Im Namen des deutschen Volkes !
Die deutschen Militärgerichten sind eines der wichtigsten Instrumente, die vom Besatzungssystem zum Zwecke der Unterdrückung und Einschüchterung eingeführt und in den Jahren 1940 bis 1944 in Frankreich zum Einsatz kamen. Lange Zeit spielten sie in der historischen Forschung nur eine untergeordnete Rolle, da nur lückenhafte Quellen vorhanden waren. Die Geschichte dieser Unterdrückung unter dem Deckmantel der Gerichtsbarkeit ist jedoch seit kurzem dank der vorhandenen Archivlandschaft mehr in den Vordergrund gerückt.
Auch wenn die in Deutschland aufbewahrten Akten der Gerichte der Wehrmacht nach wie vor sehr lückenhaft sind, so helfen die in französischen Archiven aufbewahrten Dokumente dennoch, diese Akten zu vervollständigen. Unter den Archiven der französischen Geheimdienste, die an den historischen Dienst der Verteidigung (SHD) in Vincennes übergeben wurden, fanden sich auch die erst kürzlich aufgetauchten und archivierten 1.480 Gerichtsakten, die während der Besatzung von deutschen Gerichten gegen 4.000 Franzosen erstellt wurden. Diese Akten sind besonders wertvoll, denn sie ermöglichen eine Komplettierung der in nationalen Archiven aufbewahrten deutschen Gerichtsakten. Viele der Akten sind auch für die SHD sehr wichtig, da sie die Archive über Opfer der zeitgenössischen Konflikte ergänzen. Ein erstes Durchsehen zeigte bereits, dass diese Akten/Verfahren Fälle betreffen, die anderswo nicht in diesem Maße berücksichtigt wurden: Aktionen des Widerstands, insbesondere Kommunisten, führten oftmals zu äußerst schwerwiegenden Sanktionen, die für Gerichte in Gross-Paris nicht unerheblich waren, da dort während der Besatzungszeit der Militärbefehlshaber in Frankreich (MBF) seinen gerichtlichen Hauptsitz hatte.
Beispiele
Zu den symbolträchtigen Fällen, die diese Akten eines Tages ans Licht brachten, zählt auch insbesondere der Fall von Jacques Bonsergent (siehe Tonbildschau), der der erste in Paris Verurteilte war, der erschossen wurde. 'Er wurde im November 1940 verhaftet, nachdem ihm vorgeworfen wurde, einen deutschen Soldaten auf dem Bürgersteig in der Nähe des Bahnhofs Saint-Lazare grundlos umgestoßen und verprügelt zu haben. Für dieses Kapitalverbrechen wird ihm am 5. Dezember am Gerichtshof von Gross-Paris der Prozess gemacht. Am 23. Dezember wird er im Fort Vincennes hingerichtet. Unter den wichtigsten Schriftstücken dieser Akte findet sich auch das Urteil und zahlreiche Dokumente, die nähere Details darüber aufzeigen, welche Rolle MBF Otto von Stülpnagel bei dieser Exekution gespielt hatte. Es ist in der Tat er, der von zunehmenden Gewaltakten gegen deutsche Soldaten berichtet und dem Kommandant der militärischen Bodentruppe empfiehlt, seinen Antrag auf Begnadigung abzulehnen. Und dies obwohl das Gericht bereits darüber beraten hatte, dass, falls die deutsche Anordnung vom 10. Mai 1940 zulässig sei, eine Inhaftierung einer Verurteilung wegen Kapitalverbrechen vorzuziehen sei, da der Angeklagte offensichtlich unüberlegt gehandelt hatte. Und wieder ist es Otto von Stülpnagel, der befiehlt, das Urteil durch Anschlag öffentlich zu machen. Mit dem Ziel, die Unterdrückung durch Rechtsmittel erbarmungslos einer immer breiteren Öffentlichkeit bekanntzugeben, setzt der MBF durch, seine Politik der Unterdrückung mithilfe von Aushängen preiszugeben.
