Les marraines de guerre
Corps 1
Die Kriegspatinnen die andere Familie der Soldaten Die Moral der Soldaten zu stärken: das war die Mission der Kriegspatinnen. Diese populäre Einrichtung, die während des Ersten Weltkriegs entstanden ist, ist deutlich in Erinnerung geblieben, woraus sich erklärt, dass sie 1939 wieder aufgelebt ist. Die Umstände ihres Entstehens sind allerdings weitgehend unbekannt, und man hat seit langem vergessen, dass die Armee ihr misstrauisch gegenüber stand und dass sie von den Moralisten in den Schmutz gezogen wurde. Warum hatte man Angst vor den Patinnen, und wie erklärt sich, paradoxerweise, ihre Popularität?
Corps 2
Da man annahm, dass es ein kurzer Krieg würde, hatte man 1914 nichts vorgesehen, womit man die Moral der Soldaten stärken könnte. Aber die Fronten erstarren, der Krieg bleibt im Schmutz der Schützengräben stecken, und die Frage beginnt sich natürlich zu stellen. Sie stellt sich stärker für die Eingezogenen aus den vom Feind überrannten Gebieten, da sie von jeder Nachricht von ihren Familien abgeschnitten sind und so keine seelische Unterstützung mehr erhalten, keine Geldsendungen und keine Pakete, keine der Aufmerksamkeiten, die ihnen helfen durchzuhalten und dem Kampf einen Sinn zu geben. Das scheint weiter keine Bedeutung zu haben, aber die Wochen vergehen, und die Moral ist schwer angeschlagen. "In meinem Trupp bin ich der einzige, dem es so geht, schreibt einer von ihnen. Die anderen bekommen schöne, lange Briefe, unter denen ich manchmal lesen kann: deine dich umarmenden Eltern. Obwohl ich es nicht will, muss ich euch gestehen, dass ich sie um ihr Glück beneide, und wenn ich auch einen starken Charakter habe, möchte ich schon oft weinen. Ich habe mich wirklich bemüht, mich nicht zu beklagen." "Für mich gibt es keine schlimmeren Momente als die, wenn die Briefe ausgeteilt werden", gesteht ein anderer (1). Diese Soldaten, die sich selbst überlassen sind, werden von verschiedenen Wohltätigkeitseinrichtungen und Vereinen unterstützt, die aber nicht die Liebe einer Mutter, einer Ehefrau oder Schwester ersetzen können. Für sie wird Ende 1914 die großherzige Idee der Kriegspatinnen erfunden.
Die Familie des Soldaten ist die erste Vereinigung, die im Januar 1915 entsteht. Sie wird von Fräulein de Lens gegründet und genießt die Schirmherrschaft hoher Persönlichkeiten und kann kostenlos im L'Écho de Paris werben. Diese und andere Zeitungen richten bald einen eigenen Dienst für die Bearbeitung der Briefe von den vielen leidenden Soldaten ein, (z.B. L'Homme enchaîné, La Croix, Le Journal...). Danach entsteht die Einrichtung Mon soldat (Mein Soldat), die von Frau Bérard gegründet und durch den Kriegsminister, Alexandre Millerand, unterstützt wird, bevor eine Unzahl von Zeitungen und verschiedenen Vereinen sich auch als Vermittler anbieten. Diese ersten Einrichtungen sind sehr moralisch und patriotisch und werden von konservativen Frauen geleitet, die daran erinnern wollen, dass die Franzosen eine solidarische und einige Familie bilden. Die Bezeichnung "Patin" ist im Übrigen nicht ohne Hintergedanken gewählt worden. Sie gehört in das religiöse Vokabular und bezeichnet die Verpflichtung vor Gott, die Eltern zu ersetzen, wenn diese gestorben sind. Sie zeigt, dass die Korrespondentinnen eine natürliche Hilfsfunktion gegenüber einem Mitglied der nationalen Gemeinschaft wahrnehmen. Für bestimmte Frauen bekommt dieses familiäre Engagement einen konkreten Sinn, wie z.B. für die trauernde Mutter, die an die Familie des Soldaten schreibt: "Ich habe keinen Sohn mehr, ich habe ihn Frankreich gegeben. Geben Sie mir einen anderen in der Person eines Soldaten, der von den Seinen getrennt ist".
