Germaine Tillion
Die bedeutende Persönlichkeit des französischen Widerstandes, Ethnologien und Schriftstellerin Germaine Tillion hat aus ihren Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg Lehren gezogen, die ihr ihr ganzes Leben lang von Nutzen waren. Es gelang ihr, in allen Situationen Zeugnis, Überlegung und Handlung zu vereinen.
Germaine Tillion wird am 30. Mai 1907 in Allègre, Haute Loire geboren. 1919 übersiedelt die Familie in die Gegend von Paris. Im Laufe der zwanziger Jahre beginnt sie ein Ethnologiestudium und erhält 1933 ein Stipendium, um die Berberstämme im algerischen Aurès-Gebirge zu studieren. Zwischen 1934 und 1940 absolviert sie vier lange Aufenthalte bei den Chaouias und setzt die Verfassung ihrer Doktorarbeit fort.
Nach ihrer Rückkehr nach Frankreich am 9. Juni 1940 beschließt sie, dass „Etwas getan werden muss“. Gemeinsam mit dem pensionierten Oberst Paul Hauet beginnt sie ihre Widerstandstätigkeit unter dem Deckmantel eines Vereins zur Hilfe von Kriegsgefangenen, der Union nationale des combattants coloniaux. Diese Zelle tritt mit anderen ähnlichen Gruppen in Kontakt, wie der des Musée de l’Homme, die aus mehreren Ethnologen unter der Leitung von Boris Vildé besteht. 1946, als sie sich um die administrative Anerkennung des Netzwerkes kümmert, gibt sie ihm den Namen „Réseau du musée de l'Homme“ in Hommage an einen Großteil seiner Gründer. Die Gruppe führt verschiedenste Aktionen aus: Sie sammelt Informationen, um sie nach London weiterzuleiten, nimmt flüchtige Soldaten auf oder organisiert Gefängnisausbrüche, bietet englischen Fallschirmspringern Unterschlupf, stellt falsche Papiere aus, verbreitet Kampfaufrufe und liquidiert Verräter und Gestapo-Agenten.
Obwohl sie eine engagierte Patriotin ist, vergisst Germaine Tilion niemals ein Grundprinzip, auf das sie sich beruft: die Hingabe für Wahrheit und Gerechtigkeit. In einem an die Untergrundpresse gerichteten Flugblatt merkt sie an, dass viele Informationen betreffend der aktuellen Situation in der französischen Gesellschaft zirkulierten, aber sich widersprächen, da sie aus verschiedenen Quellen stammten. Sie gebietet ihren Kameraden der Résistance nicht von der Wahrheit abzuweichen, nichts zu verheimlichen und zu versuchen, zu verstehen und unparteiisch zu urteilen. „Was die Ideen angeht, so kennen wir zunächst nur eine Sache, die uns teuer ist, nämlich unsere Heimat, aus Liebe zu ihr haben wir uns zusammengeschlossen um zu versuchen, ihren Glauben und ihre Hoffnung zu bewahren. Aber wir wollen nicht, wir wollen auf keinen Fall ihr zuliebe die Wahrheit opfern, da unsere Heimat uns nur teuer ist unter der Bedingung, dass wir ihr nicht die Wahrheit opfern müssen.“
Eine erste Denunzierung führt zur Verhaftung mehrerer Mitglieder der Zelle des Musée de l’Homme. Im April 1941 werden die anderen Mitglieder nach einem weiteren Verrat verhaftet. Ihr Prozess findet ein Jahr später, im Februar 1942 statt. Zehn Personen, darunter mehrere enge Freunde, werden zum Tod verurteilt. Germaine Tillion, die den Verhaftungen entkommen war, tut alles, um ihre Begnadigung zu erreichen, jedoch umsonst: die sieben Männer der Gruppe werden erschossen, die drei Frauen deportiert. Sie selbst wird im August 1942 von der deutschen Polizei auf der Straße festgenommen. Sie war von einem französischen Priester verraten worden, der sich als Widerstandskämpfer ausgegeben hatte. Mehr als ein Jahr verbringt sie in den französischen Gefängnissen la Santé und Fresnes und wird im Oktober 1943 in das Lager von Ravensbrück deportiert. Sie verlässt das Lager im April 1945.
Nach ihrer Rückkehr nach Frankreich widmet sie sich hauptsächlich der Geschichte des Widerstands und der Deportation, worüber sie mehrere Studien veröffentlicht. Jedoch vernachlässigt sie auch ihr bürgerliches Engagement nicht und nimmt an der Kampagne gegen die Lager teil, die noch immer in den kommunistischen Ländern Europas und in Asien betrieben werden.
1954 wird sie von der französischen Regierung in einer Beobachtungsmission nach Algerien gesandt, wo sich die ersten Anzeichen des Aufstandes bemerkbar machen. Zunächst schlägt sie vor, die Schulbildung der einheimischen Bevölkerung zu verstärken (Jungen und Mädchen, Kinder und Erwachsene), um ihr zu ermöglichen, aus der Misere heraus zu kommen, die der wirtschaftliche Aufschwung nicht eindämmen konnte. Der Konflikt eskaliert ab 1957 und Germaine Tillion macht es sich zur einzigen Aufgabe, die Auswirkungen der Gewalt zu lindern: sie macht sich gegen Folter und Hinrichtungen stark, trifft die Führer des FLN um sie zu überzeugen, die blindlings durchgeführten Attentate zu unterlassen.
Sie wird 1958 zur Direktorin der École pratique des hautes études gewählt und widmet sich in den folgenden Jahrzehnten dem Studium der Gesellschaften in Nordafrika. Sie veröffentlicht auch eine Neufassung von Ravensbrück, ihrem Buch über die Deportation. Sie stirbt am 19. April 2008 im Alter von 100 Jahren. Ihre Autobiographie, Fragments de vie, erscheint im darauf folgenden Jahr.