Gabrielle Petit
Die von den Deutschen im Jahr 1916 wegen Spionage, Verteilung von Untergrundpresse und Teilnahme an der Exfiltration von Soldaten zum Tode verurteilte Gabrielle „Gaby“ Petit ist eine Symbolfigur des Widerstands der belgischen Frauen während des Ersten Weltkriegs.
Gabrielle Aline Eugénie Marie Petit ist das Kind einer in bescheidenen Verhältnissen lebenden Familie aus Tournai. Im Alter von fünf Jahren kommt sie auf Grund des schlechten Gesundheitszustands ihrer Mutter, die bald darauf stirbt, in einem Kloster in Ath zur Pflege. Gabrielle und ihre Schwester Hélène werden im Orden der Dames du Sacré Coeur in Mons untergebracht, wo sie ihr Vater zurücklässt. Ein Cousin nimmt die beiden Mädchen auf und gibt sie in die Obhut der Schwestern des armen Kindes Jesus, wo ihnen eine angemessene intellektuelle und affektive Entwicklung zuteil wird. Im Alter von 17 Jahren muss Gabrielle auf dessen Forderung wieder bei ihrem Vater einziehen. Nach einigen Monaten nimmt das schwierige Zusammenleben ein Ende. Die jungen Frauen beschließen, nach Brüssel zu übersiedeln, wo Hélène für ihre Schwester eine Stelle als Haushälterin bei Madame Butin findet.
Als der Krieg erklärt wird, ist Gabrielle Petit 21 Jahre alt. Sie ist mit dem Berufssoldaten Maurice Gobert verlobt, den sie zwei Jahre zuvor kennengelernt hat. Dieser wird in Hofstade bei Lüttich verletzt. Von den Deutschen gefangen genommen gelingt es ihm, zu entkommen und Gaby nachzureisen, die ihrerseits an der Front in Molenbeeck-Saint-Jean für das Rote Kreuz tätig ist. Das Paar, abgeschnitten von den belgischen Truppen, muss sich verstecken und versucht, die holländische Grenze zu erreichen.
Zurück in Belgien tritt sie dem Geheimdienst bei. Sie absolviert im Juli 1945 eine Ausbildung in Großbritannien und entwickelt sich rasch zu einer anerkannten Spionin. Unter dem Decknamen Legrand arbeitet sie im Sektor zwischen Ypres und Maubeuge, hält sich unter mehreren falschen Identitäten zwischen den feindlichen Truppen auf, sammelt für die Alliierten Informationen über die Bewegungen der deutschen Truppen, strategisch wichtige Punkte, die Aufrüstung und den Zustand des Schienennetzes. Sie ist gleichzeitig damit beschäftigt, Untergrundpresse zu verteilen (La Libre Belgique), ein paralleles Netzwerk für die Postzustellung an die gefangenen Soldaten zu leiten und es Soldaten, die hinter der belgischen Frontlinie blockiert sind zu ermöglichen, die holländische Grenze zu überschreiten.
Jedoch verstärkt die deutsche Spionageabwehr im Herbst 1915 ihre Aktionen. Gegen Gabrielle Petit, die schon einige Monate zuvor verdächtigt wurde, werden Überwachungsmaßnahmen eingeleitet. Sie entkommt zunächst ihren Verfolgern in den Gassen von Molenbeek. Anschließend wird sie in Hasselt festgenommen und kann erneut aus dem Gasthaus, in dem sie festgehalten wird, entfliehen. Im Dezember zieht sich die Schlinge um ihren Hals immer enger zusammen. Mit Hilfe eines holländischen Verräters fangen die deutschen Streitkräfte die Briefe ihres Netzwerks ab, tauschen sie aus und liefern sie über einen Monat lang an die Kommandantur aus. Gaby ist misstrauisch geworden und hinterlässt keinerlei Spuren, die auf die Mitglieder ihres Netzwerks hindeuten.
Am 20. Januar wird sie von dem Polizisten Goldschmidt verhaftet und fünf Tage lang in der Kommandantur in Isolationshaft gehalten. Weder ihr Verhör, noch die Hausdurchsuchung, bei der ihre Wohnung völlig verwüstet wird, liefern die geringsten Beweise. Am 2. Februar wird die Gefangene ins Gefängnis von Saint-Gilles (Brüssel) überführt. Dort hält sie den rüden Verhören und Haftbedingungen stand, entlastet die Familie ihrer Vermieterin Madame Collet und entwickelt ein Versorgungs- und Kommunikationssystem für die Inhaftierten. Sie weigert sich im Austausch gegen eine vorteilhafte Behandlung durch die Richter ihre Kameraden zu verraten.
Am 3. März 1916 wird Gabrielle Petit zum Tode verurteilt. Ab dem 8. März stellt ihre Schwester ein Begnadigungsgesuch, welches von Herrn Marin, dem Direktor des Gefängnisses von Saint-Gilles verfasst wurde und von der Apostolischen Nuntiatur sowie von der spanischen Gesandtschaft unterstützt wird an die Kommandantur, welche allerdings unerbittlich bleibt. Das Urteil wird am 1. April auf dem Tir National in Schaarbeek vollstreckt. Ihr Leichnam wird vor Ort begraben. Sie ist weniger bekannt als Louise Brettignies oder Edith Cavell, und so ignoriert die Öffentlichkeit ihre Hinrichtung bis ins Jahr 1919, wo ihr dann bei einer Zeremonie im Beisein der Königin Elisabeth, des Kardinals Mercier und des Premierministers Delacroix die ihr gebührenden Ehren erwiesen werden. Am 27. Mai wird ihr Leichnam exhumiert und zwei Tage lang in der Halle der Pas-Perdus im Rathaus aufgebahrt, bevor er auf dem Friedhof der Stadt Schaarbeek bestattet wird.
Ihr sind eine Statue in Brüssel und ein Platz in Tournai gewidmet.