Die Landschaften von Maurice Genevoix
Der Schriftsteller Maurice Genevoix ist nicht nur Zeuge des Leidens der Menschen und Tiere im Ersten Weltkrieg, sondern auch gefühlvoller Zeuge der Zerstörung einer schönen Landschaft, jener der Éparges, und ihres Wiedererstehens im wiedergewonnenen Frieden. Die Kriegslandschaft ist zuerst ein Krieg gegen die Landschaft, dann eine Landschaft der Erinnerung.
Der Soldat Maurice Genevoix im Jahr 1914. © ECPAD/Verteidigung
„Porchon! Sieh dir das an, wie schön! [...] Vor uns erstreckt sich das Longeau-Tal zwischen den klaren Rundungen zweier Hügelketten. Die Gipfel links schlängeln sich am Rand des Himmels, einer kraftvollen Linie, die von den Wäldern samtartig eingefasst wird. (Die von 14, Maurice Genevoix).
Von seinem Kriegseinsatz an der Maas zwischen Ende August 1914 und Ende April 1915 hat Maurice Genevoix einige Fotos aufbewahrt, die großteils von Lagarrigue, dem Bataillonsarzt, aufgenommen worden waren. Es handelt sich um Gruppenbilder, die vor einer Scheune, in einer Straße eines Dorfes im Maas-Gebiet, am Eingang eines Unterstandes oder auf einer Forststraße gemacht wurden und auf denen teilweise der künftige Schriftsteller zu sehen ist. Eines dieser Bilder zeigt, nach Art der Gemälde von Caspar David Friedrich, zwei Soldaten, die im Winter stehend von hinten in einem lichten Unterholz aufgenommen wurden. Die beiden Männer betrachten Seite an Seite gemeinsam, geradeaus vor ihnen, die düstere Form eines langen Bergkamms unter dem grauen Himmel. Dieses Foto wurde am 16. Januar 1915 aufgenommen. Das erfahren wir in der Erzählung Die von 14, die sich teilweise mit dem Fahrtenbuch seines Kameraden, dem Leutnant Robert Porchon, deckt. Die Silhouetten sind jene von Porchon und Rebière, einem Leutnant, der kurz zuvor zum 106. Infanterieregiment abkommandiert worden war. Der Alte, der seit Beginn an der Front ist, zeigt dem Neuen, wie der Abschnitt aussieht, die Standorte der französischen und deutschen Stellungen. Der Bergkamm, den ihr Blick fixiert, ist jener der Éparges. Porchon wird dort am 19. Februar fallen, Rebière am 7. April.
VOM LOIRET AN DIE MAAS
Genevoix hat fast genauso oft über die Landschaften der Maas als über jene seines Loiret geschrieben. Am großen französischen Fluss begann seine Kindheit, am lothringischen Fluss starb sie. Das auf beiden Seiten von den Wäldern der Sologne und bei Orléans flankierte Loire-Tal war der Rahmen seiner Romane; das Maas-Tal und seine Hänge, der Ort des Krieges und der Erzählung, die er daraus machte.
Als gewissenhafter Offizier sollte Genevoix auf Behelfspapier mit Bleistift ungezwungene Ansichten zeichnen, auf denen die Schützengräben des Feindes, die vermuteten Stellungen seiner Maschinengewehre, seiner Artillerie zu sehen waren, technische Zeichnungen, die ihm sein neuer Beruf vorschrieb. In seinem Tagebuch, das er in Ruhezeiten oder geschützt in der zweiten Linie schrieb, gestand er seine alte Vorliebe für Landschaften. Sie vermischte sich mit dem Geschmack einer in der Provinz verwurzelten Literatur. Er fand daran Gefallen, das Wesen eines Horizonts in der Morgenstunde, einer verschneiten Ebene, eines einzelnen Baumes oder eines Dorfes rund um seinen Kirchturm zu erfassen. Er führte die Besonderheiten in einer reichen, erfinderischen und bildhaften Sprache aus. Seine Korrespondenz mit Paul Dupuy, Generalsekretär der École normale supérieure, enthält zahlreiche literarische Miniaturen, in denen sich das Talent eines geborenen Schriftstellers zeigt. Sie sind in den Auszügen seines Tagebuchs besonders ausgearbeitet. Diesem vertraut er im Dezember
1914 an: „Wir überblicken von dort oben eine riesige, runde Talmulde: am Fuße des Hanges sind düstere Wälder mit großen hellen Stellen aus weichem Moos. Rechts eine Straße, die eine plötzliche Biegung zwischen zwei Baumreihen macht: vor uns eine andere Straße im rechten Winkel zur ersteren, eine brutale Linie mitten durch die bunte Vielfalt der Felder. Dort unten, in der Mulde, ein weißes Dorf unter den Blättern, Dannevoux. Und ganz hinten, jenseits der Maas, die man nicht sieht, eine blaue Hügelkette.“ (Maurice Genevoix Paul Dupuy Korrespondenz 28. August 1914 - 30. April 1915, Éditions de La Table Ronde, S. 294). Es ist sein erster Kontakt mit der Front, am rechten Ufer der Maas, unterhalb von Verdun, am Tag nach seinem Eintreffen beim Regiment.
