Eine spezifisch deutsch-französische Problematik: die Erinnerung an die zeitgenössischen Konflikte in der Region Elsass-Moselle
Innerhalb von fünfundsiebzig Jahren verloren die Elsässer und Lothringer an der Mosel vier Kriege (1871-1918-1940-1945) und fanden sich dennoch viermal auf der Seite des Siegers wieder. Diese Feststellung beschreibt zusammenfassend die Situation einer Region im Grenzgebiet von Frankreich und Deutschland, die zwischen 1870 und 1945 immer wieder Gegenstand von Konflikten war. Elsass-Lothringen, später Elsass-Moselle genannt, wurde jedoch letztendlich zum Symbol für die Versöhnung der beiden „Erbfeinde" im Rahmen der Europäischen Union, in der Straßburg eine der Hauptstädte ist.
Die Erinnerung an die „deutsch-französischen" Auseinandersetzungen im Elsass und in Lothringen stellt eine spannende Langzeitgeschichte dar. So wurden nach 1870 auf französischer Seite Cäsars Sieg über Ariovist bei Blaesheim im Jahr 58 v. Chr. oder Turennes Sieg über die Kaiserlichen bei Turckheim im Jahr 1675 als Meilensteine des jahrhundertelangen Kampfes zwischen „Latinität" und „Germanismus" dargestellt. Während die Franzosen Turennes militärisches Genie herausstellen, verurteilen die Deutschen die von seinen Truppen begangenen Gräueltaten; und die elsässischen Autonomisten machen ihn zu einem der Hauptakteure der „schwarzen Legende" Frankreichs - das ihm gewidmete Denkmal fällt 1980 sogar einem Attentat zum Opfer.
Was die nähere Vergangenheit betrifft, so waren die Gedenkfeiern zu den Kämpfen von 1870 lange Zeit von einem lokalen Geist geprägt. Erst in den Jahren 2000-2010 wird der Konflikt nachdrücklich in seiner deutsch-französischen Dimension thematisiert, und zwar durch das renovierte Museum in Woerth, das Museum „Krieg von 1870 und Annexion" in Gravelotte, das historische Museum in Straßburg und die Zitadellen in Bitche und Belfort. Die für 2020 geplanten Veranstaltungen wurden jedoch durch die Gesundheitskrise stark beeinträchtigt. Die nächste Periode, die Zeit der Annexion (1871-1918), wird nun im Elsass aufgearbeitet, wo die Straßburger Neustadt 2017 zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt wurde. Die starke militärische Ausrichtung der Region wird im Fort de Mutzig / Feste Kaiser Wilhelm II, dank eines tatkräftigen Vereins deutlich, der die Abfolge von Franzosen und Deutschen an diesem Ort in den Fokus rückt.
Denkmal der Schlacht bei Turckheim im Elsass. © DR
Integration der „Malgré-Nous" in die französische Gedenkgeste
Trotz der Tatsache, dass die überwältigende Mehrheit der Elsass-Lothringer 1914-1918 in der deutschen Armee kämpfte, war die Erinnerung an den Konflikt in Elsass-Lothringen lange Zeit fast ausschließlich „blau-weiß-rot". Der Wechsel der staatlichen Zugehörigkeit wurde zunächst in Stein gemeißelt: Nach der Zerstörung deutscher Denkmäler und der Änderung von Straßennamen wurden die Städte des Ex-Reichslands mit starken Symbolen wie der Statue des Befreiungssoldaten in Metz gestaltet. Veteranen von 1870, Freiwillige in der französischen Armee und von den Deutschen wegen ihrer Frankophilie Geächtete sind die Hauptfiguren eines „Theaters der Erinnerung", dessen Aufführungen am 14. Juli, am 1. und 11. November sowie am Jahrestag des Einmarsches der Befreiungstruppen stattfinden. Gleichzeitig werden die ehemaligen Angehörigen der deutschen Armee ignoriert und ihnen Schuldgefühle eingeredet, obwohl sie keine andere Alternative hatten, als sich an das Gesetz zu halten. Auf diese Weise wird die Vergangenheit der meisten Menschen vergessen und die Haltung einer Minderheit im Zusammenhang mit der des ganzen Landes hochgespielt.