Vom Patenkind zum charmanten Prinzen Die Erfindung der Patin entspricht der Vorstellung, dass man "wie ein Mann zusammensteht" und gehört zu dem Thema des so genannten Wegfalls der sozialen Barrieren und anderer Unterschiede, die die Solidarität unter den Franzosen vor 1914 verhindert hatten. Ein Stück von Abel Hermant und André Reuze, La marraine inconnue (Die unbekannte Patin), das im Dezember 1916 in der Salle Hoche gespielt wurde, behandelt dieses Thema der Einheit der sozialen Klassen in einer Geschichte, in der der Mythos vom charmanten Prinzen mit dem der Einheit der Klassen verbunden wird(2): die Liebe Philippes, des begüterten Patensohnes, zu Renée, der Tochter einer Putzfrau, endet natürlich in der Heirat. Weniger blind im Hinblick auf die Möglichkeit, Grenzen zu überwinden, besingt ein Lied die Liebe eines jungen, armen Poilu (Frontsoldaten) und einer reichen Patin. Es erscheint in Le Canard poilu vom 19. Januar 1916, hat aber auch ein Happy End:
"Eines Tages sagt der Vater Zu seiner Tochter: lass' diese beginnende Liebe lieber sein Dein Gefühl ist zu tief Und der junge Mann ist nicht für dich, schreibt euch lieber nicht weiter. [...] Er kam auf Urlaub Mit einem schönen Orden, sah seine Patin und sagte zum Vater: Mein Herr, ich habe mich gut geschlagen, um Ihr Geld zu verteidigen, ohne uns hätten Sie kaum noch etwas Deshalb habe ich die Ehre, Sie um das Herz Und die Hand Ihrer Tochter zu bitten. Und der Vater, voller Freude, Sagte zu ihm: einverstanden, Sie gehören zur Familie".
Heirat? Liebe? Darum ging es nicht, als die ersten Vereinigungen entstanden, es ging nur um eine patriotische Pflicht mit familiärem Charakter. Sehr schnell treten die Patinnen aber aus dem moralischen Rahmen heraus, der bei ihrer Gründung bestanden hatte. Es tritt eine dreifache Umwälzung ein: die "Patenschaft" weitet sich weit über die Gruppe der Soldaten aus, die von ihrer Familie getrennt sind, und entgeht der Kontrolle der 1915 gegründeten Wohltätigkeitseinrichtungen, sie verwandelt sich in einen Briefflirt, eine gefühlsmäßige Verbindung zwischen jungen Männern und jungen Frauen. Henriette de Vismes, die an der Gründung der Familie des Soldaten beteiligt ist, spricht von den Patinnen nur mit dem Bild der Mutter oder Schwester und verweigert absolut den gefühlsmäßigen Gesichtspunkt der Beziehungen und die Liebe, die daraus entstehen kann: "Die wahren Patinnen und die wahren Patensöhne, das wahre Mitleid und das wahre Unglück erfordern eine andere Fürsorge und haben höhere Absichten. [...]Und wenn ein junger Patensohn manchmal in den nicht enden wollenden Stunden im Schützengraben, in den langsam die Nacht herunter sinkt, ergriffener an seine junge Patin denkt, so sieht er sie erhaben, geschmückt mit allen Reizen aber auch allen Tugenden, unberührbar und fast heilig, mit den Zügen eines Engels oder einer Heiligen, die vom Himmel herab gestiegen ist, um ihm zu helfen". Die Realität ist aber ganz anders; gefühlsmäßige Verbindungen wurden angeknüpft, man hat sich im Urlaub getroffen, und die Patinnen haben mit den Worten der Poilus "gutes Essen, ein gutes Bett und den Rest" geboten, und es hat tatsächlich Hochzeiten gegeben. Die Vorstellung von der leichtlebigen Patin herrscht in den Schützengräben; und ist nicht das Öffnen des Herzens und des Betts auch "eine patriotische Pflicht"? (3)
Dieser Wandel vom Patriotismus zum Gefühl zeigt sich seit 1915, als die Illustrierte Fantasio das Werk "Flirt an der Front" am 1. Mai desselben Jahres herausbringt. Diese monatlich zweimal erscheinende Illustrierte behandelt die Einsamkeit des Liebeslebens der jungen Soldaten und bietet sich als Vermittler zwischen den beiden Geschlechtern an. Aber sehr bald übersteigt die Nachfrage der Soldaten das Angebot, und der "Flirt an der Front" wird zum Opfer seines Erfolgs. Am 15. August 1915 brüstet er sich damit, schon 6 000 Soldaten und Patinnen vermittelt zu haben, eine Zahl, die die Vereinigung Mein Soldat erst 1917 erreichen wird! Am 15. November kündigt Fantasio an, dass sie ihre Initiative einstellt, weil sie sich nicht mehr vor Anfragen der Soldaten retten kann. Aber die Idee der Korrespondenz des Herzens wird von der bekanntesten freizügigen Illustrierten der damaligen Zeit aufgegriffen: La Vie parisienne. Am 4. Dezember 1915 ermöglicht sie es den Eingezogenen, ihre Kleinanzeigen zu veröffentlichen. Nur zwei von ihnen werfen an dem Tag eine Flaschenpost ins Meer, aber nach einem halben Jahr veröffentlicht die Wochenzeitschrift zwei volle Seiten mit Annoncen von Patensöhnen, die adoptiert werden wollen.