DIE GEBURT EINES LANDSCHAFTSLITERATEN
Genevoix macht in seinen Briefen gemäß den Anweisungen und unter Zensurandrohung keine genauen Angaben über die Orte, an denen er sich befindet, bzw. über die von seiner Einheit eingenommenen Stellungen, jedoch sind seine Beschreibungen des Landes, des Reliefs, der Pflanzen und der Bodenbeschaffenheit so anschaulich, dass sein Briefpartner, der Geografieprofessor und geschätzter Kollege von Paul Vidal de Lablache ist, ohne zu zögern die Umgebung von Verdun und das Schichtstufenprofil dieses Teils von Lothringen erkennen kann. Ab dem Monat Oktober konnte er von dem Lehrerseminar aus, in dem er sich aufhielt, auf einer Karte die Position des 106. IR einordnen und verfolgte daraus die Prüfungen in den Meldungen, die Les Éparges erwähnten.
Fragoulle-Schlucht, auch Todesschlucht genannt. Les Éparges (Maas), 1917.
Detail eines Stereobildes, das vom Soldaten Maurice Létang des 53. Infanterieregiments aufgenommen wurde. © M. Létang/Roger-Viollet
Die Kunst des Landschaftsliteraten nach der Schule von Maupassant und Flaubert, die sich in seinem Romanwerk über die Natur und die Menschen entwickeln sollte, ist in den Kriegsschriften von Genevoix bereits bestens ausgebildet. Das liegt offenbar besonders am Können eines außerordentlich begabten jungen Mannes, aber auch an den Umständen. Die Kämpfe, die Gefahr und das außergewöhnliche Leben, das rein gar nichts mehr mit dem zu tun hat, das er wenige Wochen zuvor als Student in Paris führte, beschleunigten die Entdeckung einer Berufung. Die Nähe zum Tod und die Wahrscheinlichkeit eines frühzeitigen Sterbens schaffen den Drang zu berichten, was zur Schärfe der Texte beiträgt. Sie verpflichtet durch das Streben nach Effizienz und eine Art von Anstand zum sparsamen Einsatz von Worten und Effekten.
Die Schlachtpläne des Generalstabs sahen vor, dass sich das 106. IR, das als unterstützende Einheit in Châlons-sur-Marne stationiert war, am ersten Tag der Mobilisierung nach Lothringen begibt, in den Abschnitt Longwy gegenüber den deutschen Truppen im Saarland. Als der Krieg erklärt wird, befindet sie sich in Position und beteiligt sich nach Scharmützeln an den Grenzschlachten. Der Rückzug Ende August führt sie oberhalb von Verdun, das sie verteidigt. Dort stößt Leutnant Genevoix am 27. August mit einer Verstärkung zu diesem Regiment, welche die schweren Verluste ausgleichen soll. Am Ende der Schlacht an der Marne widersetzt es sich erfolgreich dem feindlichen Vorstoß zwischen Bar-le-Duc und Verdun, zuerst im Westen, dann im Osten, als die bayrischen Divisionen aus Metz Ende September überraschend bis in das Waberland vorstoßen. Die Abwehrkämpfe finden im Waldgebiet der Maas-Hügel statt, an der Tranchée de Calonne, die lange Straße im Unterholz, auf der Alain-Fournier fiel und wo Genevoix sieben Monate später schwer verwundet wurde.
Blick von Hattonchâtel auf das Dorf Viéville am Fuße der Hügel, Maas, Lothringen. © J-P. Tonnelier
Die Anhöhe der Éparges war die höchste Erhebung des Vorgebirges, das die Region beherrschte. Die Deutschen hatten sich dort verschanzt und sie Anfang Herbst 1914 befestigt. Im Rahmen des Plans von Joffre bestand das Ziel für das Regiment von Genevoix darin, die Höhenzüge in Lothringen, in den Vogesen sowie im Artois zurückzuerobern und die russische Front dadurch zu entlasten, dass die deutschen Divisionen im Westen gebunden waren. Es dauerte zwei Monate und kostete unzählige Tote und Verletzte in den französischen Regimentern, ebenso wie auf deutscher Seite, um dieses Ziel zu erreichen. Nach einigen Tagen waren die Verluste so hoch, dass Leutnant Genevoix und die wenigen Männer, die ihm geblieben waren, das Gefühl hatten, sich auf dem Stapel an französischen und deutschen Leichen gleichermaßen hochzuarbeiten.
Wenn der Blick auf dieses Stück Land fällt, das von den Bauern geduldig und beharrlich wiederhergestellt wurde, drückt alles die schwere Arbeit, die Notwendigkeit, die Bewegung und den Reiz der Jahreszeiten aus. Man muss langsam vordringen, um inmitten einer Tannengruppe die weißen Kreuze des Friedhofs von Le Trottoir und weiter oben, unter dem Schutz der Bäume, die kleinen Gedenkstätten zwischen den Minentrichtern zu finden. Man muss Die von 14 gelesen haben, um sich das vorstellen zu versuchen, was für die Soldaten auf dem Hügel die Hölle war. Dennoch kann mittlerweile niemand mehr diese schöne Landschaft der Éparges, die Ebene des Waberlandes und die Moselhänge am Horizont so sehen, wie sie die Überlebenden gesehen haben, als sie an die Orte zurückkehrten, wo ihre Jugend gestorben war.
