Die illustrierte Presse in Frankreich während dem Ersten Weltkrieg
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Die illustrierte Presse Frankreichs nahm in der Darstellung des Krieges von 1914 - 1918 eine besondere Rolle ein. Weltweit war es einmalig, dass ein Medium zeigte, was von Zeitgenossen als die “wahre” Berichterstattung über den Krieg empfunden wurde.
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In der Tat wurden in Le Pays de France, Le Monde illustré, J'ai Vu, Le Flambeau, Sur le Vif, und insbesondere in Le Miroir und L'Illustration Fotos abgedruckt, die der Öffentlichkeit Gelegenheit gaben, anhand von Schnappschüssen ein Teil der Szenerie an der Front zu werden.
Die Besonderheit in Frankreich basierte jedoch hauptsächlich auf der Tatsache, dass zahlreiche Klischees auf erstaunliche Weise gebrochen wurden. Neu für die französischen Leser war die Vorstellung, dass sie quasi direkt an die Front geworfen wurden und die Brutalität des modernen Kampfes hautnah miterlebten.
Fotografien über Brachialgewalt
Es sind drei spezielle Themenbereiche, die an die während des Krieges herrschende Gewalt erinnern: verwüstete Landstriche, Schlachten und Leichen. Besser als die Trümmerfelder zeigen jedoch Bilder vom No-Man's-Land, welch gravierende Zustände der industrielle Krieg zurückgelassen hat.
Le Miroir zeigt eine Sicht, die sich auf die Chronologie der Schlachten stützt: Zerstörte Kiefernwälder ohne Menschen in Verdun, Berge voller Leichen an der Somme. Betrachtet man die klischeehaften Vorstellungen des Lesers, wird er sich sicherlich niemals am Nahkampf beteiligen. Mit diesen kleinen handlichen Apparaten und den Zelluloidfilmen eröffnete sich für Fotografen jedoch die Möglichkeit, direkt vom Schlachtfeld zu berichten. Nicht wenige verfielen dieser Sache. Sie sahen der Gefahr des modernen Kampfes direkt ins Auge und waren konfrontiert mit Rauchschwaden, Soldaten, die in die Luft geschleudert wurden, mit deformierten Körpern und manch einer wurde auch selbst getroffen.
Die schrecklichsten Bilder sind diejenigen, auf denen Leichen zu sehen sind. Schemenhaft erkennbare Formen, verdeckt durch ein Leichentuch, leblose Körper zwischen Bäumen, hinterlassene Skelette auf dem Schlachtfeld. Die Brutalität des Konflikts zeigt sich in Klischees, wo zahlreiche Leichen zurückgelassen werden, verstümmelt und aufgetürmt.
Die Bedeutung dieser in Frankreich gängigen brutalen Art der Fotoberichterstattung muss jedoch differenziert betrachtet werden, da nicht alle Wochenzeitschriften eine derartige Realität wiedergaben. Am meisten schockierte Le Miroir, Erbe der illustrierten Fotobeilage des Petit Quotidien, der während des Krieges in der neuen Art des Fotojournalismus den Ton angab.
L'Illustration, eine seit 1843 beliebte Familienzeitschrift, berichtete eher zurückhaltend über das Geschehen und verzichtete auf spektakuläre Aufnahmen. Dennoch sind auch hier regelmäßig Leichen abgebildet, gelegentlich sogar von französischen Soldaten. Andere Illustrierte, von denen viele erst während des Krieges gegründet wurden und ein Geschäft witterten, waren eher weniger feinfühlig und übereifrig bemüht, ihre Leser mit aktuellen und bislang unveröffentlichten Bildern an sie zu binden.
All diese Wochenblätter hatten somit die Möglichkeit, das französische Volk auf präzise Art und Weise über die Gewalt des Krieges zu informieren, wobei sie auch vor Furcht erregenden Berichten nicht zurückschreckten.
Warum diese spezielle Form in Frankreich?
Diese Galerie der furchtbaren Kriegsbilder gibt es nur in Frankreich. Man könnte sich nunmehr fragen, wie es zur dieser speziellen Form kam. Ausschlaggebend waren insbesondere zwei Gründe.