Unterdrückung, die immer größere Ausmaße annimmt
Zahlreiche Akten helfen indessen dabei, die radikalen deutschen Maßnahmen zu dokumentieren, die ab Sommer 1941 zur ideologisch-unterdrückenden Wende in der Niederschlagung des Widerstands führte. Nach dem Kriegsbeitritt Russlands sind immer mehr kommunistische Aktivisten in Verbrechen verwickelt, die in ”Verbindung mit dem Feind” stehen. Die Gerichte des MBF werden angehalten, in aller Härte durchzugreifen, was der Generalstab des Kommandostabs des MBF am 15. August 1941 als ”Erlass gegen die Kommunisten” bestätigt. Dies kommt in etwa einem Verbot gleich, in solchen Fällen mildernde Umstände gelten zu lassen. Dies bezeugen auch die Gerichtsakten von Henry Gautherot und Szmul Tyszelman, zwei Verantwortliche der jungen kommunistischen Widerstandskämpfer und Mitglieder des so genannten Bataillons de la jeunesse. Aufgegriffen in ihren Verstecken und mit Material, wurden sie am 18. August 1941 vom Gericht Gross- Paris zum Tode verurteilt und bereits am nächsten Morgen erschossen. Ihnen war vorgeworfen worden, am 13. August an einer in Paris organisierten Kundgebung der Widerstandskämpfer der jungen Kommunisten teilgenommen zu haben (siehe Tonbildschau). Berücksichtigt man die jüdische Abstammung von Samuel Tyszelman, kommt einem schnell der Gedanke, dass trotz heftigen Abstreitens der Angeklagte an der kommunistischen Kundgebung teilgenommen hatte. Richter Ernst Roskothen, der über diese Tatsache Bescheid wusste, begründete sein Urteil damit, dass der zunehmende Widerstand ”unter dem Einfluss von de Gaulle und den Sowjetrussen” es nicht zulasse, diese Art von Kundgebungen auf die leichte Schulter zu nehmen. Von ihnen ginge dieselbe Gefahr aus wie von Sabotageakten, Spionage sowie der Zusammenarbeit mit feindlichen Geheimdiensten. Als Argumente zur Rechtfertigung einer derart erbarmungslosen Gerichtsbarkeit, die sich lediglich auf die strengsten Auslegungen der deutschen Strafverordnung berufen, werden ”Beispielhaftigkeit” der Strafen und der ”Effekt der Einschüchterung” als Argumente in dem immer angespannteren besetzten Frankreich angeführt.
Und wieder ist es der MBF, der die Öffentlichkeit über diese Rechtsprechung in Kenntnis setzt sowie auf die jüdischen Wurzeln von S. Tyszelman hinweist, um seiner Aussage, die anti-deutschen Maßnahmen seien auf jüdisch-bolschewistische Hintergründe zurückzuführen, Glaubwürdigkeit zu verleihen. Die Durchsicht der von der DGSE an die SHD übergebenen deutschen Gerichtsakten zeichnet ein deutlicheres Bild über die Geschichte der Unterdrückungspolitik der deutschen Gerichte im besetzten Frankreich. Und auch wenn man bedenken muss, dass viele Akten äußerst unvollständig sind, so ist es wichtig mit der Sichtung von Prozessen wie dem so genannten ”Maison de la chimie” oder der ”Affiche rouge” einen Anfang zu machen.
Gaël Eismann
Dozent für zeitgenössische Geschichte an der Universität Caen, Basse-Normandie,
centre de Recherche d'Histoire quantitative (CRHQ)
WEITERE INFORMATIONEN
Die Akten werden unter folgenden Aktenzeichen aufbewahrt: Henri Gautherot und Szmul Tyszelman (GR 16 P 247185 und GR 28 P 8 42/21), Jacques Bonsergent (GR 28 P 8 43/28).