Rückkehr ehemaliger elsässisch-lothringischer Soldaten, die Ende November 1918 von den Deutschen aus dem Militärdienst entlassen wurden, über die Kehler Brücke,
die Straßburg mit dem badischen Land verbindet. © Excelsior-L’Equipe/Roger-Viollet
Wie kann man Söhnen, Brüdern und Ehemännern Respekt zollen, ohne ihr Opfer für Deutschland zu feiern? Vielerorts wählen die Stadtverordneten die gleiche Lösung: Die Kriegerdenkmäler werden christianisiert. Denn die religiöse Symbolik ist neutral und bietet eine Alternative zu den republikanischen Symbolen, die an anderen Orten gewählt werden (obwohl es sie dennoch gibt, was auf die Bereitschaft zur Angleichung hindeutet). Die Geschichte erklärt auch das Fehlen des traditionellen „Für Frankreich gestorben" (obwohl es auch hier Ausnahmen gibt), das durch neutrale Formulierungen wie „An unsere Toten" ersetzt wurde. Die Überlebenden gründeten spezielle Vereine, darunter 1920 in Metz die „Malgré-Nous", um „alle diejenigen zu vereinen, die von 1914 bis 1918 gegen ihren Willen unter Deutschlands Fahnen gedient haben". Diese Vorstellung eines moralischen Zwangs - der für einige Soldaten real, für andere aber nur eine Fantasie war - verankerte sich in den Köpfen der Menschen.
Das „elsässische Unbehagen" und später der Autonomismus stützten sich auf die Unzufriedenheit dieser ehemaligen Soldaten, die mit einer ungeschickten Politik der übermäßigen Verweltlichung und Frankisierung konfrontiert waren, und sie wurden von Deutschland unterschwellig unterstützt. Die unterschiedlichen Erinnerungen der ehemals verfeindeten Brüder sind nur schwer in Einklang zu bringen. Und während die einen sich manchmal in einem übertriebenen Dolorismus und einer systematischen Opposition gegen die Staatsgewalt suhlen, pflegen die anderen mitunter einen allzu schattenhaften Nationalismus. Es entwickelte sich eine Gegenerinnerung, die von den vertriebenen Elsässern und Lothringern jenseits des Rheins ausgelöst wurde: die Erinnerung an die Treue zu Deutschland, die in der Weimarer Zeit entstand und im Dritten Reich durch Publikationen und Gedenkstätten gepflegt wurde. Dies war auch die Haltung des extremistischen Lagers der Autonomisten, die 1937 die symbolische Beerdigung des „unbekanntesten aller Soldaten", des elsässischen Soldaten, in La Hunebourg im Nordelsass durchführten.
Diese Revanchisten triumphierten zwischen 1940 und 1944. Am Hartmannswillerkopf, wie auch in vielen anderen Gemeinden, machten sich die Nazis aus Hass auf das Christentum und Frankreich damals an den Kriegerdenkmälern zu schaffen. Der nationalsozialistische Veteranenverband etablierte sich in der Region Elsass-Moselle, während die Leiter der französischen patriotischen Gruppierungen verfolgt wurden. Die Behörden legten großen Wert auf die Fortdauer des Engagements zwischen der aktuellen und der vorherigen Generation. Für die Rekrutierung in die Wehrmacht wurde mithilfe von Plakaten geworben, die von Freiwilligen unterzeichnet waren, welche 1914-1918 in der deutschen Armee dienten, wie der z. B. Elsässer Robert Ernst. Nach dem Krieg wurden die meisten der von den Deutschen zerstörten oder veränderten Denkmäler wieder aufgebaut. Gleichzeitig wurden alle Spuren ihrer Anwesenheit verwischt, einschließlich der Initiativen zur Ehrung „ihrer" Toten, wie in Bischwiller.
Auf dem Weg zu einem binationalen Gedenken an den Ersten Weltkrieg
Die zahlreichen Projekte der Nachkriegszeit führten zu einer Auslöschung des Gedenkens an den Ersten Weltkrieg. Die Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag im Jahr 1968 waren von strenger Orthodoxie geprägt: Man feierte die Befreier mit großen Trikolore-Flaggen, auch wenn die Regierungsvertreter die erfreuliche Bewältigung der nationalen Gegensätze im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft betonten. Dennoch wurden die Veteranen der deutschen Armee 1995, als den letzten Alten die volle Aufmerksamkeit zuteil wurde, von der Liste der Empfänger der Ehrenlegion ausgeschlossen, die Präsident Chirac allen überlebenden Frontsoldaten zuerkannt hatte.