Zunächst einmal war es der Aufruf an die Amateure, deren Interesse durch einen Fotowettbewerb geweckt worden war. Am 6. August 1914 startete Le Miroir einen Aufruf an Amateure. Bereits am 15. August 1914 wurde die Idee von L'Illustration übernommen, die um interessante Fotos aller Art warben. Die eingesendeten Bilder waren nicht überzeugend, was Le Miroir am 15. März 1915 veranlasste, den mit 30.000 Francs dotierten Wettbewerb “Das ergreifendste Kriegsfoto” auszuschreiben. Diese horrende Summe löste in der Welt der illustrierten Presse eine wahre Schockwelle aus: Le Pays de France startete am 15. April 1915 einen wöchentlichen Wettbewerb mit einem Preisgeld von 250 Francs; die Antwort von Le Miroir folgte am 16. Mai 1915 mit einem monatlichen Wettbewerb mit Preisgeldern von 1000, 500 und 250 Francs; am 19. Juni 1915 startet Le Flambeau einen wöchentlichen Wettbewerb, bei dem der Hauptpreis 250 Francs betrug. Diese Vielzahl an Wettbewerben machte die Soldaten zu Zielen für Sensationsmeldungen. Und aus Amateurfotografen wurden “Fotokämpfer”.
Der zweite Grund liegt in der Art der Zensur, die diese Gewaltklischees weder verbot noch kommentierte. Dies erklärt sich zunächst durch die Tatsache, dass lediglich der Vorabdruck (letzter Abzug einer Zeitung vor dem endgültig Druck) von Zeitschriften gegengelesen wurde, dieser wiederum aber nur wenige Tage vor Veröffentlichung verfügbar war. Hinzu kommt die Tatsache, dass es bei Wochenzeitungen häufig vorkam, dass Verbote umgangen wurden. Anders als in Deutschland oder den USA bestand der Hauptgrund jedoch darin, dass die Zensurstellen Zuwiderhandlungen nur widerwillig bestraften und sich somit selbst dem Druckmittel gegenüber der illustrierten Presse beraubten, die sich den Entscheidungen widersetzte. Dennoch gibt es gewisse Anzeichen, die beweisen, dass sie auch hart durchgreifen konnte, wie zum Beispiel bei einer Ausgabe der L'Illustration im Jahr 1917, in der russische Deserteure abgebildet waren. Es könnte fast der Eindruck entstehen, dass die realistische Darstellung der Schrecken des Krieges die Behörden kaum beunruhigte. Und schlussendlich ist Frankreich eine Nation, in die der Feind eingedrungen war, der Gewalt angetan und die verwüstet wurde: Und sie zeigt sich, wie sie ist.
Sichtbare Kultur vs. “Indoktrination”
Es ist somit nicht leicht, die zwischen 1914 und 1918 in Frankreich vorherrschende Idee der “Indoktrination” gutzuheißen. Erst später, und selbst in Fällen, wo auf den Fotografien der normale Tagesablauf der Soldaten an der Front zu sehen war, wich man ab von einem epischen und spöttischen Tonfall über die Kriegsepoche. Es stand dann die Männlichkeit und Unerschrockenheit der Soldaten im Vordergrund, die zu “Helden des Alltags” wurden, geprägt vom Leid und der Hingabe für das Vaterland.
Die illustrierte Presse Frankreichs führte somit neue medienwirksame Praktiken der Kriegsberichtserstattung ein und konfrontierte die Öffentlichkeit mit ihren schrecklichen Äußerungen und Darstellungen.
Joëlle Beurier. Doktor der Geschichte, Forscher am CRESC (Zentrum für Forschung über soziokulturelle Veränderungen).
Bibliografie
Thilo Eisermann, Pressephotographie und Informationskontrolle im Ersten Weltkrieg. Deutschland und Frankreich im Vergleich, Ingrid Kämpfer Verlag, Hamburg, 2000.
Joëlle Beurier, Images et violence. Quand Le Miroir racontait la Grande Guerre…, Paris, Nouveau Monde, 2007.
Joëlle Beurier, Photographier la Grande Guerre, France-Allemagne, Rennes, PUR, 2012 (noch nicht erschienen).