zurückdrängung der österreichisch-ungarischen Front nördlich der Karpaten, tritt Rumänien am 28. August 1916 an der Seite der Entente in den Krieg. Diese Verstärkung zeigt aber nicht die erhoffte Wirkung, denn zum einen kommt dieser Entschluss zu spät und zum anderen beabsichtigten die Verbündeten, die rumänische Armee mit einer Truppenoffensive in Saloniki gegen Bulgarien zu koordinieren. Doch die Rumänen konzentrieren ihre Aktion im Norden, in Richtung Siebenbürgen, um von der russischen Deckung zu profitieren. Trotz ihren ersten siegreichen Aktionen werden sie zwischen den deutsch-österreichischen Truppen unter General Falkenhayn im Norden und den bulgarisch-türkischen Truppen unter General Mackensen im Süden rasch in die Zange genommen. Bukarest fällt am 6. Dezember, und Mitte Januar 1917 ist ganz Rumänien erobert. Die Mittelmächte verfügen nun über eine enorme Getreideproduktion und Erdöl- und Erdgasfelder, um die Auswirkungen der Blockade abzuschwächen (3).
Trotz der guten Standhaftigkeit der Sarrail-Armee gegenüber den bulgarischen Angriffen und der Einnahme durch französisch-serbische Truppen des serbischen Monastir (4) am 19. November 1916, macht die Niederlage Rumäniens die in die Orientfront gesetzten Hoffnungen für lange Zeit zu Nichte. Diese Niederlage stellt vielleicht den ersten Sieg der peripheren Strategie dar, doch die Orientarmee wird sehr rasch in die Defensive gedrängt und muss sich zur Vereinfachung der Operationen an den anderen Fronten auf sonstige Aktionen besinnen. Saloniki wird mehr denn je zu einer Nebenfront, an der die Soldaten auch mit einem anderen Feind, der Krankheit, zu kämpfen haben. Zwischen 1915 und 1918 erkranken in Griechenland und Serbien fast 95% der Männer, und an die 360 000 sterben an Ruhr, Skorbut oder Geschlechtskrankheiten. Die medizinische Versorgung der Soldaten ist miserabel. Die Malaria, eine endemische Krankheit, grassiert. Im Mazedonien des beginnenden Jahrhunderts befindet sich einer der letzten Infektionsherde Europas. In der durch Jahre des Krieges - er konfrontierte alle Balkanvölker - verwüsteten Gegend können sich Epidemien aller Art rasch ausbreiten. Unter diesen Bedingungen ist ein Handeln nur schwer vorstellbar. Ein großer Teil der Truppen liegt im Lazarett oder ist gesundheitlich stark angegriffen. Daraufhin werden außerordentliche Maßnahmen zur Behandlung der Kranken und zur Trockenlegung der für diese Ansteckung verantwortlichen Sumpfgebiete getroffen. Die Malaria kann in Mazedonien endgültig ausgerottet werden. 1917 sorgen zwei wichtige Ereignisse, die Eindämmung der Malariaepidemie von 1916 und der Kriegseintritt von Griechenland an der Seite der Entente am 3. Juli 1917, erneut für eine Veränderung der strategischen Situation. Die Stellung in Saloniki kann jetzt als Ausgangsposition für ambitionsreichere Operationen dienen.
Im Dezember 1917 ersetzt General Guillaumat Sarrail im Oberbefehl der Orientarmee. Er gliedert die Befehlshabe neu, schafft einen interalliierten Generalstab, der an die Führung einer ”multinationalen” Armee angepasst ist und er erhält Materiallieferungen, die ihm die Planung einer Offensive ermöglichen. Nach dem Zusammenbruch Russlands, welcher am 3. März 1918 zur Unterzeichnung des Sonderfriedenvertrags von Brest-Litowks zwischen Sowjetrussland und Deutschland führte und gleich darauf zu massiven Abzügen deutscher Truppen an die Westfront, bleibt seine Aufgabe trotzdem bescheiden. Er konzentriert seine Bemühungen in erster Linie auf die Integrität der mazedonischen Front, um hier die größtmögliche Zahl feindlicher Streitkräfte zu fixieren. Die Lage der Verbündeten verbessert sich allmählich. Das über die Ereignisse an der asiatischen Front (5) beunruhigte ottomanische Reich, das vor der italienischen Front blockierte Österreich und das auf seine Offensive in Frankreich im März 1918 konzentrierte Deutschland ziehen einen Teil ihrer Truppen vom Balkan ab. Bulgarien bleibt daher der wichtigste Feind. General Guillaumat arbeitet an seinen Plänen, als er von Clemenceau zurückbeordert wird, um in Paris die Befehlshabe zu übernehmen. Die französische Hauptstadt wird im Mai-Juni 1918 nämlich erneut vom Vormarsch der deutschen Armee bedroht. Der Nachfolger von Guillaumat, General Franchet d'Esperey, trifft am 18. Juni 1918 in Saloniki ein. Er setzt das Werk seines Vorgängers fort und bereitet eine Generaloffensive durch das Gebirge vor.