Ausstellung „1917" im Centre Georges Pompidou in Metz im Jahr 2012. © Marc Feldmann
Seitdem hat sich die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg weitgehend „bi-nationalisiert" und sogar „europäisiert". Während sich das Musée-Mémorial du Linge (Gedenkmuseum) - - das von einem Verein betrieben wird - lange Zeit weigerte, die deutsche Komponente der Schlacht zu integrieren, macht das 2017 eröffnete Deutsch-Französische Historial auf dem Hartmannswillerkopf sie hingegen zu seinem Aushängeschild. Als ergänzende Infrastruktur für den Krieg auf freiem Feld verfolgt die 2021 eingeweihte Gedenkstätte Oberelsass in Dannemarie sogar eine tri-nationale Sichtweise, da der Kilometer Null und die Schweizer Grenze ganz in der Nähe liegen. Am 3. August 2014 eröffnen die Präsidenten Hollande und Gauck auf dem Hartmannswillerkopf die Gedenkfeiern zum hundertsten Jahrestag. Die Region Elsass engagiert sich an der Seite von Historikern - sie sponsert ein zusammenfassendes Werk und „Vorträge zum 100. Jahrestag", bei denen die deutsche Vergangenheit nicht ausgeklammert wird - und führt das Label „14-18" ein, das Anspruch auf Subventionen gewährt. Die einzelnen Institutionen organisieren ihre Ausstellungen: 1917 im Centre Pompidou in Metz ab 2012; 1914, La mort des poètes (Tod der Dichter) in der Bibliothèque de Strasbourg 2014-2015; Strasbourg en guerre (Straßburg im Krieg) - 1914-1918. Une ville allemande à l’arrière du front aux Archives de la Ville en 2014-2015 (Eine deutsche Stadt hinter der Front im Stadtarchiv in den Jahren 2014-2015).
Neben dieser „konsensorientierten" Erinnerung gibt es nach wie vor die autonomistische und germanophile Gesinnung. Die Autonomiepartei Unser Land nutzt die Feierlichkeiten zum 11. November, um den, wie sie es nennt, „Raub" der Sprache und der Geschichte der Elsässer durch Frankreich anzuprangern. Dieser Aktivismus darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Erinnerung an 14-18 weitestgehend verebbt ist.
Das gespaltene Gedenken an den Zweiten Weltkrieg
In Bezug auf den Zweiten Weltkrieg ergibt sich ein anderes Bild. Denn die Elsässer und Moselaner, die in dem vom Dritten Reich de facto annektierten Gebiet verblieben waren, machten Erfahrungen, die nicht von der gesamten nationalen Gemeinschaft gleichermaßen wahrgenommen wurden. Insbesondere waren sie Opfer der Zwangsrekrutierung in die deutsche Armee und in die Waffen SS, was häufig mit sowjetischer Gefangenschaft einherging. Der Nazi-Erlass von 1942 missachtete das Völkerrecht, indem er die Jahrgänge 1908 (1914 im Département Moselle) bis 1927 gegen ihren Willen einberief und damit eine eigene Kategorie schuf, die bei weitem die zahlenmäßig stärkste war (rund 100.000 Überlebende): die „Malgré-Nous". Es gibt jedoch noch viele andere: Rebellen, „Malgré-Elles", Vertriebene, Deportierte, Widerstandskämpfer und freiwillige Kämpfer in den alliierten Armeen, nicht zu vergessen die zwischen 1939 und 1940 Eingezogenen und die zivilen Opfer. Das Gedenken in den Regionen Elsass und Moselle kann daher nur pluralistisch sein.
In den unmittelbaren Nachkriegsjahren standen die Beziehungen zwischen der Region und dem Rest Frankreichs im Zeichen des Unverständnisses. Tatsächlich löste der Prozess von Bordeaux-Oradour im Jahr 1953 ein anhaltendes Unbehagen aus. Dennoch kämpften viele „Annektierte" gegen die totalitäre Maschinerie. Im Fort de Queuleu, hält ein Verein auf diese Weise die Erinnerung an den mosellanischen Widerstand wach. Die Gedenkstätte Elsass-Moselle, einzigartig in der französischen Landschaft, welche von den Regional- und Generalräten in Auftrag gegeben wurde, befindet sich in der Nähe des ehemaligen Nazi-„Umerziehungslagers" Schirmeck und wurde 2005 eingeweiht. Sie ist darauf ausgerichtet, der Bevölkerung und allen, die sich dafür interessieren, „die Region Elsass-Moselle zu erklären". Streitigkeiten und Kontroversen sind jedoch an der Tagesordnung, da sich die anderen „Gruppen" angesichts einer „Opferkonkurrenz" zugunsten der „Malgré-Nous" als vernachlässigt betrachten. Nicht weit davon entfernt beherbergt das Konzentrationslager Struthof, das einzige auf damals annektiertem französischem Gebiet, das Centre européen du résistant-déporté (Europäisches Zentrum des deportierten Widerstandskämpfers). Auch die Kämpfe von 1939-1940 und die harten Auseinandersetzungen während der Befreiung haben ihre Gedenkstätten.