Angesichts der Nachfrage nimmt La Vie parisienne die Gelegenheit wahr, die Preise für die Zeile von zwei Francs 1916 auf vier Francs 1918 zu erhöhen. In dieser Masse muss man um jeden Preis auffallen: "es regnet! Unsere Unterstände sind überflutet. Schnell, kleine Patinnen, ein Wort und wir sind gerettet", schreibt Leutnant Raoul Denys vom 155. Infanterieregiment. Man hält mit seinen Wünschen nicht hinter dem Berg und kommt gleich zur Sache: "Zwei junge Unteroffiziere suchen Briefkontakt mit netten, sehr zärtlichen Pariserinnen", schreiben zwei Artilleristen, und der Unteroffizier Heufel gibt diese Anzeige auf: "Der Krieg ist unendlich lang, und ich hätte auch gern eine kleine zärtliche und gefühlvolle Patin, die mich die Tage vergessen lassen würde, die so langsam vergehen. Vornehme Diskretion".
Populär trotz der Kritik Für die "Wächter des Anstands" wird die Kriegspatin zu einem Skandal und einer Gefahr für die Gesellschaft, zum Spiegelbild der Verkommenheit der Herzen: "Mit einem Wort, in dem sich so viel fromme, patriotische Wohltätigkeit verbirgt, decken die Menschen ihre abgefeimten Kupplerdienste", äußert wutentbrannt Oeuvre française am 25. Januar 1917. Und [i]La Vie parisienne wird als Agentur für Prostitution bezeichnet! Allmählich werden die Kriegspatinnen in der Presse nicht mehr als Verkörperung des Patriotismus gerühmt, sondern sie werden lächerlich gemacht, als alte Jungfern dargestellt, die sich die Situation zu Nutze machen und sich in das Spiel der Verführung stürzen. In der École des marraines (Schule der Patinnen) mockiert sich die Schriftstellerin Jeanne Landre über eine dickliche, klein gewachsene Fünfzigerin, die "aus der Ferne Versäumtes nachzuholen versucht". Dieses Thema der alten Jungfer, die der Besuch des Paten im Urlaub niederschmettert, wird sogar in Theaterstücken verarbeitet, wie z.B. [/i]Coeur de marraines (das Herz der Patinnen), Son filleul[/i] (Ihr Patensohn) oder auch Parrains-marraines (Paten - Patinnen). Gestern noch beweihräucherte man die Patinnen, heute macht man sich über sie lustig. Das Boulevardstück Nénette a un filleul (Nénette hat einen Patensohn) trifft den Kern der Sache. Es stellt eine frivole Frau dar, die sich über den Urlaubsbesuch ihres Patensohnes freut, bis sie feststellt, dass es sich um einen Priester handelt! Diese Negativdarstellung ist der Grund für die Krise der Berufung zur Patin, die sich seit 1916 bemerkbar macht. Die Müdigkeit, die Länge des Konflikts, die Enttäuschung über die Treffen, der schmerzlich erlebte Tod der Patensöhne tragen auch dazu bei. Das Verlangen der Soldaten und das der jungen Frauen findet nie zu einer vollkommenen Entsprechung: "[i]Ist es Zufall, dass ich keine Leserinnen habe?" wundert sich im Januar 1916 eine Journalistin der Zeitung La Bataille, die nach Patinnen für die Frontsoldaten sucht, die an sie schreiben. Am 9. Februar 1917 gibt sie ihren Misserfolg zu: "Patinnen, Patinnen, wenn Sie kein Mitleid haben, bin ich bald unter der Pyramide der Briefe von Soldaten begraben, die gern Patensöhne sein möchten. Hören Sie meine verzweifelten Schreie, kommen Sie mir zu Hilfe, schnell". Ist die Patin an ihrem Erfolg gestorben?