Er muss jedoch auf die Zustimmung der britischen und italienischen Regierungen warten, die einer großangelegten Aktion in dieser Gegend immer noch abgeneigt gegenüberstehen. Am 15. September 1918 geht die Orientarmee in zwei Richtungen in die Offensive: Die Hauptaktion ist im Zentrum (serbische und französische Streitkräfte) auf Belgrad gerichtet. Sie läuft über Usküb (heute Skopje) und soll die bulgarische Armee spalten. Eine Nebenaktion (britische und griechische Verbände) soll nach Bulgarien ins Vardar-Tal und zum Doiran-See vorstoßen.
Die serbischen Divisionen kommen sehr gut voran und werden von griechischen und französischen Einheiten unterstützt. In einer berühmt gewordenen Kommandoaktion legt das berittene Regiment der Chasseurs d'Afrique (Jäger) des Generals Jouinnot-Gambetta in fast 2 000 m Höhe 70 km durch das Gebirge zurück, ohne Karten, ohne Straßen, ohne Infanteristen und ohne 75er Geschütz zur Unterstützung. Die Reiter stürmen in Richtung Usküb, der mazedonischen Hauptstadt, und nehmen diese im Überraschungseffekt am 29. September ein. Dieser Angriff ist das letzte ”Kavalierstück” in der Geschichte der französischen Reiter. Die bulgarische Front ist zerschlagen. Noch am gleichen Abend unterzeichnet Bulgarien einen Waffenstillstand (der erste des Krieges). General Franchet d'Esperey setzt seinen Vorstoß im Norden fort, überquert die Donau und geht auf Bukarest zu. Er öffnet den Weg nach Österreich, als der Waffenstillstand am 11. November 1918 die Kämpfe beendet. Der Bruch der mazedonischen Front im September 1918 beschleunigt somit die Niederlage der Mittelmächte und führt die Kettenkapitulation von Bulgarien (29. September), dem Ottomanischen Reich (30. Oktober), Österreich (3. November) und schließlich Ungarn (13. November) herbei. Diese Tatsache wird später auch von Marschall von Hindenburg, dem Oberbefehlshaber der deutschen Armee und General Ludendorff, seinem engsten Vertrauten, anerkannt (6).
Fast 300 000 französische Soldaten, von denen über 50 000 nie zurückgekommen sind, kämpften im Balkan und lebten dort mit ihren serbischen Verbündeten in einer Waffenbruderschaft. Jene, die Clemenceau verächtlich ”die Gärtner von Saloniki” nannte und lange Zeit der Untätigkeit beschuldigte, setzten den Krieg fünf Monate länger fort als ihre in Rumänien stationierten Kameraden, denn sie verteidigten die Südfront in Russland gegen die Bolschewiken. Erst im März 1919 erfolgte der Abzug der Orient-Poilus nach Odessa. Sie hatten das Gefühl, ungerechterweise die Vergessenen des Großen Krieges zu sein.
Fußnoten (1) Deutschland, Österreich-Ungarn. (2) Großbritannien, Frankreich, Russland. (3) Die Franzosen und Engländer beschließen die Blockade zu Beginn der feindlichen Auseinandersetzungen, um die deutsche Wirtschaft zu zerstören. Es wird der Verkehr sämtlicher Waren nach oder aus Deutschland verboten. (4) Das heutige Bitola in Mazedonien. (5) Großbritannien besetzt Jerusalem im Dezember 1917 und übt nach und nach die Kontrolle über die arabischsprachigen Gebiete des ottomanischen Reiches aus. (6) Ungarn trennt sich am 1. November 1918 vom österreichischen-ungarischen Kaiserreich.