Kirchenfenster Notre-Dame de l'Europe, Straßburger Münster. © Chanoine Bernard Eckert
Nach dem Kampf um materielle Entschädigungen - der erst 1984 durch die Gründung der Stiftung „Entente franco-allemande" beendet wurde, und die das von der Bundesrepublik Deutschland freigegebene Geld an die Bezugsberechtigten verteilte - wurde die Energie der Vereine darauf verwendet, moralische Anerkennung zu erlangen: Die „Malgré-Nous" wollten nicht länger „schändliche Soldaten" sein. Diese Forderung wurde von Jacques Chirac ignoriert, von seinem Nachfolger Nicolas Sarkozy hingegen aufgegriffen.
Zwei Erklärungen, eine am 11. November 2009 in Paris an der Seite von Angela Merkel; die andere am 8. Mai 2010 in Colmar, besänftigen bei den Betroffenen und ihren Freunden eine Verbitterung, die paradoxerweise oft stärker auf Frankreich - das sie ihrer Meinung nach im Stich gelassen hat - als auf Deutschland, das sie zwangsweise eingezogen hat, und auf die UdSSR/Russland, die so viele ihrer Kameraden in ihren Lagern hat sterben lassen, fokussiert ist.
Gleichzeitig bemühen sich Vereine, wie Ascomémo in Hagondange, und Historiker weiterhin um eine bessere Aufklärung über diese Zeit. In dieser Hinsicht ist die vergleichende Dimension der internationalen Kolloquien zu würdigen, die auf Initiative von Lehrenden und Forschenden sowie Doktoranden der Universität Straßburg organisiert wurden: 2012 in Straßburg und Schirmeck, L'Incorporation de force dans les territoires annexés au IIIe Reich (Zwangseingliederung in die vom Dritten Reich annektierten Gebiete), und 2014 in Straßburg, Soldats d’entre-deux (Soldaten zwischen den Fronten) Identités nationales et loyautés dans les Empires centraux pendant la Première Guerre mondiale (Nationale Identität und Loyalität in den Zentralreichen während des Ersten Weltkriegs).
Wie kann man in einer Republik mit jakobinischer Tradition ein besonderes Gedenken lebendig werden lassen? Die Frage der „Malgré-Nous" und in jüngerer Zeit die der Soldaten des Ersten Weltkriegs sind manchmal ein Vorwand für Identitätsansprüche aufgrund einer Unzufriedenheit, die durch die Globalisierung, die Krise der nationalen und europäischen Institutionen und die Neuaufteilung der Verwaltung ausgelöst wird. Allerdings wurde zum 100. Jahrestag von 14-18 festgestellt, dass die meisten Elsässer und Moselaner sich nur noch an eine Jugend erinnern wollten, die in der Blüte ihres Lebens niedergemäht wurde, und nicht mehr an die Uniformen, die sie trug. In dieser Hinsicht ist die regionale Meinung ein Spiegelbild der westlichen Meinungen: Seit langem werden Soldaten nicht mehr als Helden einer gerechten Sache betrachtet - und das wirft Fragen auf - sondern als Opfer der „Sinnlosigkeit" des Krieges. Im Chor des Straßburger Münsters befindet sich das Kirchenfenster Notre-Dame de l'Europe, das von Bischof Weber, einem Elsässer und ehemaligen französischen Offizier, in Auftrag gegeben wurde. Bereits am 2. August 1964 hatte er als Zeichen der Versöhnung zusammen mit dem Bischof von Freiburg eine Messe auf dem Hartmannswillerkopf abgehalten. Heute ist die Erinnerung an das Elsass und Lothringen durch die Kriege hindurch zu jener Brücke zwischen Frankreich und Deutschland geworden, von der einige Idealisten schon im 19. Jahrhundert träumten.