Der Armee ihrerseits ist die "Patinnen" - Initiative nicht angenehm. Sie fürchtet, dass sich Spione in die Haut von Korrespondentinnen schmuggeln, um die Moral der Soldaten zu testen, die Truppenbewegungen zu erfahren, die Vorbereitungen, die getroffen werden und andere Informationen, die dem Feind nützen könnten. Am 18. Mai 1915 schreibt der Kriegsminister Alexandre Millerand - der zur gleichen Zeit Mein Soldat unterstützt - an den Innenminister und bittet ihn, die postlagernde Post zu überwachen. Nach Absprache mit dem Postminister werden Sendungen, die unter Chiffre oder mit Initialen adressiert sind, nicht mehr ausgeteilt sondern in den Müll geworfen. Eine der privaten Postlagerfirmen, Iris, wird von den Patrioten scharf angegriffen, und La Tribune de Paris führt gegen sie eine wilde Kampagne und klagt sie an, Ausgangspunkt für Kuppelei und deutsche Spionage zu sein. Die Annoncen seien kodiert, oder hinter ihnen versteckten sich Spione, phantasieren die Moralisten. Eine Note des 2. Büros, d.h. des militärischen Nachrichtendienstes, fordert im Juni 1917 auf, die Anzeigen der Patinnen in der Presse zu bekämpfen, da "feindliche Agenten dahinter stecken könnten, die sich der Sprache der Halbjungfrauen bedienten, weil sie genau wüssten, dass bestimmte Offiziere in der Korrespondenz irgendwann Indiskretionen militärischer Art begehen würden" (4). Die konservative Zeitung L'Intransigeant sieht keine andere Erklärung für die Niederlage der Offensive am Chemin des Dames im April 1917: Frankreich wurde durch "pornographische" Kleinanzeigen besiegt, hinter denen sich die deutsche Spionage verbirgt. Nach Gabriel Perreux hat das 2. Büro auf zahlreiche Anzeigen geantwortet, um die Motive der Patinnen zu sondieren und sicher zu gehen, dass man nicht auf ein Relais in Berlin stieß. Die Briten haben sich ihrerseits für eine feste Haltung entschieden und ihren Männern verboten, mit französischen Patinnen zu korrespondieren.
Bestimmte französische Generäle hätten sich auch diese feste Haltung gewünscht. So fordert der Kommandant der Nord- und Ostarmeen den Kriegsminister am 28. Juni 1917 formell auf, die Patensöhne und Patinnen zu verbieten. Ohne Erfolg. Obwohl sie kritisiert werden, sind die Patinnen zu populär, als dass man ihnen Schmach zufügen könnte. Der einzige Versuch, sie zu verbieten, betraf die schweizerischen Patinnen im Februar 1916. Aber die Initiative des 2. Büros wurde im folgenden Monat von der Regierung widerrufen, weil sie durch die Beschuldigung von Frauen aus der Schweiz diplomatische Verwicklungen befürchtete. Tatsächlich haben Militärs und Moralisten Angst vor der Kriegspatin, denn sie verkörpert die Liberalisierung der Sitten, weil sie eine freie Frau ist, die an Männer schreibt, ohne Vormund oder Aufsicht. Schlimmer noch, die Existenz der Patin zeigt, dass die Helden Wesen aus Fleisch und Blut sind, dass sie leiden und Zuwendung brauchen, dass sie schwach und unglücklich sind. Wo ist denn der stoische, keusche und entschlossene Held, den die Propaganda beschreibt?
1918 und 1919, als der Krieg zu Ende geht und Ehe zwischen ehemaligen Patensöhnen und Patinnen entstehen, stirbt die Idee nicht aus und lebt wieder auf in der Form von Adoptionen von zerstörten Städten und Dörfern durch Orte im Landesinnern, die von der Zerstörung verschont geblieben waren. Nach dem Beispiel von Marseille, das die leidgeprüfte Stadt Arras am 15. Oktober 1918 adoptiert und ihr einen Betrag von 900 000 F anbietet, um ihre Mauern wieder aufzubauen, wird das nicht zerstörte Frankreich Patin der Gegenden, die in Schutt und Asche liegen. Sogar die früheren Alliierten schließen sich dieser Bewegung an, wie z.B. London, das Verdun zu seiner Patentochter macht. Am 1. Januar 1921 sind in ganz Frankreich zwanzig Millionen gesammelt worden. Diese Bewegung der Solidarität baut in einem kollektiven Maßstab auf der Bewegung auf, die 1915 für die Soldaten entstanden war, denen es an Zuwendung fehlte. Die Patin hat sich also wirklich um das Vaterland verdient gemacht!
Anmerkungen: (1) Henriette de Vismes, Histoire authentique et touchante des marraines et des filleuls de guerre (Wahre und bewegende Geschichte der Patinnen und Patensöhne des Krieges), Paris, Perrin, 1918, 298 S., S. 60-63. (2) Archives de la préfecture de police, B/A 772, Akte Nr. 2562. (3) Gabriel Perreux, La vie quotidienne des civils en France pendant la Grande Guerre (Das tägliche Leben der Zivilisten in Frankreich während des Weltkriegs), Paris, Hachette, 1966, 351 S., S. 41. (4) Historischer Dienst des Verteidigungsministeriums 16 N 1554