„DEM FRIEDEN ZURÜCKGEGEBENE LANDSCHAFTEN“
Maurice Genevoix ist oft zu den Éparges zurückgekehrt. Einige Bewohner der Dörfer des Abschnitts, in Saint-Rémy-la-Calonne, Rupt-en-Woëvre, Fresnes-en-Woëvre, Mont-sous-les-Côtes, Trésauvaux und Mouilly, erinnern sich an einen kleinen und dünnen alten Mann, der aufrecht, wie aus dem Ei gepellt und sehr liebenswürdig nach den Feierlichkeiten herumspazierte. Er ging wieder die Wege hinauf, fand die Pfade und schmalen Waldwege wieder, die er mit vierundzwanzig Jahren in alle Richtungen allein oder mit seiner Abteilung durchstreift hatte. Er sah die Häuser wieder, in denen er untergebracht war, die Kirchen und die Friedhöfe der Trauergottesdienste, die Straßen und die Mazel-Straße nach Verdun. Er hat in Trente mille jours, das er wenige Monate vor seinem Tod schrieb, in seinen Bestiaires und in vielen Gelegenheitsarbeiten von der Freude erzählt, die Landschaft der Maas-Hügel zu sehen, die dem Frieden und der Feldarbeit zurückgegeben worden war. Die blühenden Mirabellenbäume im April, auf den Hängen die roten Blätter der Weinstöcke im Oktober, der Flaum der Wälder auf den Anhöhen, die Spiegelungen der Ebene des Waberlandes im Sommer, diese Landschaft, die er in den Sommer- und Herbsttagen 1914 kennengelernt hatte, bevor die Bombardierungen sie völlig veränderten.
Die Tranchée de Calonne (Maas), 1917. Detail eines Stereobildes, das vom Soldaten Maurice Létang des 53. Infanterieregiments aufgenommen wurde. © M. Létang/Roger-Viollet
Wie viele Veteranen, die auf die Schlachtfelder pilgerten, brachte er manchmal seine Frau und seine Töchter, insbesondere Sylvie, hierher. Sie ist im Mai 1944 geboren und verdankt ihren Namen der ersten Blume, die er dort, in den ersten Frühlingstagen 1915, auf dem kahlen Boden blühen sah, zurückgekehrt und zersetzt durch die Flut der Granaten: das Buschwindröschen, auf Französisch Anémone Sylvie.
Die Bergung des Schrotts, das Auffüllen der Schützengräben und Untergrabungen wie das Umgruppieren der Leichen in den Friedhöfen wurde gleich nach dem Waffenstillstand begonnen. Dann wurden die Dörfer wieder aufgebaut, die Wälder aufgeforstet, die Mirabellenbäume neu gepflanzt und die Weingärten wiederhergestellt. Die Landschaft wurde wieder zu dem, was sie gewesen war, und als ob der Krieg nie stattgefunden hätte, schlossen sich in ihrer Schönheit die beiden Seiten des Friedens zusammen.
Maurice Genevoix fuhr gerne mit dem Auto. Er kam im Auto von Paris, durchquerte die Regionen Brie und Champagne, überquerte das Argonne-Massiv und fand hinter seiner Windschutzscheibe das Maas-Tal so vor, wie er es verlassen hatte, breit und mit dem langsam durch die Wiesen fließenden Wasser. Hier schien die durch den Menschen immer schnelllebiger gewordene Zeit innezuhalten. Nahe einer Steinbrücke tranken die Kühe zwischen den Pappeln aus dem Fluss. Abseits des winterlichen Hochwassers erstreckten sich die Dörfer, wie lange, schmale Bänder aus ausgebleichten Dachziegeln als Verbindung zu den Anhöhen. Sie begannen hier, mit dem Wald, in den die Straße eindrang. Das Licht wurde weniger, sanft und grün, mit goldenen Flecken. Vorbei am Longeau begegneten ihm die Geister. Die Gesichter der jungen Männer schienen wieder im Buchenwald aufzutauchen, die Stimmen, das Lachen, die Appelle, die Schreie, sie glitten als Gemurmel unter die Äste. „Hier wurden am Silvestertag Soriot und Hauptmann Maignan getötet, oberhalb, Trelan, Ledru und Jubier wurden verschüttet, und in diesem Winkel haben wir Hirsch das letzte Mal gesehen. Hier wurde ich verwundet, und dort, Porchon...“ Am Ende des Weges, auf dem Gipfel der Éparges, welcher die Erde zwischen den Kulturen und den Baumgruppen durchbricht, glänzten unter seinem Blick die Sümpfe des Waberlandes wie nie zuvor.